Rian Johnson – Knives Out (USA, 2019)
Whodunit / Black Comedy / Satire
Daniel Craig / Chris Evans / Toni Collette
Vor ziemlich genau zwei Jahren katapultierte sich Writer-Director Rian Johnson mit einem Knall in den Mainstream – einem Knall namens Star Wars VIII: The Last Jedi, der auch heute noch hitzig in den Kommentarspalten diverser Filmseiten diskutiert wird. Die einen feiern Mr. Johnson für mutige Story-Entscheidungen, die anderen sehen ihn als Blender, dessen Markenzeichen „subverting expectations“ als Taschenspielertrick auf Kosten von Plot-Kohärenz eingesetzt wird.
Ich für meinen Teil sehe The Last Jedi mit durchaus wohlwollender Ambivalenz. Manche Wendungen waren wirklich spannend und unerwartet, den oft gescholtenen Casinoplaneten-Ausflug fand ich durchaus unterhaltsam und das Gesamtpaket eigenständiger und weit weniger „mehr vom Bekannten“ als Episode VII. Doch dem standen einige Logiklücken, ein bisweilen schon an Trolling grenzendes Verhackstücken im Vorgänger vorbereiteter Story-Stränge und deutliches „out of character“-Verhalten bestimmter Figuren gegenüber.
Das war nun aber genug Star Wars für diesen Artikel. Schließlich geht es hier um Johnsons jüngstes Werk Knives Out (in deutschsprachigen Gefilden mit dem Untertitel Mord ist Familiensache versehen), das außer Frank „Yoda“ Oz in einer Nebenrolle und dem Umstand, dass Michael Shannons Charakter optisch ein wenig wie ein Bootleg-Mark Hamill daherkommt, herzlich wenig mit Sternenkriegen zu tun hat. Wie schlägt sich der Regisseur also in einem humorvoll-spannenden Whodunit-Rätselkrimi, in dem er auf halb Hollywood (vom altgedienten Haudegen Christopher Plummer über wohlbekannte große Namen wie Jamie Lee Curtis oder Toni Collette bis hin zu den erst in den 2010ern groß rausgekommenen, jungen Stars Chris Evans, Ana de Armas und Jaeden Martell) zurückgreifen kann?
„Der Typ wohnt doch auf einem Cluedo-Brett!“
Eine Woche ist es her, dass der kauzige Krimiautor Harlan Thrombey (Plummer), 85, in der Nacht nach seiner Geburtstagsfeier mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden wurde. Von den Behörden zunächst rasch als Selbstmord eingestuft und scheinbar schon de facto zu den Akten gelegt, wird der Fall für die Familie überraschend wieder aufgerollt, als ein Polizisten-Duo (LaKeith Stanfield und Noah Segan) mit Benoit Blanc, „dem letzten Gentleman-Detektiv“ (niemand Geringerer als „James Bond“ Daniel Craig) im Schlepptau auf Harlans Anwesen auftaucht und beginnt, die dort auf die Testamentseröffnung wartende, mehr oder weniger trauernde Familie ermittlerisch in die Mangel zu nehmen…
Ein gruseliges Herrenhaus wie von Edgar Wallace erdacht, eine Art „locked room mystery“ mit Agatha Christie-Anklängen, einige Szenen (hier – sinnvoll und wohldosiert eingesetzte – Rückblenden), in denen der Zuschauer einen Wissensvorsprung gegenüber den Ermittlern erhält, was an Columbo erinnert, und die oben geschilderte Ausgangssituation, die innovationstechnisch keine Bäume ausreißt: Allzu leicht hätte Knives Out eine reine Ansammlung von Krimi-Versatzstücken werden können – oder noch schlimmer, eine Scary Movie-mäßige Nummernrevue, die notdürftig von einem kaum vorhandenen Plot zusammengehalten wird. Glücklicherweise ist dies aber keineswegs der Fall!
„Harlans Mutter?! Wie alt ist sie?“ – „Das weiß keiner!“
Denn bei allen (niemals penetrant augenzwinkernden) Anspielungen auf Genre-Konventionen und humoristischen Elementen (gerade K Callan als steinalte Mutter des 85-jährigen Harlans sorgt immer wieder für herrliche Situationskomik, ohne dabei je der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden) spielen Geschichte und Charaktere stets die ersten Geigen: Nie wird die Story-Kohärenz für eine Pointe geopfert. Sogar die unheimlichen Puppen und anderen seltsamen Einrichtungsgegenstände der Villa passen gut zu dem exzentrischen Hausherrn, der damit Handlungselementen seiner eigenen Kriminalromane Denkmäler setzt, und sind somit mehr als hübsch-hässliche Staffage. Keine Figur verkommt zur Karikatur (erstaunlicherweise selbst jene nicht, die sich nach dem Erzählen einer Lüge stets übergeben muss, auch wenn es auf dem Papier dermaßen kreuzdämlich wirkt) und niemand handelt auch nur eine Sekunde „out of character“. Es gibt keine Twists um des Twists willen, sondern sie ergeben sich nachvollziehbar aus den Charakteristika und Motivationen der Verdächtigen (und auch wenn Krimi-Fans manche Wendungen kommen sehen, dürften selbst diese von anderen überrascht werden). Und obgleich ich nicht wirklich in Worte fassen kann, wieso, hat der Film etwas wohlig Altmodisches und „streamlined“ Neumodisches zugleich, ohne jeweils in „nostalgia bait“-Gefilde zu verfallen oder sich im „How do you do, fellow kids?“-Stil an jüngeres Publikum anzubiedern.
Wenn diese Kritik etwas nebulös bleibt, hat dies einen guten Grund. Da es sich hier um keine Adaption einer wohlbekannten Geschichte handelt und quasi die gesamte Belegschaft aus Stars besteht, ist es im Vorfeld (auch nach dem Betrachten des Trailers) angenehm unklar, auf wen sich die Handlung besonders konzentriert, wessen Blickwinkel primär eingenommen werden, und wer eher Haupt- oder Nebenrollen spielt (ein Beteiligter verkommt trotz Build-up leider fast zum bloßen Stichwortgeber, doch bleibt dies glücklicherweise die Ausnahme). Ich kann bestätigen, dass das Beibehalten dieser Offenheit in diesem Fall dem Filmgenuss sehr zugute kommt, da so die Spannung, alles könne passieren, aufrecht erhalten wird. Daher kann ich hier leider auch nichts Näheres über die für mich stärkste schauspielerische Leistung des Films oder jene Figur, die mich genuin aufs Glatteis geführt hat, schreiben.
„Grundgütiger!“
Nur soviel: Craigs Mr. Blanc ist ein komischer Vogel, der sowohl die Thrombeys als auch (anders als Peter Falk in Columbo) die Zuseher öfters mal darüber rätseln lässt, ob er nun tatsächlich genial, völlig unfähig oder beides ist. Er mimt aber keinesfalls eine (durchaus amüsante) Witzfigur wie sein Joe Bang in Logan Lucky oder gar einen Pseudo-James Bond, sondern einen eigenständig Flair-versprühenden Ermittler, dessen Recherchen spannend und spaßig ausfallen. Plummers Harlan Thrombey tritt naturgemäß nur in Rückblenden auf, aber erhält in jenen mit der Zeit viel Profil und wird zu weit mehr als einem bloßen „plot device“. Und in Bezug auf Harlans potentielle Erben kommt es besonders stark und gespenstisch, wenn die Stimmung mal kippt und (geheuchelte?) Höflichkeit (mehr oder weniger) versteckten Drohgebärden weicht. Zeitweise erinnert mich die Atmosphäre diesbezüglich an Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame.
Kurz: Knives Out erfindet das Krimi(komödien)-Rad nicht neu, aber fühlt sich dennoch erstaunlich frisch und eigenständig, spannend und unterhaltsam an, und bleibt dabei trotz über zwei Stunden Laufzeit nahezu frei von Längen! Kein Film, der auf einem spezifischen Gimmick aufbaut, sondern einfach ein richtig guter Genre-Vertreter, der mehr ist als die Summe seiner Teile, und jedem Kinogänger ohne Krimi-Aversion empfohlen werden kann – selbst jenen, die mit The Last Jedi überhaupt nichts anfangen konnten!
8/10
Herausgeber des "Generation N"-Printmagazins und generation-n.at-Videoredakteur, Germanist, Informatiker, Videospielfreak seit Kindergartentagen, auch Kino, Comics und dem Basteln von seltsamen Kurzfilmen nicht abgeneigt sowie stolzer Absolvent eines Wochenend-Intensivkurses der Clownerie.