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Absurde Praktika – Studentisches Prekariat

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Unbezahlte Praktika sind die parasitären Begleiterscheinungen des Studiums, die sich in deine Geldbörse einnisten und Mittagspausen ungenießbar machen. Wir haben Freunde und Kolleginnen aufgefordert, über ihre absurdesten Praktika zu berichten und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.

In Österreich sind Praktika nichts weiter als informelles Schnuppern ohne Bezahlung.

Jetzt ist er da, der lang ersehnte Studienabschluss. Das Zeugnis in den Händen spaziere ich durch Wien und warte darauf, einem Headhunter aufzufallen. Der Lebenslauf wurde schließlich über die Jahre mit unzähligen Praktika, Nebenjobs und Projekten aufpoliert, damit irgendwo ein Fuß in der Türe hängen bleibt. Der Lock-Down hat aber auch alle Headhunter zurück in ihre Wohnungen getrieben, wo sie vermutlich in Kurzarbeit online vor sich hin jagen. Weil das Internet zur Zeit nicht wirklich viele Jobs anbietet, habe ich beschlossen, mich arbeitslos zu melden. Gearbeitet habe ich ja genug. Zu früh gefreut, denn ein Praktikum zählt laut AMS nicht als Arbeitszeit, wenn es keine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeit war. Unternehmen bekommen also gratis Arbeitskräfte (=Student*innen) und können jetzt um Förderungen ansuchen. Diese Gratis-Arbeitskräfte wiederum können oftmals keine Förderungen, bzw. kein Arbeitslosengeld beantragen, weil in den meisten Fällen unter der Geringfügigkeitsgrenze gearbeitet wurde und somit keine Arbeitslosenversicherungspflicht gegenüber der Arbeitgeber bestand. Ohne Arbeit keine Versicherung. Und ohne Versicherung kein Arbeitslosengeld. 


Was mache ich jetzt also mit dieser Kombination? Laut Christian Drosten, dem Virologen der Berliner Charité, könnte im Winter erneut ein Lock-Down notwendig sein, weil mit einer zweiten Erkrankungswelle zu rechnen sei. Bis dahin sollte ich also einen Job gefunden haben.



Ich bin ein Streber in unbezahlter Berufserfahrung, oder eine ganz normale Studentin, die sich langsam ins Prekariat gearbeitet hat.

Julia, 24 – Pflichtpraktikum im Gesundheitswesen

Ich musste im Rahmen meines Studiums ein (unbezahltes) Pflichtpraktikum absolvieren. Dabei herrschen strengere Bedingungen als etwa bei einem Volontariat. Man bekommt eine Ansprechperson zugeteilt, definiert Ziele und Erwartungen im Erstgespräch, spricht über Zeiten, Lohn und Versicherung, Aufgaben usw. Die Ansprechperson stellt einem zuletzt auch ein reflektiertes Zeugnis aus, das bestimmten Richtlinien unterliegt. In meinem Fall lief es ein wenig anders. Ich bekam gleich zwei Ansprechpersonen zugeteilt, die sich anscheinend untereinander nicht leiden konnten und sehr verschiedene Lehrmethoden vertraten. Ich konnte also prinzipiell nichts richtig machen, weil es immer eine andere Meinung gab. Das Erstgespräch fand erst gar nicht statt und die Einführung war ein zehnminütiges Verwirrungsgespräch. Ich wusste, dass ich diese drei Monate irgendwie durchstehen muss, weil jede*r diese Stelle wollte und ich ein positives Zeugnis brauchte. Am vorletzten Arbeitstag überkam mich ein Migräneanfall, weshalb ich um 12 Uhr Mittag (mit Erlaubnis) nachhause ging. Im Bett angekommen, schlief ich sofort ein und wurde gegen Mitternacht vom Anruf einer Betreuerin aus dem Schlaf gerissen. Die Spendenkassa sei aus der Arbeit gestohlen worden und ich sei die einzige Verdächtige. Die Polizei wäre schon verständigt und ich müsste am nächsten Tag vor den Behörden aussagen. Was dabei rauskam? Natürlich war es nicht ich, sondern ein*e Mitarbeiter*in. Ich hatte tatsächlich einfach Kopfweh. Trotzdem bekam ich das schlechteste Arbeitszeugnis von allen Praktikant*innen ausgestellt und wurde am letzten Arbeitstag mit Demütigungen entlassen.

© Ulrike Schild

Sinah, 25 – Praktikum in der Werbebranche

Mein erstes Praktikum war ein dreimonatiges, unbezahltes Pflichtpraktikum in einer Werbefirma. Eine normale Arbeitswoche ging im Schnitt von 09:00 bis 20:00 Uhr. Um eine unbezahlte 50 Stunden Woche durchzuhalten, muss der Kaffee ziemlich gut sein. Er war nicht nur schlecht, sondern auch ziemlich teuer. Denn die Kapseln für die Kaffeemaschine musste ich mir wöchentlich selber kaufen. Die Stelle hat mir anfangs viel bedeutet, weil die Firma einen guten Ruf und ich somit den Fuß in der Tür hatte. Damit ich mir das alles (also hauptsächlich Kaffee) leisten konnte, musste ich am Wochenende einen zusätzlichen Job annehmen. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich gut verstanden. Ganz anders war das mit meinem Vorgesetzten, der mich als „Nesthäkchen“ oder „Puppe“ bezeichnete und mich nur oberflächlich wahrnahm, obwohl die Firma ziemlich viele meiner Ideen verkaufen konnte. Ein bisschen mehr Wertschätzung und weniger Sexismus wäre durchaus angebracht gewesen.

Yasha, 25 – Politikwissenschaft, bezahltes Praktikum

Ich bekam für mein 30 Stunden Praktikum zwar sehr gut bezahlt, musste dafür aber zwei 40 Stunden Jobs ersetzen, weil plötzlich doch zwei Angestellte in Urlaub gingen. Meiner Meinung nach liegt das Grundproblem in Österreich darin, dass Stellen oft als Praktikum ausgeschrieben sind, jedoch nichts weiter als informelles Schnuppern ohne Bezahlung sind, was illegal ist. In Europa gibt es verschiedene Finanzierungssysteme für die Sozialversicherung mit erheblichen Unterschieden. Im Wesentlichen werden zwei Systeme unterschieden: Bismarck- und Beveridge-System. Im (österreichischen) Bismarck-System kommt es zu keiner Umverteilung zwischen den Einkommensgruppen, das heißt, versichert ist nur, wer Lohnarbeit verrichtet. In einem Beveridge-System wird hingegen die gesamte Bevölkerung abgedeckt und bekommt Pauschalleistungen. In Österreich entpuppt sich ein Praktikum sehr oft als Volontariat, weil sich der Betrieb keine zusätzliche Entlohnung leisten kann, dies aber nicht ausschreibt. Dass man sich dann trotzdem eine Person für Kaffee und Archiv hält, ist moralisch fragwürdig.

Annika, 22 – Auslandspraktikum mit Taschengeld

Ich war zwei Monate lang über die WKO in Belgien im Außenwirtschaftszentrum angestellt. Ich bekam die berühmt berüchtigte „Aufwandsentschädigung“ von 500€, mit der meine Wohnungskosten gedeckt werden sollten. Das Einführungsgespräch verlief ganz gut. Ich erhielt Aufgaben, wir vereinbarten Ziele und besprachen Erwartungen. In den nächsten Tagen und Wochen gab es dann doch keine Arbeit und ich verbrachte die meiste Zeit damit, Game of Thrones am Arbeitsrechner zu schauen. Die Arbeitsatmosphäre war ziemlich angespannt und unprofessionell, weil die Mitarbeiter*innen sich gegenseitig derart aufgestachelt hatten, dass ich bei Uneinigkeiten Partei für eine Front ergreifen musste. Ziemlich unentspannt das Ganze.

© Ulrike Schild

Praktika während des Studiums sind dazu da, um etwas zu lernen. Um stressige Jobluft zu schnuppern und zu wissen, auf was man sich einlässt, oder ob es doch in eine andere Richtung gehen soll. Also wie eine Art Zusatzqualifikation am Feld. Wäre da nicht Sexismus, Unterforderung und das Loch in der Tasche. Ohne Praktikum geht es in den meisten Fällen nicht, weil Erfahrung in der Berufswelt essentiell ist, bevor man sein Leben nach 9 to 5 ausrichtet. Natürlich ist nicht jedes Praktikum ein Reinfall. Wir haben auch einige positive Geschichten gehört, in denen Kolleg*innen zu Superheld*innen wurden, der Kaffee ausgezeichent war und es veganes Essen in der Kantine gab. Viele Studierende haben aber ganz andere Erfahrungen gemacht. Niemand sollte umsonst arbeiten müssen. Weil die Realität aber weit von dieser Forderung entfernt ist, sollte man als Arbeitnehmer*in ein Mindestmaß an Wertschätzung und Anspruch auf Versicherung haben. Somit hätte man in Zeiten der Pandemie wenigstens ein Minimum an Arbeitslosengeld. Unternehmen sollten also Eigenverantwortung übernehmen und alle ihre Arbeitskräfte bezahlten und versichern, auch wenn die Politik Lücken im System lässt. Die richtige Kennzeichnung (Schulpraktikum, Pflichtpraktikum, Praxistage, Volontariat, etc.) im Stellenangebot sei auch nicht zu vergessen, damit Praktikant*innen ihre Rechte vor Arbeitsbeginn einsehen können.


Weitere Infos:

Das Sozialreferat der Uni Wien unterstützt mit Corona-Hilfspaketen.

Die AK Wien hat hier einige „Tipps, damit das Praktikum kein Flop wird“ aufgelistet.

Stv. Chefredaktion / Gesellschaft

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