Wohnungslos durch die Krise

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Regierungen auf der ganzen Welt riefen in den letzten Wochen dazu auf, zuhause zu bleiben, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Aber was ist mit jenen, die kein Zuhause haben, in das sie sich zurückziehen können? Auch Händewaschen und Abstand halten setzt Privilegien voraus, die nicht alle von uns gleichermaßen genießen können.

„Am Anfang war die Situation sehr angespannt, weil ja alles sehr schnell gegangen ist“, so Susanne Peter, Projektleiterin der Caritas Streetworks, bei denen Sozialarbeiter*innen Obdachlose an öffentlichen Plätzen aufsuchen und ihnen Hilfe anbieten. Ende Februar wurden in Österreich zum ersten Mal Personen positiv auf das neuartige Coronavirus getestet. Zwei Wochen später verkündete die Bundesregierung: Österreich läuft von nun an für unbestimmte Zeit auf Minimalbetrieb. Die Möglichkeit, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen und aufzuhalten, wurde somit stark eingeschränkt. Besonders folgenschwer sind die Maßnahmen für Menschen, die prekär wohnen oder obdachlos sind. Während sich der Großteil Österreichs in Selbstisolation und Homeoffice zurückzieht, wissen sie jetzt oft nicht wohin.

Für die Sozialarbeiter*innen stellte es anfangs eine große Herausforderung dar, den Obdachlosen die Situation verständlich zu machen, so Peter: „Wir bekommen ja unsere Informationen aus Zeitungen, Fernsehen und Internet, das ist bei unseren Klientinnen und Klienten nicht möglich. Sie mussten erst durch Streetwork aufgeklärt werden, dabei gibt es oft Sprachbarrieren.“ Denn: Bei einem großen Teil der ungefähr 15 000 Wohnungslosen in Österreich handelt es sich um anerkannte Flüchtlinge und Migrant*innen. Vieles hätten sie anfangs nicht verstanden, schildert Peter, unter anderem, dass die Sozial*arbeiterinnen ihnen nicht mehr zur Begrüßung die Hand gaben, was vor Corona als wichtiges Zeichen der Kontaktaufnahme und der Wertschätzung den Klient*innen gegenüber galt.

Hochrisikogruppe

Gerade jetzt, wo Hygiene besonders wichtig wäre, ist der Zugang von Obdachlosen zu sanitären Einrichtungen eingeschränkter denn je: „Im öffentlichen Raum kannst du dir jetzt zu Corona-Zeiten nicht die Hände waschen. Die Brunnen sind noch nicht aufgedreht, es gibt keine Lokale wo man hingehen kann.“ Hinzu kommt, dass viele Obdachlose aufgrund von hohem Alter oder Vorerkrankungen zur Hochrisikogruppe zählen. Unzureichende medizinische Versorgung, Mangelernährung und langjähriger Alkohol- und Drogenkonsum verschlechtern ihren Gesundheitszustand oft noch weiter. Eine Studie aus 2019 wies bei fast einem Drittel der Wohnungslosen in den USA chronische Lungenerkrankungen nach, die das Risiko eines schweren Verlaufs bei einer Covid-19-Infektion besonders erhöhen.

Die Notquartiere der Caritas haben mittlerweile auf einen 24-Stunden-Betrieb umgestellt, um die Kapazitäten zu erhöhen. Doch die vielfach geforderte soziale Distanz lässt sich in den Mehrbettzimmern der Notschlafstellen nur sehr schwer umsetzen. Die räumliche Enge, sowie Gegenstände und Matratzen, die von mehreren Wohnungslosen benutzt werden, erhöhen die Infektionsgefahr enorm. „Es ist natürlich Angst vor Ansteckung da, einige Klientinnen und Klienten wollen gerade jetzt nicht in ein Notquartier“, so Peter. Auf der Straße droht jedoch die Konfrontation mit der Polizei. „Wir haben versucht, sie aufzuklären und zu sagen, ihr dürft jetzt auf der Straße nicht so eng zusammen sein. Das ist oft total schwierig für sie, das einzuhalten.“ Erschwerend kommt hinzu, dass Obdachlose zurzeit keine Psychotherapie in Anspruch nehmen können, da externe Personen die Notschlafstellen nicht betreten dürfen. Auch die wenigen Verdienstmöglichkeiten der Wohnungslosen – wie Flaschensammeln, Betteln oder Straßenzeitungen verkaufen – fallen jetzt nahezu weg.

Rasche Hilfe

Wie jede Krise trifft auch diese die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft am stärksten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Situation nicht nur für jene verschärft, die dieser Gruppe bereits angehören, sondern dass auch weitere Menschen durch das Coronavirus und seine Folgen in Armut und Prekariat getrieben werden: Expert*innen rechnen damit, dass tausende Österreicher*innen aufgrund von Jobverlust in den nächsten Monaten obdachlos werden könnten. Was sich Susanne Peter von der Politik wünscht, damit allen Obdachlosen und Gefährdeten bestmöglich geholfen werden kann? „Mein Wunsch lautet, dass nun alle, die Hilfe dringend benötigen, diese auch rasch und unkompliziert erhalten. Doch dieser Wunsch richtet sich nicht nur an die Politik, sondern an jede und jeden Einzelnen von uns.“

Wie es jetzt nach der Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen weitergehen soll, ist noch nicht vollständig geklärt. Fest steht, dass das Winterpaket für drei Monate bis August verlängert wird und Obdachlosen somit in den nächsten Monaten mehr Schlafplätze als üblich zur Verfügung stehen werden. „Ob der 24-Stunden-Betrieb der Notquartiere weiterhin aufrecht bleibt, ist Angelegenheit der Stadt Wien, aber ich hoffe es sehr“, sagt Peter. „Wir sollten für die Nöte dieser Menschen aufmerksam bleiben.“


Weitere Informationen

Auf www.caritas.at/corona-nothilfe kann man die Caritas während der Coronakrise mit Spenden unterstützen.

 

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