Die Debatte um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch sorgt seit Jahren für eine Spaltung der argentinischen Gesellschaft. Nun hat der Senat des streng katholischen Landes der Legalisierung von Abtreibungen zugestimmt. Es ist ein historischer Erfolg von Frauenrechtsbewegungen, der nicht an den Grenzen Argentiniens Halt macht. Ein Erfolg, der uns erinnern sollte, wieso der Kampf um das Recht auf Abtreibung auch in Österreich noch nicht endgültig gewonnen ist.
Eine Welle grüner Tücher fegt über den Plaza de Mayo, als nach über 12 Stunden Parlamentsdebatte der Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Abtreibung im argentinischen Senat mit einer Mehrheit von 38 zu 29 Stimmen angenommen wird. Zehntausende Aktivist*innen hatten sich zuvor auf dem geschichtsträchtigen Platz vor dem Nationalkongress im Herzen der Stadt Buenos Aires eingefunden – ein Ort, an dem Revolutionen ihren Anfang nehmen. So wie auch der Kampf um das Recht auf Abtreibung eine Revolution darstellt. Das grüne Tuch, als Symbol für körperliche Freiheit und Selbstbestimmung.
Es liegt Aufbruchsstimmung in der Luft. Als die entscheidende Stimme fällt, wissen alle Anwesenden, dass hier gerade Geschichte geschrieben wird. Eine Geschichte, die über die Grenzen Argentiniens hinausgehen wird und Potential hat, einen legislativen Wandel in anderen lateinamerikanischen Ländern anzustoßen. Doch auch hier in Österreich darf uns der argentinische Triumph um die Legalisierung von Abtreibung nicht unberührt lassen.
Der Kompromissparagraph
Seit 1975 gibt es in Österreich die Möglichkeit, eine Schwangerschaft straffrei zu unterbrechen. Eine Errungenschaft der jahrelangen Kämpfe von Frauenbewegungen, die ihre Forderungen nach reproduktiver Entscheidungsfreiheit auf die Straße trugen und so zur öffentlichen Angelegenheit machten. Was viele nicht wissen – legalisiert wurde der Schwangerschaftsabbruch bis heute nicht. Auch über vierzig Jahre nach Einführung der Fristenregelung, bleibt Abtreibung tief im Strafgesetzbuch verankert.
„Eine Frau, die den Abbruch einer Schwangerschaft selbst vornimmt oder durch einen anderen zulässt, ist mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (..) zu bestrafen“ § 96 StGB
Die Fristenlösung des Paragraphen 97 regelt lediglich die Ausnahme dieser Straffälligkeit, solange der Abbruch innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate und nach vorhergehender ärztlicher Beratung vorgenommen wird.
„Schwangerschaftsabbruch ist eine Gesundheitsleistung und hat nichts in einem Strafgesetzbuch verloren“, so Sophie, Sexualpädagogin und Aktivistin bei Pro Choice Austria. Als Teil der internationalen feministischen Bewegung setzt sich Pro Choice Austria für reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung von Frauen, Lesben, Inter- und TransPersonen ein. Die Legalisierung und vollständige Kostenübernahme des Abbruchs durch den Staat stellen dabei zentrale Forderungen der Organisation dar. Damit soll auch der Stigmatisierung und Tabuisierung entgegengewirkt werden. „Keine Person sollte sich für diesen gesundheitlich notwendigen Eingriff schämen müssen.“
Keine Garantie auf sicheren Schwangerschaftsabbruch
Über die fehlende Legalisierung hinausgehend zeigt sich auch der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen entlang sozioökonomischer und regionaler Differenzen ungleich verteilt. Auch wenn man meinen möge, durch die Fristenlösung sei die medizinische Versorgungslage gewährleistet, zeigen sich in der Praxis große regionale Unterschiede.
„Während es in Wien zwei private Kliniken und auch einige öffentliche Krankenhäuser gibt, die Abtreibungen durchführen, ist die Situation vor allem in den westlichen Bundesländern sehr prekär und schwierig. In Tirol etwa gibt es nur einen einzigen Arzt, der Abbrüche durchführt“, erzählt uns Aktivistin Sophie.
Aus Mangel an lokalen Einrichtungen müssen Schwangere* für einen Abbruch in andere Bundesländer reisen – das kostet Zeit. „Und gerade Zeit ist eine Ressource, die beim Thema Schwangerschaftsabbruch nicht da ist. Hier zählt jeder Tag.“ Verschärfend wirkt die immense finanzielle Belastung, welche von Personen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, in der Regel selbst zu tragen ist. Bis zu 800 Euro werden hier fällig. Gerade für junge Frauen* aus ärmeren Verhältnissen kann es schwierig sein, diese hohe Summe aufzutreiben. Sichere Abtreibung wird somit auch zu einem Privileg.
Ein Kampf, der noch nicht gewonnen ist
Fast eine Million Unterschriften sammelte die „Aktion Leben“ im Jahr 1973, um die Umsetzung der Fristenlösung und damit die Entkriminalisierung von Abtreibung zu verhindern. Auch wenn die öffentliche Unterstützung heute stärker ist, bedeutet dies nicht, dass das Recht auf Abtreibung vollkommen sicher ist vor den Attacken konservativer und repressiver Kräfte. Dies zeigt sich in den USA und in Polen – aber auch in Österreich.
Mit 60.000 Unterschriften, darunter namhafte ÖVP und FPÖ Politiker*innen wie Norbert Hofer und Erwin Pröll, schaffte 2019 die Bürgerinitiative #fairändern ihren Weg in den Nationalrat, welche unter anderem ein Verbot des medizinisch indizierten Spätabbruchs sowie eine gesetzlich vorgeschriebene Bedenkzeit vor Abtreibungen forderte. Dass es in dem Menschenrecht auf Selbstbestimmung #keinenMillimeter zurückgehen darf, daran appellierte das gleichnamige Gegenbündnis, das seitdem gegen die gesetzliche und gesellschaftliche Verurteilung von Schwangerschaftsabbrüchen aufsteht.
„Dies zeigt uns, dass das Recht auf Abtreibung auf wackligen Beinen steht und wir uns darauf nicht ausruhen sollten. Die Fristenlösung war schon 1973 ein Kompromiss, der hart erkämpft wurde. Nun wird es Zeit für dessen Erneuerung.“
Was wir von Argentinien lernen können
Die Legalisierung von Abtreibung in Argentinien ist das Ergebnis eines erbitterten Kampfes einer aktiven Zivilgesellschaft und starken feministischen Allianzen, die für sexuelle und reproduktive Rechte einstehen. Zahlreiche Rückschläge musste die Frauenrechtsbewegung in den vergangenen Jahren verdauen, doch der nun verabschiedete Gesetzesentwurf sieht nicht nur die Legalisierung von Abtreibung bis zur 14. Schwangerschaftswoche sondern ebenfalls die vollständige Kostenübernahme durch die öffentliche Hand vor – zwei Aspekte, von denen wir in Österreich noch träumen müssen. Aber es gibt noch eine weitere Sache, die wir von Argentinien lernen können. Wir müssen auch in Österreich eine Bewegung für reproduktive Rechte festigen, die fundamentalistischen Angriffen Widerstand leistet. Und wir müssen Abtreibung wieder zum gesellschaftlichen Thema machen. Wir müssen darüber sprechen, informieren und aufklären. Um Stigmatisierung und Tabuisierung, und zukünftig womöglich auch den suboptimalen Kompromiss der Fristenlösung, zu überwinden.
Weiterführende Informationen:
Pro Choice Austria – Plattform für freien Schwangerschaftsabbruch
Ciocia Wienia helfen ungewollt Schwangeren aus Polen und anderen Ländern in Österreich die Versorgung zu bekommen, die sie brauchen. Dazu sind sie auf eure Spenden angewiesen.