In dieser Kolumne wird unser Redakteur Tyll Leyh erwachsen. Das ist zumindest der Plan. Er probiert Hobbys, scheitert und liefert dabei Einblicke in sein Seelenleben. In dieser Folge hört er mit dem Rauchen auf. Einfach so und für immer?
Ich habe einen Druck auf der Lunge und kann niemandem davon erzählen. Schon länger als es wirklich andauert, stärker als ich es verdrängend wahrhaben möchte und trotzdem weniger schlimm als die letzte Bronchitis.
Nur, niemand hört sich mehr die Leiden eines Rauchers an, jeder hat die schnelle Antwort parat:
Aufhören.
Denn Rauchen einfach sein zu lassen ist Common Sense, just in diesem Moment wurde die letzte Kippe aus dem letzten Kegelclub entfernt, zumindest bis zum nächsten Volksbegehren. Millionen Gewohnheiten wurden verändert für die Gesundheit, also auch meine. Es gibt so viele Gründe fürs Aufhören wie Giftstoffe in der Zigarette, eine Schachtel Kippen = Einen Tag mehr leben, wie viel dann erst ein ganzer Drehtabak einbringt, hui…
Rauchen ist der Inbegriff der Jugend und dem fehlenden Bewusstsein für Vergänglichkeit. Erwachsen hingegen ist es, sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu werden. Hat man das mal gemacht, kommt man zwangsläufig dazu, chronischen und lebensverringernden Krankheiten vorbeugen zu wollen.
Es ist erwachsen, es ist etwas für mich.
Zum Glück bin ich Raucher, sonst könnte ich gar nicht damit aufhören und so starte ich erneut einen Selbstversuch mit klaren Rahmenbedingungen, etwas länger als die Viertelstunde Aufräumen und die halbe Stunde Laufen, ab jetzt, sofort, keine Zigarette mehr.
Nach der letzten und der wirklich letzten und der wirklich allerletzten gehe ich schlafen und bereite mich mental auf die Herausforderung vor. Werde ich mir eine App zulegen, die meinen Fortschritt misst? Ich entscheide mich dagegen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Zigaretten ich nicht geraucht habe, ich zähle ja auch nicht, wie viele Kilos an Gemüse ich in den letzten zwei Wochen hätte essen können oder wie viele Liter Wasser ich getrunken habe. Dass Kumulation über die Zeit beeindruckend wirken soll, leuchtet mir einfach nicht ein.
Dann stehe ich nach gar nicht mal so schwitzigem Schlaf auf, trinke Tee und rauche nicht. Ich gehe arbeiten und rauche wieder nicht. Ich stelle fest, dass ich gar nichts feststelle. Ich merke keinen Unterschied. Die Gedanken an Kippen in allen Formen ziehen an mir vorüber wie Werbeeinblendungen, ich bleibe unbeeindruckt. Abends denke ich, ich könnte nicht einschlafen, kann es dann doch.
Wie alles duftet…
Am zweiten Tag beschleicht mich dann das Gefühl, dass es niemand aus meinem näheren Umfeld mehr hören kann, dass ich jetzt mit dem Rauchen aufgehört habe. Mein missionarischer Eifer wird nur übertroffen von der Behauptung, dass es mir wirklich gar nichts ausmacht und wie einfach es ist, einfach so aufzuhören. Sollte wirklich jeder sofort machen.
Dann ist es Sonntag Mittag und ich rauche das erste Mal seit langem heimlich. Einfach so. Ich stehe am Fenster und ziehe den Rauch ein, genieße den Tabakflash, die Pause, den Moment der Ruhe und Gelassenheit. Danach putze ich die Zähne, werfe den Zigarettenstummel versteckt weg und habe das Gefühl, das perfekte Verbrechen verübt zu haben. Ich wurde nicht erwischt. Die Frage ist aber auch, von wem denn? Ich bin keine 14 und so richtig interessiert sich für die Sache niemand. Ich bin nur mir selbst verpflichtet. Das macht es wieder langweilig und was dann bleibt, ist ein schlechtes Gewissen.
Die Sucht und ich.
Außerdem fällt mir auf, dass ich, je länger ich nicht rauche, umso mehr daran denken muss. An die Befriedigung bei einer Zigarette nach dem Essen, an die Freude beim Anblick einer perfekt gedrehten Tschick und an die ruhigen Momente, die sie einem verschafft, weil man sie für sich selbst beansprucht. Ich werde rührselig und denke an die soziale Komponente, an das beste Smalltalk-Thema aller Zeiten und wie viele Menschen ich dabei kennengelernt habe. Es überwiegen nun emotionale, nostalgische und menschliche Gedanken. Ich ertappe mich dabei, wie ich das Rauchen mit Sinn förmlich auflade, mit so viel meines Egos, meiner Unsicherheit und meiner Freiheit, dass ich nicht mehr weiß, ob ich oder mein Suchtgedächtnis da gerade redet.
Dann kommt die wirkliche Herausforderung, das Highlight.
Ich trinke.
Beim ersten Spritzer kann ich mein Verlangen nach Tabak noch ignorieren, aber ab dem zweiten Glas geht es einfach nicht mehr. Ich kann an nichts anderes denken, als mir endlich eine anzuzünden. Ich werde ganz hibbelig, hektisch und ich gehe in meinem Kopf alle Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung durch, von denen ich mir jetzt eine schnorren könnte. Wer dafür den geeignetsten Tabak, die besten Papes hat, bloß keine fertigen Zigaretten. Ich bin abgelenkt, folge der Konversation nur noch beiläufig, denke an all die Gründe fürs Rauchen und tue es.
Ich rauche wieder, obwohl ich doch sagte, ich würde aufhören und dabei merke ich, was es zum erwachsenen Hobby macht, damit aufzuhören. Ich werde es wieder tun, wöchentlich, täglich, stündlich, wie Sport. Ich werde auch immer wieder anfangen, davon genervt sein und es wieder lassen. Es wird mich mit derselben Hassliebe begleiten wie die nächste Folge Tatort.
Es ist kein Gefühl, das einfach weggeht, es kommt wieder und ich entscheide je nach Tagesform, was ich damit mache. Ich quäle mich nur soviel ich muss. Endgültig aufhören kann ich immer noch mit 30.
Im neuen Jahr folgen dann gute Vorsätze, Achtsamkeit und Tyll tut #5 Yoga.
Erfolgserlebnisse: Nur wenn es auch klappt 8/10
Macht fit und belastbar: Wenn nicht das, was denn dann 10/10
Fühlt sich nach Arbeit an: Ohne Worte 10/10
Preislich skalierbar: Kostet nichts, man spart sogar; erst recht, wenn man nur noch schnorrt: 1/10
Spaß: Wenn wiederkehrende Zwangsgedanken Spaß sind, dann schon 2/10
Gesamt: 31/50
Ich weiß auch nicht, wie man das schreibt.