HIV-Patient*innen wird heute eine nahezu normale Lebenserwartung mit guter Lebensqualität ermöglicht. Die Medizin macht große Fortschritte, die gesellschaftliche Entstigmatisierung kaum. Betroffene müssen immer noch einige Hürden überwinden. Hat sich in den letzten Jahrzehnten denn gar nichts verändert?
Freddie Mercury erkrankte 1991 an AIDS, damals hatte er keine Chance zu überleben. Zu seiner Zeit war die HIV-Infektion ein Todesurteil. Heute, also 30 Jahre später, gibt es viele Möglichkeiten, eine HIV-Infektion zu therapieren, um so den Ausbruch von AIDS zu verhindern. Denn es sollte klar sein, dass HIV nicht gleich AIDS bedeutet. Die Erkrankung AIDS entsteht erst, wenn die HIV-Infektion nicht behandelt wird. Erst durch die Nicht- oder falsche Einnahme von HIV-Präparaten bricht mit hoher Wahrscheinlichkeit die Immunschwächeerkrankung AIDS aus, die tödlich enden kann.
Die Angst vor der Öffentlichkeit
Der Sänger der britischen Band gab seine Krankheit der Öffentlichkeit erst wenige Stunden vor seinem Tod bekannt. Ob er es 2020 genauso gemacht hätte? Vielleicht. Denn an den gesellschaftlichen Umständen hat sich so gut wie nichts geändert. Selbst seiner Familie und seinen Bandkollegen verschwieg er seine Erkrankung, solange es nur möglich war. Nachvollziehbar, wenn man sich folgende Ergebnisse einer Studie der deutschen AIDS-Hilfe aus dem Jahr 2012 vor Augen führt: Von 1148 Teilnehmern gaben 77 Prozent an, im vergangenen Jahr Diskriminierung erlebt zu haben. Rund 20 Prozent der Befragten gaben an, ihnen sei schon einmal aufgrund ihrer Erkrankung eine medizinische Behandlung verweigert worden. 42 Prozent offenbarten, sie hätten aufgrund ihrer HIV-Infektion ein niedriges Selbstwertgefühl. 30 Prozent der Befragten hätten sich von ihrer Familie zurückgezogen.
Es ist also verständlich, dass viele Betroffene ihre Infektion mit dem Virus lieber geheim halten. Doch genau das ist das Problem. Nur gemeinsam besteht die Chance etwas zu ändern. Das wusste auch Mercury: „Jedoch ist nun die Zeit gekommen, meinen Freunden und Fans auf der ganzen Welt die Wahrheit zu sagen, und ich hoffe, dass alle zusammen mit mir und meinen Ärzten den weltweiten Kampf gegen diese schreckliche Krankheit unterstützen.“ Der Schauspieler Charlie Sheen soll nach seiner Ansteckung mit HIV sogar erpresst worden sein, um ein weiteres prominentes Beispiel zu nennen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete darüber im November 2015. Vor laufender Kamera sagte der Amerikaner: „Ich bin HIV-positiv.“ Er bekam viel Zuspruch und Ermutigung. Das war ein wichtiges Signal gegen Vorurteile und Ausgrenzung. Auch Conchita Wurst outete sich 2018, um einer Erpressung zuvorzukommen. In einem Magazin der Deutschen AIDS-Hilfe berichtet sie von der Erfahrung, dass eine Freundin sie nicht mehr berühren oder der langjährige Zahnarzt sie nicht behandeln wollte, weil sie für andere Patient*innen angeblich gefährlich werden könne. Sie änderte ihre Sichtweise: „Eine Freundin, die mich nicht berühren will, ist keine richtige Freundin“ und „ein Zahnarzt, der mich nicht behandeln will, versteht nichts von seinem Job.“ Sie musste sich nicht mehr schämen.
Aufklärung gegen Diskriminierung
In einem Interview spricht der Allgemeinmediziner Horst Schalk über HIV und was dabei zu beachten ist. Er betont die Bedeutung von frühzeitiger Erkennung einer Ansteckung, obwohl das Virus erst mehrere Wochen nach der Infektion nachweisbar ist. „Ein Infektionsrisiko entsteht immer dann, wenn infektiöse Flüssigkeiten in den Körper eines anderen gelangen.“ Die Befürchtung vieler Menschen, sich bei einem Händedruck oder einer Untersuchung anzustecken, ist also völlig unsinnig. Ein großer Teil der Diskriminierungen gegenüber HIV-infizierten Menschen basiert auf nicht vorhandenem Wissen:„Eine moderne HIV-Therapie (HAART) kann heutzutage die Virusvermehrung fast vollkommen blockieren. Dies führt zu einer Stabilisierung des Immunsystems und Patienten bleiben gesund und erreichen eine vollkommen normale Lebenserwartung. Das Infektionsrisiko, das von einem HIV-positiv behandeltem Patienten ausgeht, ist nahezu null.“
Helfen heißt zusammenhalten
„Wir sprachen einfach nicht darüber, weil Freddie es einfach nicht wollte. Das war damals eine Art ungeschriebenes Gesetz“, berichtet Queen-Gitarrist Brian May einige Jahre nach dem Tod seines geliebten Bandkollegen. Wieso spricht man nicht oder ungern darüber? Wieso werden so viele wichtige Themen von der Gesellschaft unterdrückt? Betroffene wollen es nicht, Außenstehende wollen es nicht. Alle können es nicht. Woran liegt das? Vielleicht an gesellschaftlichen Strukturen oder ganz einfach an der Angst, Tabuthemen anzusprechen. Wenn man bedenkt, dass sich sogar eine weltberühmte Person mit Millionen von Fans, die sonst mit allem offen und locker umgegangen ist, davor verstecken musste, wie viel Mut braucht es dann als gewöhnlicher Mensch? Doch den Mut zu kämpfen, hat jeder Mensch in sich, es benötigt nur viel Kraft ihn hervorzuholen.
Helfen heißt Zusammenhalten. Institutionen wie die AIDS-Hilfe sind eine gute Anlaufstelle, um etwas zu verändern oder Hilfe zu holen. Auch bei HIVheute findet man viele aktuelle Informationen und Interviews. Es gilt also mit mehr Achtsamkeit durchs Leben zu gehen und nicht die Augen vor Tabuthemen wie diesem zu schließen. Wichtig ist, dass jeder aufgeklärt und informiert den Alltag meistert, um gesellschaftliche Lücken füllen zu können. Ansonsten werden HIV-Patient*innen weiterhin berichten, sie bekämen beim Arzt immer nur den letzten Termin, da die Praxis nach einem desinfiziert werden müsse. Müsste sie das nicht nach jedem Patienten? Das Credo sollte lauten: Hinter die Fassade blicken, um auf Verständnis und Lösungen zu stoßen.
Anlaufstellen:
- AIDS-Hilfe Österreich
- HIVheute
- Gruppenpraxis Schalk/Pichler, 1090 Wien
- ÖGNÄ-HIV