Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Sebastian Kurz und der diplomatische Schaden des Populismus.
Beim EU-Gipfel in Brüssel diese Woche zeigte Bundeskanzler Sebastian Kurz wo seine Prioritäten liegen. Auf Fotogelegenheiten und einem „Dagegen aus Prinzip“. Da kann man sich fragen: Vergeht diese Form der politischen Kultur irgendwann wieder?
Immer wieder sorgte Sebastian Kurz diese Woche im Rahmen der Verhandlungen in Brüssel für Schlagzeilen. Als Teil der „sparsamen Vier“ richtete er sich gegen das von Merkel und Macron vorgelegte Corona-Rettungspaket. Am Ende kam es zu einer Einigung und wie schon bei seinem ersten Populismuscoup, der „Schließung der Balkanroute“, präsentiert sich Kurz als Sieger. Dass das Paket jetzt aber vermutlich vom Europaparlament zurück an die Staats- und Regierungschefs geht, weil eben zu wenig Direkthilfen vergeben und keine weitreichenden Zusicherungen bei Rechtsstaatlichkeit, Klimaschutz und Forschung gemacht wurden, erwähnt er nicht.
Hier offenbart sich Kurz‘ Werteflexibilität. Wenn Klimaschutz Wahlen gewinnen lässt, dann redet er darüber. Wenn sich Kürzungen im Klimabudget auf EU-Ebene als „Wir gegen die Union“ inszenieren lassen, dann nutzt er das genauso. Dabei manövriert Kurz geschickt zwischen eben dieser Gegenposition und zu extremer Anti-EU-Rhetorik, die ihn für viele unwählbar machen würde. Innenpolitisch funktioniert dieses Modell, es könnte aber nachhaltigen Schaden für die EU anrichten.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Position gegenüber Deutschland. Wenn es um gemeinsames Verhandeln einer komplexen Lösung für die Corona-Hilfen, die übrigens nie als einfache Geldgeschenke gedacht waren, geht, dann stellt man sich gerne gegen Deutschland. Geht es aber darum, ein Gespräch zu unterbrechen, ein Foto mit Kanzlerin Merkel zu erhaschen, dann ist man gut Freund.
Kurz‘ reiner PR-Fokus und seine unsachliche Herangehensweise an die Probleme der Union sind gefährlich. Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über einen Staatschef sagt: „Er hört den anderen nicht zu, hat eine schlechte Haltung. Er kümmert sich um seine Presse und basta“, dann gefährdet das Handeln des österreichischen Bundeskanzlers das Ansehen und vor allem die diplomatische Position Österreichs.
Zumindest wird jetzt endlich thematisiert, wie schlecht wir vor anderen Staaten dastehen, wenn unser Kanzler lieber Instagram-Fotos plant, als zu verhandeln. Dauerwahlkampf trägt eben weder zu intelligenter Sachpolitik, noch zu guten außenpolitischen Beziehungen bei.
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