Tonio Schachingers Debütroman Nicht wie ihr (Kremayr und Scheriau) ist ein Buch über Fußball. Aber nicht nur. Es ist auch ein Buch über Liebe, Luxus, Angst und Abgehobenheit. Klug, überaus witzig und frech erzählt es die Geschichte eines österreichischen Fußballstars, der alles hat, alles aufs Spiel setzt, jederzeit alles verlieren kann und alles vom Leben erwartet. Ein Buch für Freunde des Ballsports, aber nicht nur.
Es ist die klassische Aufstiegsgeschichte: Ivo Trifunović spielt sich aus dem Käfig in die obere Liga, verdient 100.000 Euro in der Woche und hat alles, wovon er je geträumt hat: Familie, Luxus, Autos und Ansehen. Sein Leben wird vom Verein durchgeplant, er hat kaum Freizeit und sein Privatleben steht ständig im Fokus der Klatschpresse. Das ist der Preis, den er für den Erfolg zahlt. Bis er sich wieder in seine Jugendliebe Mirna verliebt. Plötzlich kollidiert er mit seinem früheren Ich und einer Welt, aus der er sich hochgekämpft hat, mit der er aber kaum noch Berührungspunkte hat. Der Star gerät ins Straucheln.
„Echte“ Österreicher und „echte“ Männer
Ivo scheint eine zusammengekleisterte Figur aus verschiedenen österreichischen Fußballern zu sein. Gleicht man den fiktiven Lebenslauf mit den Biografien diverser Spieler ab, lassen sich Parallelen erahnen, schnell vermutet man bei kleinen Hinweisen eine Gleichsetzung zwischen echter und fiktiver Figur, die auf den nächsten Seiten wieder entkräftet wird. So teilt er sich mit Ivica Vastić den Namen und eine Schlagzeile der Kronen Zeitung („Ivo, jetzt bist du ein echter Österreicher“), mit anderen wie Marko Arnautović die Choreografie des Aufstiegs. Ivo verkörpert ein ebenso klischeehaftes wie auch authentisches Sittenbild des Milieus. Die extreme Ambivalenz der Figur macht den Roman so lesenswert, sie hindert ihn daran, ins Belanglose abzurutschen. Ivo ist in einem Moment ein selbstverliebter Macho, im nächsten angewiesen auf Zuneigung und Bestätigung und im übernächsten Moment wieder König seiner Welt, der unnahbare Superstar, der seine Nachmittage damit verbringt, alleine mit seinem Bugatti durch die Landschaft zu brettern.
Ivo fährt nur noch Autobahn, weil er gar nicht richtig fahren will. Er möchte nur sein.
Ein österreichischer Roman
Schachinger verbindet zwei völlig unterschiedliche Welten, die in der Hauptfigur ganz natürlich ineinander verschwimmen. Die Kabinenduschen des Favoritner AC und der private Whirlpool in der Luxusvilla, Döner und Champagner, der Abschluss von Millionengeschäften und die Gespräche beim Grillen im Floridsdorfer Garten. Das österreichische Idiom gibt dem Text extra Würze. Im glattpolierten, perfekten Luxusleben in England ist die Tochter auch mal „wurlat“, wird „zizerlweise“ Entwicklung verachtet und können nicht nur Menschen, sondern auch Gefühle „schiach“ sein. Schachinger weiß um die Untertöne, die mitschwingen, wenn man Figuren die österreichische Sprache in den Mund legt. Vieles lässt sich ins Bundesdeutsche übersetzen, würde aber an Charakter und Farbe verlieren. Schachinger schreibt so unangepasst, wie seine Hauptfigur handelt, und war damit dann sogar noch für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert.
Rotzfrech und unaufgeregt ehrlich
Das große Kunststück, an dem so viele Romane scheitern, mit dem Schachinger aber brilliert, heißt Humor. Der Protagonist nimmt sich kein Blatt vor den Mund, ist politisch inkorrekt und frech. Seine Reflexionen über die österreichische Kleingeistigkeit, Rassismus und scheinheilige Moral sind tiefgehend, aber nicht pathetisch, intelligent, aber unaufdringlich und vor allem: wahnsinnig witzig und bitterböse.
Und überhaupt, wenn je ein Land dankbar für seine Ausländer sein sollte, dann Österreich. Man muss ja nur nach Deutschland schauen, um zu sehen, wie Österreich rundherum geworden wäre, wenn rundherum nicht Tschechen, Jugos und Ungarn gelebt hätten, sondern andere Kartoffeln. Es gäbe keine gescheiten Knödel, keine schönen Leute und keine gute Musik. Österreich ohne Migranten wäre genauso fad wie Deutschland.
Dem Text gelingt das quasiunmögliche: Ein Roman über Fußball kann Fußballdesinteressierte unterhalten und bringt Lachfaule zum schallenden Lachen. Man möchte sich alle Pointen herausstreichen und irgendwo aufhängen. Und dann den Roman eigentlich gleich ein zweites Mal lesen, weil er so gute Laune verbreitet und weil einem Ivo sofort ans Herz gewachsen ist.