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So fühlt es sich an, wenn du unter der Depression deines Partners leidest

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Das Leben von Luise glich in der letzten Zeit einer älteren Person, die sich um ihren Partner am Krankenbett kümmern muss. Nur leidet der Partner von Luise nicht an Altersdemenz, sondern unter Depressionen. Denn Florian ist krank, und das sogar sehr.

Als sich Luise in Florian verliebte, bewunderte sie ihn. Ihr war klar, dass das anfangs so sein muss, aber das störte sie nicht. Im Gegenteil, es war ihre erste Beziehung und sie genoss es, für jemanden so empfinden zu können. Er war gerne unterwegs, immer der Lauteste am Tisch und der Letzte, der den Club verlassen wollte. Sie hatte sich immer jemanden gewünscht, der genauso gerne abends unterwegs war wie sie und der stundenlang mit ihr in einer Bar saß und über das Leben philosophierte. So schildert Luise auch die ersten Monate, in denen sie mit Florian zusammen war. Es war unbeschwert und voller Verliebtheit.

An einen Moment erinnert sich Luise heute besonders gut. Damals waren Luise und Florian noch kein richtiges Paar, aber sie wussten, dass es in diese Richtung ging. „Ich muss dir noch etwas sagen, oder viel mehr möchte ich etwas mit dir teilen, das sehr persönlich ist“, meinte Florian. 

Der Moment der Wahrheit

Florian erzählte ihr, dass er an chronischen Depressionen litt. Und dass es sehr schlimm werden kann, wenn er in ein Loch fällt. Unter einem „Loch“ versteht Florian eine Zeitspanne, in der er unter seinem Grübeln so leidet, dass er kaum noch Kraft hat, das Haus zu verlassen. Dass ihn zwischenmenschliche Interaktionen stressen, und dass er Schuldgefühle hat. Schuldgefühle gegenüber Frauen, weil er Angst hat, dass er sie nicht gern genug hat. Für Luise machte das damals wenig Sinn, aber so ist das nun mal mit psychischen Erkrankungen. Es sind Krankheiten, die Sinnfrage stellt sich hier nicht. 

Luise sagte ihm, und das meinte sie auch so, dass das alles nicht so schlimm klang für sie, wie er es empfand. Nicht die Krankheit, sondern das Schamgefühl, das während des Gesprächs in seiner Stimme mitklang. Sie küsste ihn und bedankte sich, dass er ihr solch ein Vertrauen schenkte. 


Zahlen zu Depression in Österreich

Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz hat für 2019 einen Bericht herausgebracht, der zeigte, dass 6,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer depressiven Erkrankung leiden. Frauen sind mit 6,8 Prozent etwas häufiger betroffen als Männer, bei ihnen sind es 6,3 Prozent. Auch konnte herausgefunden werden, dass Österreich bezüglich der Prävalenz depressiver Symptomatik im europäischen Mittelfeld liegt.  


Als die beiden ein Jahr zusammen waren, begann es Florian schlecht zu gehen. In den Monaten zuvor hatte sich bereits abgezeichnet, dass er mehr Schwierigkeiten in gewissen Situationen hat als andere Menschen. Und, dass es oftmals ein Gespräch mehr zwischen den beiden braucht, damit Florian sich wieder gut fühlte. Aber das fand Luise okay. Sie hatte auch das ein oder andere Problem mit sich oder gewissen Situationen, in denen Florian stets für sie da war. 

Aber irgendwann kam der Moment, in dem sich alles zu ändern schien. Florian war viel trauriger als sonst. Er grübelte gefühlt den ganzen Tag über Dinge, die für Luise keinen Sinn machten. Es lähmte ihn teilweise so sehr, dass er keine Kapazitäten mehr hatte, um Luise zuzuhören. Das tat ihr damals sehr weh. Bis sie verstand, dass jetzt erstmals seine Krankheit richtig zum Vorschein kam. Ab diesem Moment dauerte es nicht lange, bis Florian in das sogenannte „Loch“ fiel, während Luise nur dabei zusehen konnte. 

Gesichter einer Depression

Florian lag in seinem Bett, er schaute ins Nichts und zog die Decke weit über seinen Körper. Das dauerte Tage. Tage, in denen er nichts anderes tat, als einfach nur dazuliegen. Selbst dann, wenn Luise ihn in den Arm nahm, reagierte er nicht. Er hinterfragte den Sinn ihrer Beziehung, seiner Freundschaften und des eigentlichen Lebens. Er glaubte, alles was er bisher in seinem Leben erreicht hatte, war nichts wert. Er sprach so schlecht von sich, dass Luise teilweise unter Tränen neben ihm saß und einfach nur zuhörte. Jeden Tag aufs Neue dachte er, nichts wert zu sein. Und jeden Tag wollte Luise ihm das Gegenteil beweisen. Es ging so weit, dass Luise für ihn einkaufen ging. Sie half ihm in die Dusche, legte ihm seine Kleidung zurecht und kochte.  Es vergingen Wochen, in denen Luise kein einziges Mal von sich sprach – noch nicht einmal, wie es ihr ging. 


 Aus der Sicht eines Angehörigen

Der Depressionsbericht Österreich 2019 fand heraus, dass Angehörige einer depressiven Person unter der Krankheit erhebliches Leid spüren. Gleichzeitig unterstützen sie die im Umfeld erkrankte Person, indem sie Krankheitsbewältigung leisten. Zusätzliche Belastung stellt unter anderem das fehlende Wissen über die Erkrankung und Therapiemöglichkeiten dar. Selbsthilfegruppen können in solchen Fällen Orientierung, Halt und Verständnis bringen. 


„Nach gefühlt einer halben Ewigkeit hat Florian verstanden, dass er Medikamente nehmen muss und öfter in Therapie gehen sollte. Es hat mich gefreut, dass es tatsächlich schnell half und es besser machte.“ Zu diesem Zeitpunkt war Luise jedoch so ausgelaugt, dass sie nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Aber je mehr Zeit Luise wieder hatte, die sie mit sich selbst verbringen konnte, desto mehr verstand sie, dass sie nicht nur ausgelaugt war. Ihr ging es einfach nicht gut. Die letzten Monate hatten ihr so zugesetzt, dass sie Probleme hatte, ihre eigenen Gefühle zu regulieren. Ihre Antriebslosigkeit wurde stärker, sie fühlte sich überarbeitet und belastet. Fast so, als hätte sie Florians Probleme genommen und sich selbst umgehängt. Sie begann, regelmäßig zu weinen, weil ihr alles zu viel war. Luise fühlte sich schuldig, weil Florian nichts dafür konnte, dass er krank ist. Sie wollte sich als gesunde Person keinen Raum nehmen, der anderen mehr helfen könnte als ihr. 

Luise wurde wütend auf Florian. Heute weiß sie, dass sie ihre Frustration auf ungesunde Art und Weise rausließ. Sie wollte nicht mehr für ihn da sein, immerhin schaffte sie es noch nicht einmal für sich selbst. Als sie begann sich Sorgen um sich selbst zu machen, besuchte Luise einen Arzt, der eine depressive Episode diagnostizierte. Ihre Therapeutin sagt ihr heute, dass sie sich als Partnerin einer schwer depressiven Person zu viel zumutete. Dass sie verlernt hatte, für sich selbst da zu sein und auf ihre eigenen Grenzen zu hören. 

Eine einfache Antwort gibt es nicht

Florian geht es heute okay. Es war eine lange Zeit für beide, in der sie lernen mussten, mit der Krankheit umzugehen. Florian musste verstehen, dass er nicht all seine Lasten Luise umhängen darf. Sie musste lernen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und auch einzuhalten. „Wir machen immer noch Fehler, so ist das nun mal. Aber das ist okay, immerhin haben wir mittlerweile einfach verstanden, dass es keine einfache Antwort darauf gibt, wenn psychische Krankheiten in Beziehungen eine Rolle spielen.“


Solltest du, oder jemand den du kennst, unter Depressionen leiden, dann kannst du dich unter dieser Telefonnummer beim Psychosozialen Dienst Wien melden: (01) 31330.
Falls du ein Angehöriger von jemandem bist, der unter psychischen Problemen leidet und du mit jemanden darüber sprechen möchtest, dann melde dich bei der Beratungsstelle der HPE Österreich (Hilfe für Angehörige Psychischkranker) 01/5264202. 

Außerdem findest du Hilfe bei Rat auf Draht (Telefon: 147) oder der Telefonseelsorge (Telefon: 142).

Titelbild © Ben Blennerhassett

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