Kleidung kann unseren Körpern all das geben, was ihnen die Biologie zu geben versäumt hat. Dankbar nehmen wir sie an, lassen sie zu uns und anderen sprechen, meist ohne miteinander sprechen zu müssen. Glauben wir jedenfalls. Ein Essay über den gesellschaftlichen Umgang mit Gender und Mode.
Warum ist es uns so wichtig, mit unserer Hosenwahl zu zeigen, was in unserer Hose steckt? Einen Gegenpol dazu versucht genderneutrale Mode zu bieten, also Bekleidung, an denen sich nicht das Geschlecht ablesen lässt. Sie kann als Versuch gewertet werden, sich von Schnittmustern zu befreien, die sich an physiologisch-biologischen Eigenschaften orientieren. Das klingt erstmal spannend, resultiert aber dann doch meistens in einfärbigen, geometrischen Formen. Das famose „Kleine Schwarze“ wird also durch das „kleine schwarze Quadrat“ abgelöst. Vielleicht könnten wir stattdessen beginnen, ausreichend große Hosentaschen anzubringen, statt uns immer ausgefallenere Handtaschendesigns auszudenken; oder diese Handtasche zumindest allen gleichermaßen anzubieten. Je länger die Nachdenkzeit, umso mehr offenbart sich die gesellschaftliche Angst davor, die eigenen Geschlechtsorgane mit der falschen Kleidungswahl zu hintergehen. Damit üben wir insgesamt sehr viel Druck auf uns und unsere Mitmenschen aus, einem gewissen Bild zu entsprechen, das wir uns selbst auserkoren haben.
Zeig mir was du trägst, und ich sage dir, was in deiner Hose ist
Was es in der Modeindustrie ganz offensichtlich gibt, ist von den Babyschuhen an – wortwörtlich – die Einteilung von Menschen in Mann und Frau. „Gender reveals“ sind Norm im Behandlungszimmer und Trend im Freundes- und Familienkreis; der Drang zu wissen, ob wir jetzt rosa oder blaue Strampler kaufen sollen, die Mütze oder das Stirnband, ist einfach viel zu groß. Wie prägend unser binäres System ist, aber auch wie viel Schmerz damit einhergehen kann, in der Schule kein Kleid tragen zu können, hat die ARTE-Dokumentation über das Transmädchen Sasha gezeigt. Harry Styles hat es als erwachsene Person leichter und durfte neulich in einem Kleid das Cover der VOGUE zieren. Der Blick in die Musikwelt mag tatsächlich einen vielsprechenden Eindruck vermitteln, welche Freiheit es bedeuten kann, sich unvoreingenommen einzukleiden. Ja, am Mainstream-Himmel gibt es neben Stars, die durch ihre Nacktheit mehr als durch ihren Gesang glitzern, auch die Rubrik der Modeanarchist*innen, die sich trauen, sich vom binären Diktat zu befreien. Bereits Prince sang bezüglich seines – laut öffentlicher Meinung – nicht klar lesbaren Erscheinungsbildes: „I just can’t believe, all the things people say / Controversy / Am I Black or White, am I straight or gay?“. Es stimmt: Unsere Gesellschaft tut sich immens schwer, in der Mode die Geschlechtsfrage zu überwinden. Trans- und Interpersonen werden darin sogar gänzlich ausgelassen.
Geschichtsstoff
Vielerorts ist eine Doppelmoral zu finden: Wir beharren darauf, dass heterosexuelle Cis-Männer in Miniröcken abnorm sind, aber fragen Trans- und nicht-binäre Personen in Miniröcken nach ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, weil ihre Kleidung allein uns keinen eindeutigen Aufschluss darüber gibt, beziehungsweise wir uns nicht mit dem zufrieden geben, was wir sehen. Klar, so haben wir das schließlich nicht gelernt – erinnern wir uns an rosa und blau. Unser selbst auferlegter Dresscode ist in viele Richtungen diskriminierend und hat nichts mit der Freiheit von Haute Couture Shows und Modelabels zu tun, die sich Genderneutralität aufs Etikett sticken. Apropos Etikette: Dort wo sie gilt, also auf Bällen oder in Hausordnungen, gibt es sie weniger subtil, die geschlechtsspezifischen Uniformen.
Beauty from the insight
Heteronormativ gesprochen lässt sich sagen, dass Frauen in der Kleiderwahl befreiter sind als Männer. Ein Hinweis darauf ist in der Sprache zu finden. Mit „Travestie“ gibt es einen expliziten Begriff für die weibliche Kostümierung von Männern, der zumeist mit Unterhaltungsprogramm gleichgesetzt wird. Dass Kleidungsentscheidungen weit über Drag Shows hinausgehen ist im Patriarchat jedoch nicht selbstverständlich. In den meisten Fällen werden geschlechtswidrig gekleidete Männer als schwul und Frauen als lesbisch eingestuft, nicht allzu selten auch bezeichnet. Ambivalenz oder Androgynität ausstrahlenden Menschen wird verwirrt ausgewichen. Das zeigt, wie blind unsere Gesellschaft für das gesamte Spektrum an Geschlechtsidentitäten ist. Wir brauchen so dringend Gewissheit über das Geschlecht und die Orientierung unseres Gegenübers, dass wir sogar die Mode heranziehen, ihre*n Träger*in für sich sprechen lassen. Dabei ist Gewand neben Funktion, Farbe, Form und Textur vor allem Oberfläche. Wir sind es aber nicht, und das wird in dem Kontext viel zu oft außer Acht gelassen.
Titelbild (c) eluoec/unsplash.com
Architekturstudentin aus Wien &
Mitglied des CLAIMING*SPACES Kollektivs,
stets im Spagat zwischen den Welten