Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Warum das Video von George Floyd so große Wirkung zeigt.
8 Minuten 46 Sekunden. So lange kämpfte George Floyd vor laufender Kamera um sein Leben. Wer das Video gesehen hat, wünscht sich wahrscheinlich wie ich, es vergessen zu können. Zu brutal, zu grausam, was hier zu sehen ist. Dass sich das Gesehene aber eben nicht vergessen lässt, zeugt davon, wie mächtig Bilder sein können.
Im Fall von George Floyd zeigen sie eine nicht diskutierbare Realität. Das Video ersetzt die Verhandelbarkeit, die ein Pressetext oder ein Radiobericht hätten. Nichts kann hier wegrationalisiert, nichts von einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Ein Mann stirbt, weil ihm ein Knie in den Hals gepresst wird, bis er sich nicht mehr bewegt. Die Unmenschlichkeit dieser Szenen lässt sich nicht abstreiten.
Noch vor zwei Jahrzehnten wäre George Floyds Tod vermutlich nicht geahndet worden und hätte wohl auch keine Proteste ausgelöst. Sonst für Instagram-Selfies genutzt, wird das Smartphone hier zu einer Waffe der Information, und die Generation, der man sonst vorwirft, nur mehr auf Bildschirmen hin und herwischen zu können, nutzt es für ihren Aktivismus. Hunderttausende vor allem junge Menschen gehen weltweit gegen Rassismus auf die Straße, weil sie zu sehen bekamen, wie grenzenlose Ungerechtigkeit aussieht. Weil sie mitfühlen konnten, für einen Moment einen winzigen Einblick in die Realität hatten, die People of Color tagtäglich erleben.
Die Dezentralisierung des Medienwesens, so problematisch sie auch oft ist, ist der Grundstein für eine neue Form der Transparenz. Es ist heute nicht mehr so leicht, unangenehme Szenen aus der öffentlichen Berichterstattung zu streichen, Social Media als Brandbeschleuniger für Bewegungen wie Black Lives Matter nicht mehr wegzudenken.
Bilder sind dabei ein zentraler Faktor, sie emotionalisieren und haben gleichzeitig die Macht, Fakten abzubilden. Es ist gerade ihre Unmittelbarkeit, die Bilder so berührend macht. Wir können noch so sehr um die Datenlage wissen, sie wird uns nicht so bewegen wie ein Bild jener Realität, die Worte oder Zahlen bloß abstrakt beschreiben können. Daten haben in dem Prozess, der jetzt folgen muss, aber auch eine wichtige Rolle zu spielen.
Es liegt an den Behörden, mit der Zeit zu gehen und die neuen Möglichkeiten für Transparenzzwecke zu nutzen. Eine App, in der man Bilder von Polizeimissbrauch hochladen kann, um sie direkt an die zuständige Staatsanwaltschaft zu übermitteln, wäre denkbar. Dazu müssten aber erst unabhängige Exekutivbehörden geschaffen werden, die gegen Polizeiübergriffe ermitteln. Auch könnte man die berühmt berüchtigten Body-Cams der Polizisten automatisch in die Cloud laden lassen und das Deaktivieren der Kameras unter Strafe stellen. Wichtig ist vor allem aber ein Bekenntnis dazu, dass sich etwas ändern muss.
Der grausame Tod von George Floyd hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass neue Medien das Monopol der Berichterstattung aufbrechen, und dass ein Bild tatsächlich mehr sagt als tausend Worte. Wir alle müssen uns der Macht bewusst werden, die die digitale Gesellschaft mit sich bringt und auch in Zukunft mit unseren neuen Waffen der Transparenz gegen Unmenschlichkeit aufstehen.
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