Im Juni vor 52 Jahren kam es in New York zu den Stonewall Riots. Nach jahrzehntelanger Diskriminierung und Ausgrenzung setzten sich Lesben, Schwule und Transgender-Personen gegen eine Razzia in einer Bar in der Christopher Street zur Wehr. Der 28. Juni 1969 markiert nicht nur die Geburtsstunde des „Pride Month“, sondern auch einen Wendepunkt im Kampf um Rechte und Sichtbarkeit der LGBTQIA+ Community.
Wenn am 19. Mai wieder die Regenbogenparade als Höhepunkt des „Pride Month“ über die Wiener Ringstraße zieht, werden mit Regenbogenfahnen, extravaganten Kostümen und lauten Bässen nicht nur die hart erkämpften Errungenschaften der LGBTQIA+ Community gefeiert werden. Es wird auch einer Sommernacht vor 52 Jahren in New York City gedacht werden, in der eine kleine Bar in der Christopher Street zum Schauplatz eines Aktes des Widerstandes gegen jahrzehntelange Repressionen gegenüber Homosexuellen und Transgender wurde.
Razzia als Auftakt für Unruhen
Ihren Anfang nahmen die Unruhen in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969, als das Stonewall Inn, eine heruntergekommene Bar im Herzen des New Yorker Greenwich Village, durch die Polizei gestürmt wurde. Während die LGBT Community heute einen integralen Teil der New Yorker Identität darstellt und Lesben- und Schwulenbars wohl genauso wenig aus dem Stadtbild wegzudenken wären, wie Wolkenkratzer, Neonreklamen und die gelben Taxis, war das Ende der 60er Jahre noch ganz anders. Unter der breiten Bevölkerung war Homosexualität als psychische Störung stigmatisiert, es gab nur wenige Orte, an denen sich homo- und transsexuelle Menschen versammeln konnten. Dass einschlägige Lokale von der Stadt zumeist keine Ausschankerlaubnis bekamen, eröffnete für die New Yorker Mafia ein lukratives Geschäftsmodell. Durch Polizeibestechungen führte sie Bars wie das Stonewall Inn als sogenannte „Bottle Clubs“, in denen die Gäste ihren Alkohol selber mitbringen konnten. Gewaltsame Razzien waren in den wenigen Lokalen, die für Homosexuelle und Transpersonen offen standen, an der Tagesordnung. Die dazugehörigen Schikanen, erzwungene Identitätsfeststellungen und unbegründete Festnahmen, ein Ausdruck von staatlicher Willkür und Repression. Eigentlich ein altbekanntes Prozedere, doch in der Nacht des 28. Juni 1969 geschah das Unerwartete – die Menschen im Stonewall Inn widersetzten sich der Polizei.
Eine Welle des Widerstands
Es dauerte nicht lange, bis die Situation in der Christopher Street eskalierte. In Reaktion auf die gewohnt aggressive Vorgehensweise der Polizei bei der Verhaftung einer lesbischen Frau, leisteten die Gäste des Stonewall Inn gewaltsam Widerstand. Es flogen Steine, Flaschen und Fäuste. Den immer größer werdenden Menschenmassen, die sich in der Christopher Street sammelten, nicht gewappnet, verbarrikadierten sich die anwesenden Polizeibeamten in der Bar, die vom aufgebrachten Mob wiederholt anzuzünden versucht wurde. Erst eine Spezialeinheit konnte die Unruhen vorläufig eindämmen. Doch diese Nacht im Stonewall Inn hatte bereits eine Welle des Widerstandes in Bewegung gebracht, die in den folgenden fünf Tagen in Form von Protesten und Straßenkämpfen mit voller Kraft über die Christopher Street und New York City rollte. An der Speerspitze der Bewegung standen vor allem schwarze Transfrauen und Dragqueens.
Geburtsstunde der Pride-Paraden
Bereits vor 1969 gab es unter homosexuellen Menschen in den USA Aufstände für Gleichberechtigung und Freiheit, dennoch hatten die Stonewall Riots eine revolutionäre und wegweisende Wirkung auf den politischen Aktivismus der LGBT-Gemeinschaft und die Etablierung globaler Bewegungen für Homosexuellenrechte. Noch im gleichen Jahr gründete sich in den USA die Gay Liberation Front um Lesben und Schwulen in der Gesellschaft Sichtbarkeit und Akzeptanz zu erkämpfen. Am 28. Juni 1970 wurde in New York im Namen des „Christopher Street Liberation Day“ die erste Parade organisiert, um den historischen Ereignissen im Stonewall Inn zu gedenken. Die Stonewall Riots standen vor allem auch im Zeichen des Stolzes und des Empowerments. Als wichtigste Erkenntnis bleibt auch noch nach 52 Jahren, dass die erste Pride unvermeidlich ein Aufstand war.
Keine endgültige Befreiung in Sicht
Auch im Lichte essentieller Errungenschaften in der Sichtbarkeit und Ermächtigung von Menschen der LGBTQIA+ Gemeinschaften ist eine endgültige Befreiung nicht in Sicht. Die vergangenen Erfahrungen zeigen, dass dieser Kampf keineswegs geradlinig verläuft und auch nicht für alle Personen aus der LGBTQIA+ gleichermaßen Wirkung zeigt. Die in den Nacherzählungen oft vergessene Schlüsselrolle von schwarzen Transfrauen in den Stonewall Riots bekommt vor dem Hintergrund der anhaltenden Gewalt und Mehrfachdiskriminierung gegen Trans-Personen neues Gewicht. In 69 Ländern auf der Welt steht Homosexualität außerdem weiter unter Strafe.
Aber auch innerhalb von Europa bleiben Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung präsent. Beobachter*innen des Internationalen Verbandes der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen (ILGA) berichteten 2019 von einem „zunehmend unsicheren und nicht nachhaltigen Umfeld für LGBTIQ-Organisationen und Menschenrechtler*innen“ in einer Vielzahl europäischer Länder wie etwa der Türkei, Ungarn oder Polen, wo Gesetze zum Schutz und der Gleichstellung von LGBTQIA+ Menschen sichtbar untergraben werden. Und auch in Österreich mehren sich in jüngster Zeit homo- und transphobe Angriffe und Straftaten gegenüber LGBTQIA+ Personen. Solange also auf Demos Regenbogenfahnen unter tosendem Applaus zerrissen werden und Jahr für Jahr der Marsch für die Familie als Protest gegen gleichgeschlechtliche Ehe und Adoptionsrecht von homosexuellen Paaren durch die Innenstadt zieht, muss auch die Wiener Regenbogenparade ein Aufstand bleiben.
Titelbild: © Sushil Nash / Unsplash