Constanze Passin, Daniel Wagner

Der, die, das „Baal“ im Werk X

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Letzten Donnerstag feierte „Baal“ von Bertolt Brecht im Werk X Premiere. In der Inszenierung von Ali M. Abdullah werden die Geschlechter durchgemischt. Trotz einer soliden schauspielerischen Leistung bleibt vom Stück nicht viel mehr als eine Menge Müll über.

Baal, muss das sein? Gibt es nicht bessere Werke von Brecht, die man inszenieren könnte? Nicht mal Brecht selbst wusste, wann er aufhören soll dieses Stück neuzuschreiben. Gerade das macht es aber so interessant. Deswegen wagt sich auch Ali M. Abdullah an eine Neuinszenierung. Das bedeutet auch wieder einen gesellschaftlichen Gegenentwurf, aber natürlich keinen besseren.

Bertolt Brechts Figur Baal ist in einer Zeit entstanden, in der die Männlichkeit in der Kunst und in der Gesellschaft so ungebrochen selbstverherrlichend dargestellt wurde, dass man heute nur noch davonlaufen kann und einem das Kotzen kommt.
– Ali M. Abdullah, aus dem Programmheft

Baal, das ist das fürchterliche Alter Ego, das sich Bert Brecht schon 1918 schuf. Ein Lyriker, ein Säufer, ein frauenverderbendes Monster, dem dennoch keine widerstehen kann. Wie kann man denn heute noch die Wahl eines so sexistischen Stückes rechtfertigen? Indem man die Geschlechter umdreht. Baal (Constanze Passin, dann Michaela Bilgeri) und Ekart (Constanze Passin) werden von Frauen, die Geliebten von Männern gespielt, weitere Nebenrollen auch geschlechtsunabhängig (Christoph Griesser, Felix Krasser, Daniel Wagner) besetzt. Dabei gehen die Schauspieler zeitweise tatsächlich über die Komik eines haarigen Mannes in Kleid und Perücke hinaus.

Zu viel des Missbrauchs

Baal, das ist vor allem ein rumbumsendes Arschloch. Deshalb wird auch die heftige Vergewaltigung der neuen Freundin Ekarts in der ersten Publikumsreihe zum Gipfel des Abends. Ein Gast stapft wütend raus und wieder rein und bei der nächsten Sexszene wieder raus. Sie ist nicht die Einzige. Die Hälfte des Publikums schmunzelt über die Gäste, die sich weiter zurückstrecken als sie können, weil ihnen sonst ein Genital ins Gesicht baumeln würde. Die andere Hälfte ist starr vor Schock. Es ist eine harte Szene.

Michaela Bilgeri ist ein starker Baal, mit einer schönen Stimme. In den Szenen, in denen sie Luft holen muss, wird sie von Constanze Passin als Ekart überholt, die ihren Charakter durchzieht und damit zu mehr als einer Nebenrolle wird. Andreas Dauböck sorgt für Livemusik – und damit für ein großes Plus -, er spielt vier Instrumente auf einmal und singt dazu, kein Problem für ihn.

Constanze Passin, Daniel Wagner
Constanze Passin, Daniel Wagner © Alexander Gotter

Viel Müll für nichts

Das Bühnenbild ist hässlich, aber funktional. Es besteht fast nur aus Styroporplatten, die nach der Aufführung so kaputt sind, dass man sie kaum wiederverwenden kann. Spätestens nach dem zweiten Mal muss man alle austauschen, weil sie sonst nicht mehr im Rahmen halten.

Das riesige Wasserbecken, das die ganzen zwei Stunden und 30 Minuten über in der linken Ecke auf ein melodramatisches Wasserschlachtende warten lässt – obwohl es nach der krassen Vergewaltigungsszene keinen weiteren dramatischen Höhepunkt braucht -, dient tatsächlich nur dazu, dass Ekart darunter während der Vergewaltigung seiner Liebschaft unter zusätzlich strömendem Regen drei nachdenkliche Runden dreht. Für diese Wasserverschwendung wurde die Hälfte des Spielraums eingeschränkt und musste noch dazu mit riesigen Plastikplanen ausgelegt werden. Und dann noch die ganzen Plastikflaschen. Aber „Ohne Schnaps keine Lyrik“. Noch einmal: Muss das sein?

Im Jahr 2020 geht das einfach nicht. Gerade kleine und mittlere Theater sollten ein Vorbild in Sachen Ressourcenschonung sein. Für Alternativen braucht es ein wenig Kreativität oder dringend einen Workshop zum grünen Produzieren.

Was ein schönes Schlagzeug

Schauplätze und Personenauftritte werden eingeblendet, sonst würde man sich auch nicht mehr auskennen. Zeitweise wird mit Livekamera gefilmt, weil jetzt nun mal jeder Livekamera auf der Bühne einsetzen muss. Das Gequietsche vom Rumtrampeln auf dem Styropor ist unerträglich. Es wird gespuckt, gefickt, geplantscht. Für den Verfremdungseffekt – weil Brecht – sorgen fratzenähnliche Masken, die zum Schluss abgenommen werden, um einfach trocken ins Publikum zu sprechen, als Ersatz für einen großen Todeskampf. Am Ende gibt es großzügigen Applaus. Baal ist und bleibt trotz des Geschlechterwechsels ein sexistisches Stück von einem genialen, aber frauenverachtenden Autor, doch es war einen Versuch wert.

Aus dem Ruhrgebiet. Studentin der Komparatistik und der Kommunikationswissenschaften.

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