Die Französin Alice Guy-Blaché war die erste Frau, die Filme drehte. Sie zählt zu den Pionier*innen des Films und dennoch ist ihr Name vielen unbekannt. Ein Blick auf ihr Leben und Werk zeigt, warum das nicht der Fall sein sollte.
Wer sich mit den Anfängen der Filmgeschichte befasst, der wird dabei zunächst auf folgende Namen stoßen: Die Gebrüder Lumière, die mit ihrer Erfindung des Kinematographen und mit dessen Vorführung am 28. Dezember 1895 in Paris die Geburtsstunde des Kinos begründeten. Oder Georges Méliès, der als Erfinder der Stop-Motion-Technik gilt, und dem Martin Scorsese mit seinem Film Hugo Cabret ein Denkmal gesetzt hat. Selten aber scheint in der traditionellen Filmgeschichtsschreibung der Name Alice Guy-Blaché auf und dass obwohl Blaché nicht nur die erste Filmregisseurin der Welt, sondern obendrein noch äußerst innovativ sowie produktiv war.
„Darf ich einen Film drehen?“
Alice Guy-Blachés beruflicher Werdegang begann sehr unscheinbar: Zunächst verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt als Stenotypistin. Ab dem Jahr 1894 arbeitete die damals 20-Jährige als Sekretärin bei einer Firma, die Fotoausrüstung und später dann auch Filmequipment vertrieb.
Alice, deren Vater Bibliothekar war, las viel und fühlte sich von der Welt der Fiktion magisch angezogen. In ihr keimte der Wunsch auf, selbst kleine Geschichten zu inszenieren. Also fragte die junge Alice ihren Chef, Léon Gaumont, ob sie mit dem vorhandenen Equipment einen Film drehen dürfe. Gaumont, der den Plänen seiner Sekretärin keinen hohen Wert beimaß, gestattete ihr dieses Anliegen – unter der Bedingung, dass ihre Arbeit nicht darunter leidet.
Mit der Erlaubnis ihres Chefs begann sie, an ihren freien Sonntagen Filme zu drehen. Das erste Ergebnis dieser Sonntagsunternehmungen entstand 1896: Mit La Fée aux Choux – ein kleines Filmchen von der Länge einer knappen Minute – lieferte Blaché ihr Regiedebüt. Die Handlung ihres Erstlingswerks, das sich als einer der ersten narrativen Filme überhaupt bezeichnen darf, ist simpel, aber doch charmant: Eine Fee „pflückt“ in einem Feld voller Kohlköpfe Babies.
https://youtu.be/8d7FXY6veHk
Produktivität und Innovation
Aufgrund des großen Erfolgs ihres ersten Films wurde Alice Guy-Blaché von Gaumont mit der Leitung der Spielfilmabteilung beauftragt. In Alice war eine Leidenschaft für das damals neue Medium Film entfacht. Ihre Passion trieb sie zu einer außerordentlich hohen Produktivität an: Zwischen 1896 und 1919 zeichnete sich Blaché für über 400 Filme verantwortlich.
Die junge Regisseurin schien nicht nur in ihrem Produktionstempo unaufhaltsam, auch ihrem Erfindungsreichtum und ihrer Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Sie versuchte sich an einer Bandbreite filmischer Formen – vom Western bis hin zur Komödie – und beeinflusste die Entwicklung dieser Spielfilmgenres maßgeblich mit. Alice fand Gefallen daran, die Möglichkeiten des neuen Mediums zu erproben und so experimentierte sie mit Zeitraffer, Doppelbelichtung, Rücklauf und vielem mehr.
Alice Guy-Blaché kommt in vielerlei Hinsicht eine Pionierfunktion zu: Sie war nicht nur die erste Filmregisseurin und Mitbegründerin des narrativen Films, sondern war mit A Fool and His Money (1912) auch für den ersten Film mit einem ausschließlich afroamerikanischen Cast verantwortlich. Mit La Fée Printemps drehte sie 1906 einen der ersten Filme in Farbe und in dem 1912 entstandenen Western Algie the Miner rückt sie eine queere Hauptfigur in den Mittelpunkt.
Kampf um Anerkennung
Wohingegen ihre männlichen Filmkollegen mühelos den Weg in die Geschichtsbücher schafften, musste Alice Guy-Blaché Zeit ihres Lebens um Anerkennung für ihre Filme kämpfen. Über Jahre hinweg gab es immer wieder Irrtümer bei der Zuschreibung, sowie Datierung ihrer Filme und es wurde regelrecht versucht, Blaché aus dem kulturellen Gedächtnis zu löschen. Die Vernachlässigung der französischen Filmpionierin in der Geschichtsschreibung lässt sich unweigerlich auf die Tatsache, dass sie eine Frau war, zurückführen. Letzten Endes war es aber genau der Umstand, dass Alice Guy-Blaché weiblich war, der ihre Karriere überhaupt erst ermöglichte: Nur weil Gaumont das Vorhaben seiner Sekretärin nicht ernst nahm, gestattete er ihr das Drehen von Filmen. Dazu schreibt Blaché in ihrer Autobiographie: „Wenn man damals hätte vorgesehen, wozu diese Sache führen würde, dann hätte ich nie die Erlaubnis erhalten.“
Das Women Film Pioneers Project bietet die Möglichkeit, weitere Pionierinnen des Films kennenzulernen.