Das erste Mal Fahrrad fahren, der erste Kuss, das erste Mal schwimmen im Regen. Einige erste Male sind größer, andere sind kleiner und unbedeutender, eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie gehen meist so schnell wie sie kommen. Von Kochbananen, Trauerfeiern und Kommunikationsproblemen.
Vor Antritt unserer Reise nach Tansania haben wir uns bewusst nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht, wie es dort wohl sein würde. Klar hatte man eine gewisse Vorstellung davon im Kopf, was einen dort erwartet. So hat man sich die Häuser, die Menschen und das Essen vorgestellt. Im Endeffekt war dann doch alles anders. Jedenfalls war mir nicht klar, dass ich eine Fülle von riesigen ersten Malen vor mir hatte. Vielleicht war die Ungewissheit auch gar nicht so schlecht, hätte mich die bewusste Kenntnis einiger Dinge vielleicht abgeschreckt.
Neue Herausforderungen
Mein Freund und ich hatten uns gemeinsam überlegt, nach unserem Bachelor eine zweieinhalbmonatige Reise zu machen. Einen Monat davon wollten wir uns sozial engagieren. Wir beide hatten zuvor noch nie so etwas in der Art gemacht und wollten es unbedingt einmal ausprobieren, neue Erfahrungen sammeln, etwas zurückgeben und auch die eigenen Grenzen ausweiten. Nach längerer Überlegung und etlichen Google-Suchen später hatten wir uns für Afrika entschieden. Afrika, das klang schon damals ziemlich groß, ziemlich weit weg und auch ein bisschen beängstigend. Trotzdem wollten wir es wagen. Wir hatten uns schließlich für eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in München und Tansania entschieden – Jambo Bukoba. Ab Mitte Februar ging es los.
Jambo Bukoba organisiert Projekte für Schulen in der Region Kagera, im Nordwesten von Tansania, wie beispielsweise den Bau von Toiletten und Wassertanks oder die Ausstattung mit Schulbänken. Je nachdem was die Schule benötigt, werden Sport und Spiele für die Kinder organisiert und auch Workshops zur Weiterbildung für die Lehrer der jeweiligen Schulen angeboten. Was wir dort gemacht haben war Folgendes: Drei Wochen waren wir an einer Primary School in Kanyigo, im Hinterland von Tansania, etwa 40 Autominuten entfernt von Bukoba. Dort haben wir vormittags auf einer Baustelle mit lokalen Arbeitern an dem Neubau von Latrinen (Hocktoiletten) gearbeitet. Nachmittags haben wir dann mit den Kindern der Schule Sport gemacht und Spiele gespielt. Das Ganze fand im Rahmen eines Programms namens “Learning Safari” statt, das uns neben der Arbeit an der Schule auch ermöglicht hat, das Land und das Leben dort besser kennenzulernen.
Ein Mitarbeiter von Jambo Bukoba, der ursprünglich aus Bukoba stammt, jedoch auch Deutsch gesprochen hat, hat uns dort unterstützt. Dieser hat uns die Umgebung gezeigt, mit uns Ausflüge gemacht und uns so an das Leben dort herangeführt. Er war das Bindeglied zwischen unserer und der dortigen Welt.
Eines der Hauptziele der Organisation ist es, das Bewusstsein der Kinder und auch der Lehrer für Krankheiten wie beispielsweise Aids, die in vielen afrikanischen Ländern immer noch ein großes Thema ist, zu stärken. So wurden einige Spiele auch direkt darauf ausgerichtet und so entwickelt, um die Krankheit für die Kinder nahbar zu machen und so den bewussten Umgang damit und die Vorsicht davor zu stärken. Außerdem sollen die Spiele die Gleichberechtigung zwischen Jungs und Mädchen fördern. So sind die Spiele oft sehr simpel aufgebaut, dafür aber sehr effektiv und auf die Förderung von Teamgeist und der Stärkung des Selbstbewusstseins ausgerichtet.
Vormittags also auf der Baustelle arbeiten, nachmittags bei den Kindern. Wir hatten zwar auch viel Freizeit, jedoch war die Arbeit schon sehr anstrengend. Dazu kam, dass ja alles neu war, die Umgebung, das Essen, die Menschen, einfach die komplette Kultur. Von Tag eins an sind wir direkt eingetaucht in eine neue Welt.
Zwei der insgesamt drei Wochen haben wir bei einer lokalen Familie gewohnt. In einem Steinhaus ohne fließendes Wasser, Internet und mit Hocktoiletten. All das war für die Menschen dort Alltag, gehörte zu ihrem Leben dazu, für uns war es einfach etwas komplett anderes, eine 180 Grad Wendung von dem was wir von unserem Zuhause kannten. Daran muss man sich erstmal gewöhnen. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für diese Erfahrungen (auch besonders deshalb, da wir uns in der Familie sehr wohl gefühlt haben), aber ich muss auch zugeben, dass es zeitweise schon eine große Herausforderung war, psychisch und physisch. Die Arbeiten auf der Baustelle gingen mir schon an die Nieren, dort wurde beispielsweise kein einziges elektrisches Werkzeug verwendet. Alles wurde per Hand gemacht. So wird auch der Beton mit einer Schaufel gemischt. Hört sich nicht so schwer an? Dann mach das mal eine halbe Stunde lang bei sonnigen 30 Grad. Zusätzlich sind wir dann viermal am Tag mit dem Fahrrad zwischen der Schule und unserem Zuhause hin und her gefahren. Und alles war anders. Da war ich dann abends schon immer sehr k.o..
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt
Vieles habe ich dort das erste Mal ausprobiert, einiges werde ich in Zukunft nicht vermissen, dazu gehören die Hocktoiletten und die Kochbananen, die man einem Laien als kartoffelbreiartiges Mus, nur eben aus Bananen, beschreiben könnte. Diese isst man dort praktisch täglich, da eigentlich jeder diese in seinem eigenen Garten anbauen kann.
Andere Dinge waren eine Bereicherung, etwa ein kleines Baby in den Armen zu halten, das gerade einen Monat alt war oder mit den Schulkindern Fotos zu machen, die so begeistert in die Kamera strahlten, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt. Einiges, da bin ich der festen Überzeugung, muss man auch einfach mal ausprobieren ohne zu viel darüber nachzudenken. Wie beispielsweise Grashüpfer zu essen (übrigens eine Delikatesse in dieser Region Tansanias). Augen zu und durch!
Aber die wohl krasseste Erfahrung, die wir dort gemacht haben, war die Trauerfeier. Da der Vater unseres Gastgebers in der ersten Woche unseres Aufenthalts gestorben war wurde für diesen eine Beerdigung ausgerichtet. Und diese überstieg wirklich jegliche Grenzen unserer Vorstellungskraft. Dort ist es nämlich üblich, dass nach dem Tod alle Verwandten (und die tansanischen Familien sind sehr groß), Nachbarn, Freunde und auch Bekannte des Toten anreisen oder vorbei kommen. Sie übernachten dann dort, kochen und essen gemeinsam, sitzen einfach zusammen, um so ihre Anteilnahme und ihr Mitgefühl auszudrücken. Und das nicht nur einen oder zwei Tage lang, sondern eine ganze Woche. Heißt, es befanden sich jeden Tag ca. 200 Menschen in unserem Zuhause. Gegen Abend wurde dann die Musik angemacht und es wurde getanzt, getrommelt und gesungen. Eine Feierei, die bis in die frühen Morgenstunden anhielt. Und wir mittendrin. Fazit ist also, wir waren wirklich hautnah dabei.
Beidseitige Überraschungen
Die erstmaligen Erfahrungen betrafen jedoch nicht nur uns. Viele der Kinder dort im Hinterland haben noch nie zuvor Weiße gesehen. Wo für uns vor allem die Kultur und die Umgebung den Unterschied ausmachte, war es für sie unser äußeres Erscheinungsbild. Unsere Haut, unsere Haare, unsere Augen. All das hob uns von ihnen ab, man stand also ungewollt immer im Mittelpunkt. Babys fingen bei unserem Anblick an zu weinen. Viele Menschen beäugten uns mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis.
Meistens waren vorallem die Kinder jedoch sehr fasziniert von uns, wollten uns berühren und riefen sich gegenseitig „Mzungu“ zu, das heißt Europäer auf Swahili. Trotz der Sprachbarriere, denn viele konnten kein oder nur sehr schlechtes Englisch, waren alle sehr gastfreundlich und unglaublich nahbar. Das war wahrscheinlich auch das, was mich mit am meisten berührt hat. Obwohl wir Fremde waren, die auch noch ganz anders aussahen, luden uns viele zu sich nach Hause ein, wollten uns ihr Heim zeigen und für uns kochen.
Wenn sie sich mit uns unterhielten und Dinge über unser Leben in Deutschland und Österreich erfuhren, waren sie überrascht, denn vieles davon konnten sie sich gar nicht vorstellen. Die meisten dort kannten keine Waschmaschinen oder elektrische Herdplatten, sie wuschen alles mit der Hand und kochten über einer offenen Flamme. Viele Kinder und Jugendliche hatten die Region in der sie lebten noch nie verlassen, noch nie eine feste Straße gesehen. Sie kannten nur das, was auch in ihrem Kosmos existierte.
Was wir also alle gemeinsam hatten, war, dass sowohl wir als auch die Tansanier gezwungen waren, sich auf neue Dinge einzulassen, auf die man sich nicht vorbereitet hatte. Denn was alle ersten Male gemeinsam haben, ist ihr Überraschungseffekt, meist kann man sie nicht planen. Genau das macht ja auch ihren Reiz aus. Natürlich erleben wir Dinge nicht nur einmal, aber der Nervenkitzel, die Aufregung und das Kribbeln, ist dann kein Teil mehr davon.
Manche hätte man dann im Nachhinein vielleicht gern noch ein Stückchen inniger festgehalten, eine Minute länger ausgekostet. Egal ob es dann eine Erfahrung ist, auf die ich stolz und mit Freude zurückblicke, oder ob es nur noch eine flüchtige Erinnerung ist, die ich ganz hinten in meinem Kopf vergrabe. Im Nachhinein bin ich immer froh, dass ich es ausprobiert habe, auch wenn dazu gehört, sich drei Wochen lang hauptsächlich von Kochbananen zu ernähren.
Weitere Informationen
Solltest du Interesse an einer Learning Safari von und mit Jambo Bukoba haben, sieh dir die Website des Vereins an. Sie bieten kürzere Aufenthalte, aber auch mehrmonatliche Projekteinsätze und Social Sabbaticals an: https://www.jambobukoba.com/reisen-und-lernen/kleingruppen-reise/
Als nächstes erscheint ein Interview mit einem Mitarbeiter von Jambo Bukoba und ein Abschlussbericht über unsere Reise. Also, stay tuned!
Münchner Kindl, Nachteule und Naschkatze
Studentin für Literaturwissenschaften
[…] des Monats habe ich von meinen Erfahrungen in Tansania berichtet, von den Höhen, den Tiefen und meinen Problemen mit Bananen. Darüber, vor welchen […]