Hirndoping – Erfahrungen mit Lerndrogen von Wiener Student*innen

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Immer mehr Student*innen greifen im Umgang mit Lernstress und kaum zu bewältigenden Deadlines zu Medikamenten, sogenannten Lerndrogen, um ihre Leistung zu steigern und den Anforderungen des Unialltags gerecht zu werden. Wir haben Student*innen von ihren eigenen Erfahrungen erzählen lassen. Wie waren die tatsächlichen Effekte der Mittel auf ihre Leistungsfähigkeit und würden sie es noch einmal machen?

Medikamente zum Lernen einzunehmen, scheint unter Student*innen schon weit verbreitet zu sein. So haben die meisten schon mal von Substanzen gehört, die die Konzentration sowie die Leistungsfähigkeit steigern und beim Lernen oder bei der Bewältigung wichtiger Projekte helfen sollen. Oftmals handelt es sich bei den eigenommenen Mitteln um eigentlich verschreibungspflichtige Tabletten, wie zum Beispiel Ritalin, das für die Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen vorgesehen ist.

Wir haben uns bei Student*innen umgehört, die selbst bereits ihre Erfahrungen mit solchen „Drogen“ gemacht haben und sie zu ihren Beweggründen und ihren Erlebnissen mit den Substanzen befragt.

Welche Drogen oder andere Mittel hast du zum Lernen eingenommen, was hat dich dazu bewogen und wie bist du an sie gekommen?

Lena, 23: In meinem zweiten Studienjahr habe ich einige Male Modafinil ausprobiert, da ich ein bisschen überfordert war und alles probieren wollte, das helfen könnte. Ich hatte von Studienkolleg*innen und diversen US-amerikanischen TV-Shows schon von etlichen Lerndrogen gehört – von Adderall bis Ritalin – und wollte die mal ausprobieren, habe schlussendlich aber nur Modafinil am Campus bekommen. Der Verkauf lief wie bei jedem anderen „Drogen“-Deal auch ab, oder wie ich es mir zumindest vorstelle.

Arian, 23: Ich habe Adderall genommen, das ist sowas wie Ritalin. Ich hatte während meines Auslandssemesters in den USA eine Deadline für die Uni, die ich sehr lange aufgeschoben habe und die ich bis zum nächsten Tag erledigen musste. Einer meiner damaligen Mitbewohner hatte das verschrieben bekommen, zudem haben das dort sehr viele Leute genommen und dadurch hatte ich auch einen sehr leichten Zugang. Dann habe ich es einfach auch mal probiert. Außerdem habe ich dazu dann sehr viel „Monster Energy Drink“ getrunken.

Natascha, 27: Ich habe Ritalin genommen. Bewogen dazu hat mich hauptsächlich die Neugier, ich wollte halt wissen, wie es wirkt und ob es wirklich so sehr die Leistung steigert, wie behauptet wird und welche Auswirkungen es hat. Also hauptsächlich Neugier und Interesse. Denn ich wusste, dass es auch ohne geht, weil ich da schon recht lang studiert und viele Prüfungen hinter mir hatte und habe mich einfach nur gefragt, wie es ist. Ich habe die dann von einem Freund bekommen und der wiederum hatte sie auch von einem Bekannten, also das war jetzt nicht unbedingt ein Deal im eigentlichen Sinn. Auch der Freund von mir hat es nur genommen, weil er mal wissen wollte, wie es so ist.

Wie oft hast du solche Drogen eingenommen und in welchem Umfeld hast du dich dabei befunden?

Lena, 23: Ich habe es um die zehnmal probiert und meistens allein in der Bibliothek genommen. Das erste Mal habe ich es aber mit einem Freund gemeinsam gekauft, durch ihn bin ich auch auf die Idee gekommen.

Arian, 23: Nur einmal und ich war zuhause. Ich habe das Mittel geschluckt und dann einfach versucht zu lernen.

Natascha, 27: Ich glaube, ich hatte insgesamt vier oder fünf Tabletten und habe die dann über ein Jahr verteilt genommen. Ich habe sie auch teilweise mit Freundinnen geteilt, weil es halt eben einfach die Neugier war. Und ich war in der Bibliothek, weil ich mir gedacht habe, ich lerne sonst auch dort und ich sollte es schon im richtigen Umfeld ausprobieren, um zu sehen, was die Wirkung ist.

Was waren die Effekte der Droge auf deine Lernfähigkeit? Hast du Unterschiede zu sonstigem Lernen bemerkt?

Lena, 23: Ich muss sagen, bei den ersten Malen kam es mir schon so vor, als würden sie mir helfen. Zumindest beim Wachbleiben – schlussendlich hatte ich aber eher das Gefühl, dass da viel Placebo mitgewirkt hat. Hatte ich einen Lerntag mit Modafinil geplant, blieb ich auch mal 10-12 Stunden in der Bibliothek und hatte das so im Kopf, dass ich jetzt extra diese Pille nehme und daher auch viel zusammenbringen müsste. In meinem letzten Semester, als ich die Bachelorarbeit geschrieben habe und noch einiges mehr zu tun hatte, war Modafinil nie im Spiel und ich konnte mich genauso gut konzentrieren, wenn es sein musste – einen wirklichen Unterschied kann ich im Nachhinein also nicht bestätigen.

Arian, 23: Eigentlich nicht wirklich. Ich war länger wach, weiß aber nicht, ob das nicht an den Energy Drinks gelegen hat. Und ich hatte das Gefühl, dass ich mich teilweise ein bisschen besser konzentrieren konnte.

Natascha, 27: Ich hatte auf jeden Fall deutlich mehr Konzentration. Insofern, dass ich nicht das Gefühl hatte, zum Beispiel alle paar Minuten mein Handy checken zu wollen, oder eine Pause zu brauchen, oder dass ich das Gefühl hatte, ich schaffe es nicht mehr, alles zu erledigen. Ich habe mich überhaupt nicht anders gefühlt vom Körperlichen her, sondern war einfach nur konzentrierter und hatte keine große Sorge, dass ich das heute nicht mehr schaffe. Ich habe es nämlich auch immer an Sonntagen genommen, weil ich da das Gefühl hatte, dass ich da vielleicht die geringste Motivation aufbringe. Außer der besseren Konzentration war nicht viel, außer dass ich nicht so schnell müde geworden bin. Habe also keine Nachmittagsmüdigkeit gespürt. Ich habe es aber auch in kleinen Dosen über den Tag verteilt genommen, also ein Viertel in der Früh und dann eines am Nachmittag.

Wie war die Erfahrung für dich im Allgemeinen und würdest du es nochmal machen?

Lena, 23: Ich fand ganz lustig, es zu probieren, wie gesagt, war damals schon alleine das Mindset -„Heute gehe ich in die Bibliothek und nehme Modafinil, eine Lerndroge, damit ich besser lernen kann“ – eventuell hilfreich. Im Grunde genommen hätte ich aber genauso gut drei Liter Kaffee trinken können, Nebenwirkungen wie ewige Lust auf Zigaretten und aufs Klo gehen waren nämlich dieselben.
Und am schlimmsten war die Nervosität bzw. „Anxiety“, die ich oft auch zuhause nach der Bibliothek nicht mehr losgeworden bin, wenn ich es mal zwei Tage hintereinander probiert oder bisschen mehr als üblich genommen habe. Das hat dann nämlich genau das Gegenteil von dem bewirkt, was ich gerne gehabt hätte und daher habe ich es nach diesem Semester auch nie wieder ausprobiert und auch in der Zukunft nicht nochmal vor.

Arian, 23: Ich denke, schlussendlich habe ich nicht so wirklich einen Unterschied zum sonstigen Lernen bemerkt, weswegen ich es als nicht notwendig empfinde, es nochmal zu machen oder es regelmäßig zu machen. Das war jetzt nicht so ein hoher Nutzen dafür, was ich de facto meinem Körper „antue“, denn man schluckt da ja schon ein Medikament.

Natascha, 27: Im Allgemeinen war die Erfahrung schon ganz positiv, weil es ja doch die Lernfähigkeit verbessert hat, und ich würde es wahrscheinlich auch nochmal machen, wenn es mir zum richtigen Zeitpunkt angeboten würde. Aber ich würde nicht aktiv danach suchen, weil ich es einfach dumm finde, wenn man sich an sowas gewöhnt, und ich für mich selber weiß, dass ich es auch ohne kann. Es war bei mir einfach Neugier und Interesse und im Allgemeinen eine interessante Erfahrung.

Unterschiedliche Erfahrungen, ähnliches Fazit

Wie sich also herauslesen lässt, haben die befragten Personen ganz verschiedene Erfahrungen mit der Einnahme von Medikamenten zur Leistungssteigerung beim Lernen gemacht. Einigkeit besteht jedoch vielleicht darin, dass es sich um ein Erlebnis handelt, von dem sie im Nachhinein sagen, dass sie es nicht unbedingt noch einmal durchleben müssten. Außerdem lässt sich wohl sagen, dass besonders die Neugierde und der Wunsch nach neuen Erfahrungen die befragten Student*innen zur Einnahme motiviert haben.

Leistungsdruck als Ursache?

Und nicht nur unter Student*innen scheint es immer normaler zu werden, sich mit solchen Mitteln Abhilfe zu schaffen. Vermehrt hört man auch von Medikamenten- und Drogenmissbrauch in der Arbeitswelt, insbesondere innerhalb Management- und Führungspositionen. Hier wird vor allem auf Aufputschmittel gesetzt, um das Leistungsvermögen möglichst ausgiebig zu steigern.
Ähnlich wie bei Student*innen scheint dieser Konsum also vor allem dem Versuch geschuldet zu sein, mit anstehenden Aufgaben oder mit immensem Druck umzugehen. In einer Leistungsgesellschaft wie der unseren sollte das aber nicht unbedingt für große Überraschungen sorgen.

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