Die meisten Studierenden verbinden mit den ÖH Wahlen wohl hauptsächlich die schmerzliche Erkenntnis, dass schon wieder zwei Jahre vergangen sind. Und das obwohl die vergangenen zwei Jahre bezüglich Interessensvertretung für Studierende so intensiv waren, wie schon lange nicht mehr. Trotz der wertvollen, im Schatten geleisteten, Arbeit für Studierende und der enormen Zeit und Energie, die viele der Vertreter*innen aufwenden, kann sich kaum eine Fraktion nach der vergangenen Amtszeit mit Lorbeeren schmücken. Umso wichtiger ist es jetzt, dass die Wählenden der ÖH für die nächste Amtszeit eine Richtung vorgeben.
Die letzen zwei Jahre waren nicht die ruhmreichste Amtsperiode in der Geschichte der ÖH. Die Koalition der Bundesvertretung (BV) ist, wie auch die an einigen Universitätsvertretungen, unter anderen der Uni Wien, zum wohl ungünstigsten Zeitpunkt geplatzt. Mitten in der Coronakrise herrscht plötzlich ein Kampf um die Führungspositionen in der ÖH.
Widerstand gegen die UG-Novelle
Wenig später wurde die UG-Novelle, also die Novellierung des Universitätsgesetzes, zum zentralen Thema der Unipolitik. Es istdie wichtigste studienrechtliche Änderung seit vielen Jahren. Das UG wurde zuletzt 2002 novelliert. Trotz einiger Errungenschaften im Kampf um die Rechte der Studierenden tritt die ÖH hier ungeeint auf. Wenig überraschend, da zu diesem Zeitpunkt die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft die Exekutive stellt, aber trotz Koalition mit den Junos keine Mehrheit hat. Der Vorsitz fand sich also ständig in der Situation, Mehrheitsentscheide der linken Fraktionen, denen sie selbst nicht zugestimmt haben, exekutieren zu müssen. Einige Universitäts- und Studienvertretungen und Fachschaften empfinden den Umgang der Bundesvertretung mit dem Thema als nicht kritisch genug, die Kritiken als nicht scharf genug. Sie organisieren sich deshalb in unabhängigen Zusammenschlüssen wie uns reichts oder Bildung brennt. Diese veröffentlichen weiter Positionspapiere, Petitionen und veranstalten Demos. Die ÖH Vorsitzende Sabine Hanger (AG) distanziert sich von letzteren.
Posten sind geil
Ein wesentlicher Grund für die unstabile Situation waren Postenkämpfe zwischen VSStÖ und Gras. Schon seit längerem war die Zusammenarbeit der Linken ÖH Koalitionen nicht mehr konfliktfrei. Im Mai 2020 zerbricht dann die Koalition aus VSStÖ, GRAS und KSV LiLi an der Uni Wien. Die VSStÖ kündigt die Zusammenarbeit aufgrund von Uneinigkeiten über die Aufstockung des Sozialtopfes im Rahmen der erschwerten Bedingungen für Studierende durch Corona. Anstatt der vereinbarten 250,000€ wollte der VSStÖ nun 500,000€ zur Verfügung stellen. So reizvoll diese Idee zunächst klingen mag, es gab einiges an Kritik an der Forderung. Einerseits gab es ernsthafte Zweifel, ob die Vergabe der Gelder innerhalb des Wirtschaftsjahres bürokratisch zu bewältigen wäre, andererseits könne keine Summe dieser Größenordnung „das Versagen des Sozialstaats ausgleichen“, so die damalige Stellvertretende Vorsitzende der GRAS. Das Geld solle nach GRAS besser anderen Töpfen und damit konkreten Projekten zugutekommen.
Ob die unterschiedlichen Haltungen zu dem Thema allerdings tatsächlich der Grund für den Koalitionsbruch war, lässt sich durch ein, von der GRAS veröffentlichtes, Dokument in Frage stellen. Dieses habe die VSStÖ der GRAS und dem KSV Lili als Ultimatum vorgelegt. Darin war „tatsächlich eine auffällige Verschiebung von Entscheidungskompetenz in Richtung VSStÖ enthalten“, wie damals der Standard berichtete.
Das Verhältnis zwischen GRAS und VSStÖ war also angekratzt. Das machte sich auch in der BV sichtbar. Immer wieder kam es zu Abstimmungen, in denen die Koalitionspartner gegeneinander stimmten. Im Juni wurde ein im Koalitionsvertrag vereinbarter Antrag zur Einführung eines Klimaschutzreferats vom VSStÖ abgelehnt. Allerdings hatte die GRAS kurzfristig noch Rahmenbedingungen des Antrags geändert. Daraufhin wurde die Abwahl der GRAS-Vorsitzenden zum vereinbarten Vorsitzwechsel von der GRAS verhindert. Die FLÖ hat dann im September die Koalition wegen „destruktiven Fraktionskämpfen“ beendet. Der Versuch die Koalition zu zweit fortzusetzen, ist gescheitert und im Oktober wurde Sabine Hanger von der AG zur neuen Vorsitzenden gewählt. Wenig später einigte sie sich mit den Junos auf eine Minderheitenkoalition.
Braucht es eine linke ÖH?
Die linke ÖH hat sich mit diesen Ereignissen selbst die Handlungslegitimation genommen. Das ist durchaus problematisch, immerhin hat eine deutliche Mehrheit 2019 eine linke politische Vertretung gewählt. (Die „nicht-linken“ Fraktionen haben gemeinsam nur 22 der insgesamt 55 Mandate) Andererseits lässt sich darüber streiten, ob bei einer Wahlbeteiligung von 25,82% mit Verzerrung des politischen Spektrums argumentiert werden kann. Die vergangene Amtszeit hat für viele das bestehende Bild der ÖH bestätigt: Sie ist nur mit sich selbst beschäftigt und macht Politik für eine linke Minderheit anstatt den Studierenden wirksame Leistungen zu bieten. Seit der Vorsitzübernahme durch die AG präsentiert sich die ÖH merkbar anders und das kommt bei vielen gut an. In den Kommentarspalten der sozialen Medien liest man oft, die ÖH sei endlich sichtbar und tue erstmals etwas direkt für die Studierenden. Die Schiene lautet: endlich wirksame Politik anstatt dem ständigen Hick Hack. Dass diese politische Strategie funktioniert, dürfte seit Kurz‘ „Echter Veränderung“ niemanden mehr überraschen.
Tatsächlich wurden in der kurzen Zeit seit Oktober einige wesentliche Services für Studierende eingeführt oder verbessert. Ein Beispiel ist die, im Wahlkampf nicht zu selten erwähnte, Aufstockung der psychologischen Studierendenberatung. Die inhaltliche Auseinandersetzung und Meinungsbildung zur tatsächlichen politischen Arbeit der ÖH bleibt in Eigenverantwortung. Eines ist aber klar: Die ÖH unter der AG vermarktet sich wesentlich besser.
Auch klar ist allerdings, dass die Kernthemen der linken ÖH Politik wie Chancengleichheit, Feminismus, soziale Unterstützung für ökonomisch Schwächere (ca. die Hälfte der Studierenden lebt unter der Armutsgrenze), die Mehrheiten schaffen, unter der bestehenden Koalition leiden. Das lässt sich aus den vergangenen Podiumsdiskussionen leicht ermitteln. Durch die Forderung, das allgemeinpolitische Mandat abzuschaffen, eine der wichtigsten Grundlagen für die Sozial- und Gesellschaftspolitik der ÖH, zeigt die AG, dass sie kein Interesse an politischer Vertretung hat, sondern die ÖH als reinen Dienstleister versteht. Armin Amiryoursofi, der auf Platz zwei der AG-Liste kandidiert, macht klar, dass er nicht verstanden hat, wofür es Safe Spaces für Flint* Personen braucht und leugnet indirekt patriarchale Strukturen des Universitätswesens, indem er sagt: „Wir schaffen Räume in denen alle über alles reden können.“
Studierende, denen diese, unsere Gesellschaft prägende und das Leben der Mehrheit der Studierenden bestimmende, Themen wichtig sind, können den Status Quo nicht akzeptieren. Dem gegenüber stehen Studierende, die erstmals die ÖH als nützliche Service-Institution wahrnehmen. Dass dies in der Vergangenheit unter linken Koalition nicht geklappt hat, spricht ebenfalls eine klare Sprache.
Wie geht es weiter?
Die Podiumsdiskussionen haben also eines klar gemacht: An der ÖH gibt es neben dem rechten Ring freiheitlicher Studenten zwei Fronten. In vielen Themen kristallisierten sich gemeinsame Positionen von GRAS, VSStÖ und den KSVs entgegen einer gemeinsamen Haltung von AG und Junos heraus. Seien es Fragen zur Studienfinanzierung, zu Feminismus und Gleichberechtigung, zu Antirassismus und Antisemitismus oder wie Studierende in der Coronakrise und darüber hinaus finanziell und psychisch entlastet werden können. Die FLÖ steht bei manchen Fragen etwas in der Mitte, positioniert sich dann aber doch oft deutlich gegen Junos und AG.
In allen Fraktionen gab es in der Vergangenheit Fälle, in denen politischer Einfluss über die eigenen Werte gestellt wurde. Prognosen zu möglichen Koalitionen lassen sich schon allein deswegen nicht zuverlässig treffen. Eine Zusammenarbeit zweier Fraktionen aus den jeweils anderen „Lagern“ über einzelne Inhalte hinaus, von denen es auch gerne mehr geben dürfte, scheint jedoch unwahrscheinlich. Der Ausgang dieser Wahl wird die Unipolitik, das Studieren an sich und auch gesellschaftlichen und sozialen Umstände für Studierende jedenfalls maßgeblich prägen.
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