Während Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch mit Pamela Rendi-Wagner Gespräche führt und die ÖVP-Landeschefs auf dem Weg nach Wien sind, versammeln sich immer mehr Menschen vor der ÖVP-Zentrale in Wien. Das gemeinsame Ziel der Protestierenden: Kurz muss weg. Zu schwer wiegen die Vorwürfe, die gestern virulent wurden, zu viel sei schon passiert.
Nach Angaben der Organisatoren sind es etwa 7000 Menschen, die in der Lichtenfelsstraße ihrer Wut Luft machen. Es ist laut, die Reden sind für alle, die etwas weiter hinten stehen, kaum noch zu verstehen. Nur Wortfetzen dringen durch, genug um die Menge zu lauten Zustimmungsrufen und Pfeifkonzerten zu motivieren. Man skandiert: „Ganz Wien hasst die ÖVP“ und „Ciao Basti Ciao“. Als „We’re Going to Ibiza“ aus den Lautsprechern tönt, geht ein Raunen der Erinnerung durch die Menge. Es ist die Hymne derer, die sich damals politische Konsequenzen erhofft haben und heute wieder darauf warten. Aber mit dem so ereignisreichen Tag im Mai 2019, als der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache zurücktreten musste und Tausende am Ballhausplatz demonstrierten, will man es doch nicht so recht vergleichen: Das hier wäre noch einmal eine andere Dimension, sagen Protestierende. „Ibiza war ein Knaller weil es Videomaterial gab. Aber solange es hier keine Urteile oder Anklage gibt, wird sich an dem Narrativ nichts ändern.“, glaubt ein anderer Demonstrant, den es eher zufällig hierher verschlagen hat. Er wollte einen Freund treffen, dann habe man sich eben hier verabredet. Er ist davon überzeugt, dass Sebastian Kurz auch aus Neuwahlen als Erster hervorgehen würde.
Wie es weitergehen soll, weiß auch auf der Demonstration niemand so genau. Nur, dass Kurz und sein engeres Umfeld nicht mehr tragbar seien, so viel steht für die meisten fest. „Ich will eigentlich keine Neuwahlen. Ich würde es für sinnvoll erachten, wenn die Personen, denen die Vorwürfe gemacht werden, ausgetauscht würden. Und ich denke es ist gut, in diesen Zeiten ein grünes Justizministerium zu haben. Das sollten wir zu schätzten wissen und nicht so leicht aufgeben“, sagt eine junge Frau, die auch gemeinsam mit einer Freundin da ist. Die Heldin des Abends ist allgemein die Justiz. I <3 WKStA liest man quasi an jeder Ecke: auf Plakaten, auf Stickern, auf Transparenten.
Da und dort diskutiert man, welche Szenarien möglich erscheinen, ob sich etwas ändern wird oder nicht. Manche stehen auch alleine am Rand, nippen an ihrem Bier. Andere holen sich Sticker von der Sozialistischen Jugend, die die Kundgebung gemeinsam mit der Aktion Kritischer Schüler*innen, der Jungen Generation, dem VSSTÖ und der Linkspartei LINKS organisiert hat. Weiter vorne wird ein Benaglisches Feuer gezündet. Viele schwanken zwischen Optimismus einerseits und Resignation andererseits, klare Wunsch-Szenarien gibt es keine. „Wann soll sich etwas ändern, wenn nicht jetzt? Wie sich ÖVP, Sebastian Kurz und sein Umfeld da jetzt rauswinden wollen, ist mir schleierhaft und ich habe viel Fantasie“, lacht die Studentin.
Langsam zerstreut sich die Menge wieder, die Lichtenfelsstraße leert sich immer mehr. Die Menschen tragen ihre improvisiert und schnell gemalten Schilder nach Hause. Das heißt vor allem wieder warten. Auf das nächste Pressestatement, auf Konsequenzen, auf Veränderung. In welcher Form auch immer.
Titelbild: (c) Max Bell