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Blockade in Bergkarabach – Was passiert da?

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Südkaukasus. Der Latschin Korridor, der die autonome Republik Artsakh im Nagorno-Karabach Gebiet mit Armenien und der Außenwelt verbindet, steht seit mehr als fünf Monaten unter einer Blockade. Insgesamt 120.000 Menschen sind betroffen. Worum geht es?

Personen- und Güterverkehr sind gänzlich blockiert. Es kommt weder jemand rein noch raus. Frisches Obst, Gemüse oder Fleisch sind seit Wochen absolute Mangelware. Auch die medizinische Versorgung ist durch fehlenden Nachschub an Medikamenten extrem eingeschränkt. Viele der Krebserkrankten in der Region erhielten ihre Chemotherapien in Jerewan. Nun ist auch das nicht mehr möglich.

Außerdem gibt es einen Mangel an Gas und Elektrizität. Während der Wintermonate fielen die Temperaturen durchschnittlich auf 0 bis -4 Grad. Laut dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan wird auch die Strom- und Gasverbindung in der Region periodisch für mehrere Tage blockiert. Auch der Zugang zum Internet wird mit jedem Tag mehr eingeschränkt. Aufgrund der gegebenen Umstände sind auch Schulen und Kindergärten immer wieder geschlossen. Durch die Blockade wurden ganze Familien getrennt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass viele, die aus Artsakh kommen, regelmäßig nach Jerewan fahren, um kulturelle Events zu besuchen, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Jene, die sich vor Beginn der Blockade außerhalb von Artsakh aufhielten, können seitdem auch nicht mehr zurück. Da diese Blockade schon mehrere Monate dauert, droht sich die Situation nun von einer humanitären Krise zu einer humanitären Katastrophe zu entwickeln.

Wer blockiert wen?

Am 12. Dezember 2022 blockierten sogenannte aserbaidschanische Umweltaktivist*innen die Straße wegen angeblich illegalem Goldabbau in der Region Bergkarabach und dessen Transfer über den Latschin Korridor.

Wer an dieser Blockade nun schuld ist? Laut Aserbaidschan sind es die Umweltaktivist*innen, laut Armenien Baku. Armenien wirft der aserbaidschanischen Regierung vor, hinter dem Protest zu stecken. Denn Alijew, der autokratische Dauerpräsident in Aserbaidschan, ist sonst dafür berüchtigt, Andersdenkende sofort einsperren zu lassen.

Zwischen Armenien und Aserbaidschan wird offiziell gerade ein Friedensvertrag verhandelt. Durch die Blockade kann Aserbaidschan politisch Druck auf Armenien ausüben und dazu zwingen, den Friedensvertrag unter den Bedingungen Aserbaidschans zu unterschreiben. Die Bedingung ist, dass Bergkarabach vollständig unter aserbaidschanische Kontrolle fällt.

Was ist Artsakh? Was ist Nagorno-Karabach? Was ist der Latschin Korridor?

Artsakh ist eine selbsternannte (aber international nicht als solche anerkannte) autonome Republik, die sich über 4400 Quadratkilometer erstreckt. Bis 2017 nannte sie sich Republik Bergkarabach, danach und auch heute noch Republik Artsakh. Artsakh ist der armenische und Nagorno Karabach der russische Name für das Gebiet Bergkarabach. Völkerrechtlich gesehen gehört Artsakh zu Aserbaidschan, jedoch sieht sich die Republik als Teil von Armenien. Denn es wurde und wird auch heute noch mehrheitlich von Armenier*innen bewohnt. Wie der Name schon vermuten lässt, ist das Gebiet Bergkarabach sehr gebirgig. Der Latschin Korridor ist die einzige Verbindung zwischen Artsakh und Armenien, und damit auch die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Geschichte von Artsakh

Seit 30 Jahren nun herrscht Krieg zwischen den beiden Erzfeinden Armenien und Aserbaidschan um das Gebiet Bergkarabach. Die Wurzeln dieses Krieges liegen aber schon länger zurück. In den frühen Jahren der Sowjetunion wurde Bergkarabach von Josef Stalin an Aserbaidschan verschenkt. Somit wurde es ein autonomes Gebiet mit Sonderrechten. Zu diesem Zeitpunkt waren 94% der Bevölkerung Armenier*innen. Während der Sowjetzeit kam es zu mehreren Volksabstimmungen im Gebiet. Es wurden auch einige Anträge auf Unabhängigkeit gestellt, die jedoch immer von der sowjetischen Führungselite abgelehnt wurden. Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion spitzte sich die Situation immer mehr zu. Zuerst waren es Unruhen und Proteste. Diese verwandelten sich schnell in Pogrome, ethnische Säuberungen und Massaker auf beiden Seiten. Am 2. September 1991 erklärte die Republik Bergkarabach ihre Unabhängigkeit. 1992 kam es zum Krieg, der das Leben von Zehntausenden von Menschen forderte. 1994 dann der Waffenstillstand. Armenien übernimmt die Kontrolle über die Republik Karabach und die sieben umliegenden Bezirke. Diese Gebiete waren und sind auch heute noch alle als aserbaidschanisches Territorium rechtlich anerkannt. Über eine halbe Million Aserbaidschaner*innen wurden vertrieben oder gezwungen zu fliehen. Im Herbst 2020 bricht der Krieg, ausgehend von Aserbaidschan, erneut aus. Er dauert sechs Wochen. Armenien verliert über 7000 Soldaten und Aserbaidschan gewinnt einen größten Teil seiner damals verlorenen Territorien zurück. Damit gingen zwei Drittel des Gebiets wieder an Aserbaidschan. Die Karabach-Armenier*innen kontrollieren noch die Hauptstadt der Republik; Stepanakert und ein paar umliegende Gebiete.

Ein anderes Element der ethnischen und kulturellen Konflikte der beiden Länder ist die Religion. Armenien ist christlich-orthodox, während Aserbaidschan mehrheitlich schiitisch-muslimisch ist. Auch die geschichtliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Nähe Aserbaidschans zur Türkei ist ein weiterer Faktor im Konflikt. Die armenisch-türkische Beziehung ist mehr als nur schlecht. Während des ersten Weltkrieges verübte die Türkei einen Genozid, in dem über 1,5 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Unter den Opfern war eine hohe Anzahl an Armenier*innen. Der Genozid wird als solcher bis heute in der Türkei nicht anerkannt.

Wie stehen Armenien und Aserbaidschan zur Republik Artsakh?

Der aserbaidschanische Staat bezieht sich auf seine territoriale Integrität und sieht damit Artsakh als Teil seines Staates. 1991 erklärte die Republik Bergkarabach nach einem Referendum ihre Unabhängigkeit. Man berief sich auf das internationale Völkerrecht zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Selbstbestimmung und sagte sich damit von Aserbaidschan los. Die Unabhängigkeit der Republik wird offiziell aber nur von Transnistrien, Südossetien und Abchasien anerkannt wird, international jedoch von keinem Staat (auch nicht von Armenien).

(c) Lena Cebul

Wer ist noch involviert?

Der Waffenstillstand im Krieg 2020 kam unter anderem durch die Vermittlung Russlands zustande. Seitdem sind in Bergkarabach rund 2000 russische Soldat*innen auf Friedensmission stationiert. Diese sollen die Sicherheit der Armenier im Gebiet garantieren und den sicheren Transfer über den Latschin-Korridor. Seit Russland der Ukraine den Krieg erklärt hat, liegt deren Aufmerksamkeit aber woanders. Armenien wirft Russland vor, seinem Job als Friedensvermittler zu passiv nachzugehen, und gleichzeitig unfähig zu sein, eine Lösung zu finden. Aktuell sind russische Soldat*innen zusammen mit Mitarbeiter*innen des Roten Kreuzes die einzigen, die sich auf dem Latschin-Korridor mehr oder weniger frei bewegen können und Artsakh mit Gütern versorgen. Jedoch sind sie nicht in der Lage, die Blockade aufzulösen.

Warum uns das was angehen sollte?

Im Juli unterzeichnete die EU ein Abkommen mit Aserbaidschan, um zukünftig den Gasimport zu erhöhen. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine sucht die Europäische Union Wege, um aus der Gasabhängigkeit mit Russlands zu kommen. Durch den Deal mit Aserbaidschan rückt jetzt aber auch die Situation in der Region Bergkarabach in den Vordergrund.


Mehr Information und Nachrichten aus der Region findet ihr hier.

Titelbild: (c) Lena Cebul

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