Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts stellt fest: Selbst im Tod haben wir noch die Freiheit zu entscheiden.
Diese Woche stellte das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fest, dass ein Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe nicht mit der Würde des Menschen vereinbar und somit nichtig sei. Nun lässt das Wort gewerbsmäßig in diesem Kontext aufhorchen. Man stellt sich sofort Geschäftemacherei mit der Selbsttötung vor.Geschäftsmäßig bezeichnet in diesem Zusammenhang jedoch etwas völlig anderes, nämlich auf Wiederholung angelegte Angebote der Sterbehilfe. Das bedeutet, dass Vereine, die in der Vergangenheit Menschen bei einem professionell organisierten und somit würdigen Freitod unterstützten, ihre Arbeit jetzt wieder aufnehmen können.
Dass Menschen ihr Leben aus freien Stücken beenden wollen, ist ganz sicher nicht das angenehmste Thema für eine Kolumne, aber als jemand, der einen Menschen bis in den Tod begleitet hat, weiß ich, wie wichtig es ist, sich trotzdem damit zu beschäftigen.
Die AfD Politikerin Beatrix von Storch meinte zu dem Urteil, es schaffe „eine Kultur des Todes“. Ich würde das – wenig überraschend – etwas anders formulieren und würde von „einer Kultur des würdevollen Todes” sprechen. Von einer liberalen Gesellschaft, in der Menschen, für die es keine andere Option mehr gibt, als diese letzte Freiheit des Menschen, ihr Leben beenden können. Das sollte doch bitte auch mit professioneller Begleitung geschehen. Das Bundesverfassungsgericht fand für diese Freiheit jene schönen Worte: „Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist, wenngleich letzter Ausdruck von Würde.”
Die Entscheidung lässt offen, wie der Gesetzgeber die Sterbehilfe konkret reglementiert, ob etwa Beratungsgespräche Pflicht sein sollen oder gewisse Fristen eingehalten werden müssen.
Das ganze Thema, das eigentlich als humanistische Selbstverständlichkeit gelten sollte, erinnert ein wenig an die nie enden wollende Debatte über Schwangerschaftsabbrüche in den USA. Und in beiden Fällen sind es dieselben, die aufschreien. Konservative, die im Leben ein gottgegebenes Privileg sehen, das sie zu verteidigen ausziehen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sich religiöse Fundamentalisten empört gegen die Würde des Einzelnen stellen. Schön, dass sich in einem weitgehend säkularen Staat wie Deutschland Gerichte nicht auf religiöse Ideen, sondern auf Verfassungen stützen.
Am Ende geht es nämlich nicht darum, ob nun mehr Menschen Sterbehilfe in Anspruch nehmen, sondern ob sie überhaupt die Wahl haben. Erst wenn ein würdevolles Ableben gewährleistet ist, können Menschen wirklich frei entscheiden. Leichtfertig fällt diese Entscheidung ja ohnehin niemandem.
Comitted to the best obtainable version of the truth.