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Polizeigewalt – Wer kontrolliert die Polizei?

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Ausgehend von den Protesten gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei in den USA ist auch bei uns in Europa eine Diskussion über diese oft kritisierte Institution angekommen. Es wäre verlockend, dies als amerikanisches Problem abzutun, aber so einfach ist das nicht. Auch wir müssen unserer Exekutive auf die Finger schauen.

Auch in Österreich hat es in den letzten Jahren nicht an Fällen von scheinbar überbordender Polizeigewalt gefehlt. Im Zeitalter von Social Media und stets bereiten Handykameras werden solche Fälle immer schneller und wirksamer öffentlich gemacht. Es ist daher nur verständlich, dass Rufe nach einer grundlegenden Änderung der Polizei oder Fragen nach der Weise wie Gewalt in unserer Gesellschaft institutionalisiert wird, immer lauter werden.

Das Konzept der Polizei ist stark mit dem System unseres Rechtsstaats verbunden. Es bildet sogar dessen Basis. Der österreichische Staat besitzt ein Gewaltmonopol, das heißt, nur er hat das Recht, Gewalt auszuüben. Für den Staat werden im Inneren Polizist*innen tätig, und nur sie dürfen aufgrund der staatlichen Ermächtigung tätig werden. Niemand anderer darf – außer in extremen Ausnahmefällen – Gewalt ausüben, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Theorie dient diese Konstruktion dem Schutz der Bürger*innen, die im Sinne einer demokratischen Gesellschaft selbst auf die Anwendung von Gewalt verzichten, um einen geregelten Rechtsstaat zu garantieren. Auch die Polizist*innen selbst sind besonders geschützt. Angriffe gegen sie werden auf ausnehmend strenge Weise geahndet.

Theorie vs. Realität

Was nun aber, wenn diejenigen, die uns alle beschützen sollen, die ihnen übertragene Macht missbrauchen, sie gegen uns richten und selbst zu einer Gefahr werden? Dies kann keinesfalls geduldet werden. Andererseits muss bedacht werden, dass Polizist*innen einem außergewöhnlich stressigen und gefährlichen Beruf nachgehen. Auch sie sind Arbeitnehmer und Staatsbürger, die das Recht haben müssen, bei ihrer Arbeit angemessen geschützt zu werden und sich auch wehren zu können.

Kommen Polizist*innen in Bedrängnis und sehen sich einer Situation gegenüber, in der die Anwendung von Gewalt erforderlich erscheint, so dürfen sie diese nur in einem angemessenen Verhältnis zu dem Angriff gegen sie und zum bezweckten Ziel anwenden. Wo genau hier aber die Grenze der Verhältnismäßigkeit liegt, ist eine komplizierte Einzelfallentscheidung, die nicht allgemein beantwortet werden kann und die die Beamt*innen oft in Sekundenschnelle abschätzen müssen. Wichtig wäre hier effektive und vor allem objektive Kontrolle. Es muss klar sein, dass Grenzüberschreitungen nicht akzeptiert werden und Verfehlungen auch tatsächliche Konsequenzen folgen.

Das Problem der fehlenden Kontrolle

Diese Kontrolle scheint, laut einer Reihe von Expert*innen in vielen Staaten einschließlich Österreich, mangelhaft zu funktionieren. Werden Exekutivbeamten Straftaten vorgeworfen, so ist die Staatsanwaltschaft zuständig für die Leitung des Ermittlungsverfahrens, und ihr obliegt auch die Entscheidung, ob ein Strafantrag bei Gericht erhoben wird. Tatsächlich durchgeführt werden die Ermittlungen in der Praxis aber von der Kriminalpolizei selbst.

Eine Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences aus dem Jahr 2018 beschäftigt sich mit dem Umgang mit Misshandlungsvorwürfen gegen Exekutivbeamt*innen. Beobachtet wurde der Zeitraum von 2012 bis 2015 und die Staatsanwaltschaft Wien und Salzburg. Die Untersuchung zeigt, dass solche Misshandlungsvorwürfe fast ausschließlich in einer Einstellung des Verfahrens endeten. Nur in 0,5 % der Fälle wurden die Vorwürfe überhaupt an das Gericht herangetragen. Zu einem überwiegenden Teil erfolgte die Einstellung aufgrund fehlender Beweisbarkeit. Während im beobachteten Zeitraum insgesamt 1.528 Misshandlungsvorwürfe an die Staatsanwaltschaft herangetragen wurden, erhob sie lediglich gegen sieben Exekutivbeamte einen Strafantrag. Vorgeworfen wurde ihnen der unverhältnismäßige Einsatz von Körperkraft. Alle diese Verfahren endeten mit Freispruch.

Ziel der unabhängigen Kontrolle

Naturgemäß kann alleine aus Betrachtung dieser Daten nicht darauf geschlossen werden, ob hier korrekt ermittelt und verhandelt wurde, Expert*innen wie Menschenrechtsanwalt Manfred Nowak und unter anderem Amnesty International fordern aber schon lange eine unabhängige Ermittlungseinheit für diese Fälle. Um volle Objektivität zu gewährleisten, sollte eine solche Untersuchungseinheit nicht an Weisungen des Innenministers gebunden sein (wie das aktuell der Fall ist), trotzdem aber die Kompetenzen und Ressourcen haben, um Misshandlungsvorwürfen angemessen, objektiv und transparent nachgehen zu können. Dies hätte das Potential, Fälle von Polizeigewalt und Machtmissbrauch zu verhindern, könnte aber auch die Polizist*innen von einem Generalverdacht befreien. Solch eine Kontrolle wäre jedenfalls im Interesse von uns allen.

Die derzeitige türkis-grüne Bundesregierung kündigte in ihrem Regierungsprogramm an, solch eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle schaffen zu wollen. Geplant war, dieses Projekt im Herbst 2020 vorzustellen. Ist dies tatsächlich der Fall, wäre das eine höchst wünschenswerte Entwicklung, die schon viel zu lange auf sich warten lässt.


Weitere Infos

Studie über den Umgang mit Misshandlungsvorwürfen gegen Exekutivbeamte

Interview mit Mike Brennan, welcher Misshandlungsvorwürfe gegen die Österreichische Polizei erhebt

 

 

Juristin aus Wien, immer auf der Suche nach Antworten und Fragen.

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