In dieser Kolumne wird unser Redakteur Tyll Leyh erwachsen. Das ist zumindest der Plan. Er probiert Hobbys, scheitert und liefert dabei Einblicke in sein Seelenleben. Diese Woche lässt er die Alpenrepublik hinter sich und verarbeitet den Nachteil von grenzenloser Mobilität: den dazugehörigen Umzug.
Umziehen heißt Neuanfang und nächste Lebensphase. Früher war das mal aufregend, als es hieß, endlich nur noch zum dreckige Wäsche Abgeben nach Hause zu müssen. Jetzt ist es eher der letzte Strohhalm nochmal den Ort zu verändern, bevor man dann endgültig zu eingerostet ist, alt und starr im Job. Ohne Zeit mehr die zwischenmenschlichen Beziehungen aufzubauen, die zum Aushalten der restlichen Zeit nunmal nötig sind.
My home is not my castle
Aber eigentlich ist so ein Umzug auch ganz einfach. Alle losen Gegenstände werden genommen, verpackt, eingeladen, umhergefahren, ausgeladen, ausgepackt und aufgestellt. Soweit zumindest die Theorie. In der Praxis ist das alles ein total mühsamer Prozess, der sich über so viele Tage und Wochen zieht, dass ich zwischendurch ans Dableiben dachte, einfach um nicht alle Löcher, der von den Altbauwänden heruntergebrochenen Regale, verspachteln zu müssen, über das richtige Verpacken zu streiten und die Frage zu beantworten, warum ich nichts tue, wo ich doch was tat, nämlich nachdachte über alles was mitgenommen werden soll und was da bleibt. Was wohl im Endeffekt mehr ist.
Aber wer zu jung ist, um sentimental zu werden, geht einfach, möglichst schnell, möglichst weiter und tut das, was er immer tut, dann halt von woanders. Der Auslandsaufenthalt ist vorbei.
Wien ist vorbei
Die Grenzen sind halbwegs offen und wir ziehen zurück nach Deutschland, wobei, noch schlimmer, nach München, um die eine Metropole zu ersetzen durch die fast identische Stadt, nur teurer, mit noch unfreundlicheren Menschen und schlechterer Bebauung. Um dann in kleinerer Wohnung mit kleineren Decken in kleineren Zimmern mit-zu-schrumpfen und nur noch auf den Knien von einem Raum in den nächsten zu schlürfen, um uns das Raumgefühl des Wiener Altbaus zu erhalten.
Sonst bleibt das meiste ja gleich, konservative Politiker sind so selbstverliebt wie beliebt, die Polizei so präsent wie nervend und alle beschweren sich so gerne über die schlechten Seiten, während sie heimlich sehr froh sind, nicht woanders zu sein. Ich esse nun wieder Aubergine statt Melanzzzzani, trinke Schorle statt Spritzer und darf wieder Tüte sagen, ohne böse angeschaut zu werden. Wobei auch nicht überall. So viel näher daheim fühlt sich dann trotzdem alles erst einmal fremd an, obwohl der Dialekt wieder besser passt.
Dennoch anders, dennoch gleich
Es ist überraschend, wieviel Kram sich innerhalb dieser wenigen Jahre angesammelt hat und sich nur so lange nach wertvollem Besitz anfühlt, wie er nicht transportiert werden muss. Also werden Fahrräder und Couches verhökert und verschenkt. Der Rest wird zu kleinen Häppchen verarbeitet und kommt in die gebrauchten Umzugskartons. Da leben wir dann die letzten Wochen in der leerer werdenden Wohnung und sehen dabei zu, wie das Leben nach und nach verpackt wird, was den Abschied zu verdrängen schwerer macht, während die Wände immer weißer werden, kleinere Mängel bald notdürftig beseitigt sind und größere Flecken auf den Vormieter geschoben werden.
Früher war alles besser, gerade umziehen. Da hat ein Koffer genügt, nun gibt es den Sprinter mit Vollkasko und ein letztes Frühstück, bevor unser Wiener Leben auf 8qm Ladefläche verteilt wird.
Die fahren sich wie PKWs inzwischen, sagen alle, nur lassen sie sich nicht so gut einparken. Außer man nimmt neben dem Parkplatz noch die Einfahrt neben dran mit und ist dann doch sehr verwundert darüber, dass sich niemand beschwert. Dabei hätte ich zu gerne nochmal den Wiener Schmäh genossen und so richtig zurückgepöbelt.
Alles wird gekündigt und hinter jeder Ecke wartet eine peinlich offensive Verabschiedung, bei der niemand so recht weiß, was angemessen wäre und was echtes Vermissen dann ist. Wir sehen uns ganz bald wieder, sagt man dann, um den Abschiedsschmerz zu mildern, auch wenn irgendwie klar ist, dass sich die Welt weiterdreht und Freundschaften auch von räumlicher Nähe leben. Im ersten halben Jahr werde ich sicher nochmal auf Besuch vorbeikommen, bevor sich die alten Freundschaften dann endgültig aufgelöst haben in Entfernung und Entfremdung.
Fühlt sich richtig an
Letzter Karton, letzte Umarmung, letzte Zigarette und letztes Mal den Ring entlangfahren, an der Wien, raus aus der Stadt, rein ins neue Leben. Mit nur einer Pinkelpause, sehr wenig Verkehr und nur zweimal Verfahren geht es dann ab über die Grenze, mit Beamten, die trotz vieler Vorwarnungen wenig interessiert sind an unseren Gründen und uns durchwinken, noch während ich versuche das Wort Umzug rauszudrücken.
Dann ist man auch schon da und nur ein wenig zerfleddert von diesem nie endenden Ausnahmezustand im Ausnahmezustand. Also alles wieder auspacken, was dann so unspektakulär wie schnell passiert und weniger Platz dafür sorgt, dass wir uns noch einmal gleichmäßig von unserem Besitz trennen und uns erwachsen fühlen, weil wir viele, wenig benutzte Dinge gleich in den Keller zum Vergessen stellen.
Ich fühle mich nach dem ganzen Abladen dann selbst wie ein unausgepackter Karton in einem surrealen Urlaub, bis ich langsam realisiere, dass es das war. Dass es das ist.
Fazit
Es reicht erst einmal mit Umzug. Kein gutes Hobby, kein wirklicher Spaß, es ist vor allem anstrengend, und gut wird es eigentlich erst danach irgendwann. Wird sicher noch zwei Wochen brauchen, bis sich alles nicht mehr nach Baustelle anfühlt, wobei ich dieses Gefühl nutzen werde, um mich mit dem nächsten Hobbykandidaten zu beschäftigen und mal wieder so richtig ins Schwitzen zu kommen.
Deshalb folgt:
Tyll tut #16 – Heimwerken.
Erfolgserlebnisse: Volle Kaution zurückbekommen, yeaahh 8/10
Macht fit und belastbar: Eher genervt und angespannt 4/10
Fühlt sich nach Arbeit an: Es ist Arbeit. 10/10
Preislich skalierbar: Unter Iveco Daily lang ging leider gar nichts… 4/10
Spaß: Mein Rücken tut weh. 3/10
Gesamt: 29/50
Ich weiß auch nicht, wie man das schreibt.