Titelbild: © Oscar Keys / Unsplash
Nach kurzer pandemiebedingter Verschnaufpause gewinnt der Leistungsdruck und Selbstoptimierungszwang wieder eine größere Rolle in unserem Leben. Doch warum fühlen wir uns so dazu getrieben, immer besser, immer schneller zu werden? Und was würde passieren, wenn wir uns dazu entscheiden, einfach einmal Halt zu machen?
16 Monate sind vergangen, seitdem uns der Ausbruch der Corona-Pandemie und globale Lockdown-Verordnungen dazu gezwungen haben, kollektiv die Pausetaste in unseren schnelllebigen und zunehmend verdichteten Biografien zu drücken. 16 Monate, in denen ich mich mehr als einmal danach gesehnt habe, mit meinen Arbeitskolleg*innen wieder in Person über anstrengende Kund*innen zu lachen. Einem Hörsaal mal wieder näher zu kommen, als im virtuellen Klassenzimmer-Modus auf Microsoft Teams. Und all die Anspannung am Ende einer Prüfungswoche in irgendeinem heißen und verrauchten Wohnzimmer wegzutanzen. Doch irgendwo zwischen dem ersten gezapften Bier in meinem Lieblingslokal und der Ankündigung unseres Bundeskanzlers, dass „alles was Spaß macht“ bald wieder möglich sein wird, hat sich ein beklemmendes Gefühl in meiner Magengrube eingeschlichen. Es scheint, als würde die Pandemie erstmal Pause von uns machen, aber bin ich schon bereit, Pause von der Pandemie zu machen?
Willkommen zurück im Leben
Plötzlich habe ich Stress, dass ich auf dem wieder hochfahrenden Arbeitsmarkt nicht schnell genug war, um mir ein Praktikum zu besorgen. Beim Blick auf meinen Kalender bekomme ich Bauchweh, weil ich nicht weiß, wie ich sich überschneidende Unikurse im Präsenzformat koordinieren soll. Während ich mich durch Instagramstories klicke, lässt mich das Gefühl nicht los, etwas zu verpassen, wenn ich wieder den ganzen Tag im Neonlicht der Universitätsbibliothek an meiner Bachelorarbeit getippt habe. Ich habe fast Angst davor, ins „normale“ Leben zurückzukehren. Und plötzlich steht da die Erkenntnis, dass mich die abrupte Notbremsung im März des vergangenen Jahres zu einem Zeitpunkt erwischt hat, an dem ich, immer neuen Meilensteinen nacheifernd, aus eigenem Antrieb keinen Halt gemacht hätte.
Produktivität als Bewertungsmaßstab
Dass ich mit diesen Empfindungen nicht alleine bin, merke ich immer wieder, wenn ich mich mit Freund*innen oder Kommiliton*innen unterhalte. Selbstverständlich tut es gut, sich mit ein wenig Galgenhumor darüber auszutauschen, die Nacht vor einer Deadline wieder einmal durchgearbeitet zu haben oder vor lauter Prüfungsstress auf das Essen vergessen zu haben. Und doch scheint es manchmal, als hätte sich unser Stresslevel längst zu einem Persönlichkeitsmerkmal erhoben.
Aber es ist kein Wunder, dass wir sprichwörtlich auf Nadeln sitzen. Die neoliberale Logik, die Produktivität und Erfolg im Beruf zum Maßstab dafür macht, ob wir als Individuen einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten, durchdringt unseren Alltag von klein auf. Wer auf einem sich ständig weiterentwickelnden Markt im Rennen bleiben muss, der sollte getrieben sein, immer schneller, immer flexibler, immer kreativer zu werden. Dass psychische Erkrankungen, wie Depressionen und Burnout, als Folge von Dauerstress und Überlastung längst ein Massenphänomen in der Bevölkerung sind, ist nur ein geringes Übel auf dem Weg zur vermeintlichen Selbstverwirklichung.
Das Glück in eigenen Händen
Auch wenn die Last der immer höher werdenden gesellschaftlichen Leistungsanforderungen von allen getragen werden muss, ist es dennoch unterschiedlich hohes Gewicht, das auf unseren Schultern lastet. Vor allem für die jüngeren Generationen wiegen die Unsicherheiten eines sich immer schneller wandelnden Arbeitsmarktes und allgemeine Zukunftsängste schwer, wie auch von Dr. Franz Oberlehner von der psychiatrischen Beratungsstelle für Studierende in Wien bestätigt wird:
„Der Druck ist heutzutage sukzessive größer geworden für Studierende. Also der Personalchef im Kopf, der sich vorstellt, wenn ich mich mal wo bewerben möchte, was muss ich da zu bieten haben, um doch eine Chance zu haben.“
Die Message, die uns vermittelt wird, ist eindeutig. Der Schlüssel zum Erfolg und damit zu einem ultimativ glücklichen Leben, liegt direkt vor unserer Nase, man müsse sich nur genug anstrengen, danach zu greifen. Dass der Zugang zum Markt entlang zugeschriebener gesellschaftlicher Selektionskriterien, wie sozialer und geografischer Herkunft oder Geschlecht, ungleich verteilt ist, wird in dieser neoliberalen Arbeitsmoral und bei „motivierenden“ Tumblrquotes wie „With hard work, comes great reward“ nur zu gerne ausgeklammert.
In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, dass wir schon von früh auf viele unserer Handlungen, auch im Privatleben, nach ihrer späteren kapitalistischen Verwertbarkeit ausrichten. Welche Sprache könnte ich erlernen, die dann auf meinem Lebenslauf gut aussieht? Kann ich die sechsmonatige Südostasienreise nach dem Schulabschluss meinem zukünftigen Arbeitgeber als bereicherndes Auslandsvoluntariat verkaufen? Könnte die Mutter der Kindergartenfreundin möglicherweise eines Tages dabei behilflich sein, das Traumpraktikum zu bekommen?
Und auch vergangene Reformen im Bildungssystem, wie die erst kürzlich verabschiedete Novelle des Universitätsgesetzes, haben Signalwirkung. Vermeintlich hat Bildung nur einen Wert, wenn man sie in Form von Studiengeschwindigkeit, ECTS und Prüfungsnoten messen und vergleichbar machen kann.
Lernen, das „Sinnlose“ zu zelebrieren
Was ist es nun, das mich in diesen Tagen leicht wehmütig stimmt? Es ist selbstverständlich nicht der vorläufige Durchbruch im Kampf gegen eine Pandemie, die in den vergangenen Monaten so viel Leid mit sich brachte und bestehende Ungleichheitsverhältnisse verschärft hat. Es ist auch nicht die Aussicht darauf, Stück für Stück unsere Freiheiten wiederzugewinnen.
Es ist vielmehr das schwindende Gefühl, einmal kurz durchatmen zu können, einmal keine Angst zu haben, den Anschluss zu verlieren, weil wir alle gleichermaßen in unserem Wettlauf beschränkt waren. Einmal kurz das Gefühl zu haben, keine Zeit für „sinnvollere“ Tätigkeiten zu verlieren, wenn ich meinen Nachmittag damit verbringe, eine alte Staffel von Der Bachelor zu bingewatchen. Wenn jetzt langsam das Hamsterrad von Leistungsdruck und Selbstoptimierung wieder in Bewegung kommt, hoffe ich also, dass wir aus Pandemiezeiten vor allem zwei Dinge mitnehmen können: dass wir nicht kontinuierlich mitrennen müssen und es auch mal gut tun kann, das „Sinnlose“ zu zelebrieren.