Vegan ist cool. Ersatzprodukte für Fleisch werden immer besser und billiger. Hafer- und Mandelmilch machen den Molkereibetrieben auch in den USA gerade Feuer unter dem Hintern. Außerdem sind die gesundheitlichen Vorteile einer veganen Ernährung bereits mehrmals bewiesen worden. Drei unserer Redakteur*innen wagen den Selbstversuch und stellen sich der Challenge, sich 22 Tage lang von Tierprodukten zu verabschieden. Im letzten Teil der Serie geht es um ihr Fazit nach rund drei veganen Wochen.
Leon Hoffmann-Ostenhof
22 Tage und ähnlich viele Gerichte mit Tahini später sind wir nun am Ende unserer Vegan-Challenge. Bereits vor zwei Wochen in unserem Zwischenfazit lobte ich die positiven körperlichen Folgen veganer Lebensweise in höchsten Tönen. Ich fühle mich frischer und mein Cholesterinspiegel dankt mir auch.
In den letzten drei Wochen habe ich etliche Gespräche mit Veganern und Nicht-Veganern über mein Experiment geführt. Entgegen meiner Erwartung wurde mir bei den Gesprächen mit den veganen Bekanntschaften mehr Feindseligkeit gezeigt, auch wenn das wohl bubblebedingt ist. Grund dafür war, dass ich verlautbart hatte, wohl nicht so strikt vegan zu bleiben. Ein jeder Veganer solle ein fanatischer Veganer sein, denn einen gemäßigten Kannibalen würde man doch auch nicht akzeptieren. Diese Haltung sehe ich jedoch als Problem der veganen Bewegung.
In ihrer sektiererischen Konsequenz wird die eigene Moral als verallgemeinertes System angesehen und so die Nuancen zwischen den Grauzonen des Schwarz und Weiß in der Welt ignoriert. Vegan sein ist, wie das meiste was zu benennen ist, ein Spektrum – die Verneinung dieses Fakts behindert eine offene Diskussion über unseren Konsum. Man könnte doch auch allen Menschen vorwerfen Kannibalen zu sein, weil in der Erde, in der unser Gemüse wächst, auch Überreste von menschlichen Leichnamen sind. Das macht es moralisch aber nicht vertretbar, einen Mitmenschen umzubringen und genüsslich zu verzehren. Die Diskussion muss sich wegbewegen von dem Ziel des absoluten Veganismus hin zur Reflexion der Beziehung von menschlichen zu nicht-menschlichen Tieren und deren Verbesserung. Denn die Änderung wird nicht wegen der größer werdenden Veganer-Community stattfinden. Sie kann nur durch großflächige Reformen, die den menschlichen Zugang zu Tierprodukten verändern, gelingen. Gesellschaftliche Probleme dürfen nicht am ohnehin schon marginalisierten Konsumenten hängen bleiben, sondern müssen von der Politik wahrgenommen werden.
Es gibt unendlich gute Gründe auf Fleisch und Käse zu verzichten. Seien sie nun gesundheitlich, ökologisch oder ethisch. Einen dieser Gründe als verallgemeinerbar anzusehen, ist allerdings problematisch – wer das macht, nährt das menschliche Bedürfnis, sich überlegen zu fühlen. Ähnlich einem religiösen Fundamentalisten, der sich Ungläubigen gegenüber erhabener fühlt. So werden auch jene abgeschreckt, die erst beginnen, die Fühler nach der veganen Ideologie und Lebensweise auszustrecken.
In zukünftigen Gesprächen werde ich für den Veganismus einstehen, ohne Veganer zu sein, aber jedenfalls veganer.
Clara Wutti
„Vegetarische Ernährung find‘ ich ja noch ok, aber vegan könnte ich nie sein“, „Wie hältst du das denn aus?“ – Sätze wie diese, sowie Witze darüber, dass meine Ernährung jetzt nur noch aus Gras und Wasser bestünde, hörte ich während meiner Vegan-Challenge fast täglich und verstehe jetzt langsam, warum Veganer sich oft über Fleischesser aufregen. Leuten zu erklären, warum ich diese Challenge mache, stellte sich tatsächlich als die größte Herausforderung während meiner veganen Phase dar. Schnippische, vermeintlich lustige Kommentare oder ungefragte Kritik von Fleischessern waren da keine Seltenheit. Vor allem eine Aussage bekam ich so oder ähnlich auffällig häufig zu hören: „Mein Problem mit Veganern ist ja, dass das dann genau die sind, die jeden Tag eine Avocado brauchen, und das ist ja genau so umweltschädlich.“ Eine kurze Internetrecherche genügte, um herauszufinden: Ganz so stimmt das nicht. Dass Avocados, was Umwelt und Nachhaltigkeit angeht, nicht unbedingt eine gute Figur machen, ist, glaube ich, jedem Avocadoliebhaber (und somit auch mir) bewusst. Dennoch hat Fleisch (vor allem Rind-, aber auch Schweine- und Hühnerfleisch) einen weitaus höheren Wasserverbrauch pro Kilo als die Avocado (Avocado: 1 000 l Wasser/kg, Rindfleisch: 15 000 l/kg, Schweinefleisch: 6 000 l/kg, Hühnerfleisch: 4 000 l/kg). Auch Kaffee, Kakao, Käse und Butter verbrauchen ein Vielfaches des Wassers, das für die Produktion von Avocados benötigt wird. Bemängelt wird auch der lange Transportweg der Avocados: Tatsächlich wird bei ihrer Lieferung von wärmeren Klimazonen, wie Mittel- und Südamerika, nach Österreich einiges an CO2 freigesetzt. Dies trifft allerdings nicht nur auf die Avocado zu, sondern auf jedes Lebensmittel, das aus den Tropen importiert wird. Stellt sich also die Frage, wieso Bananen, die beim Transport sogar noch mehr CO2 ausstoßen, nicht im gleichen Ausmaß kritisiert werden wie die Avocado.
Zielführender wäre es, wenn Fleischesser sich mit ihren eigenen Essgewohnheiten und deren Öko-Bilanz beschäftigen würden, anstatt über Veganer und deren Avocado- und Sojakonsum zu urteilen. Niemand von uns muss von heute auf morgen der perfekte Veganer werden. Vielmehr geht es doch darum, sich bewusst mit seiner eigenen Ernährung auseinanderzusetzen und das zu tun, was man kann, um Umwelt und Klima zu schützen. Ob das bedeutet, gänzlich auf Tierprodukte zu verzichten oder seinen Fleischkonsum von dreimal pro Woche auf einmal pro Woche zu reduzieren, ist dabei nachrangig. Immer wieder höre ich von Veganern in meinem Umfeld, wie viel Häme ihnen von Fleischessern entgegentritt, wenn sie einmal eine Ausnahme machen und einen Kuchen mit Ei oder ein Stück Käse essen. Fast so, als wäre man vorrangig bemüht, seine eigenen Fehler nicht kritisch durchdenken zu müssen, sodass man lieber auf Leuten herumhackt, die ohnehin schon ihr Bestes tun.
Ich weiß mit Sicherheit, dass ich es nicht schaffen werde, mich nach Ende meiner Vegan-Challenge weiterhin komplett pflanzlich zu ernähren. Aber ich werde mein Bestes tun, auf all jene tierische Nahrungsmittel zu verzichten, bei denen es mir am leichtesten fällt (wie zum Beispiel Fleisch, oder Kuhmilch im Müsli oder meinem Kaffee). Ich kann nur jedem empfehlen, eine 22-tägige Vegan-Challenge zu machen, da einem auffallen wird, wie viele Produkte, die man davor fast täglich konsumiert hat, einem gar nicht abgehen, wenn man länger auf sie verzichtet und man gleichzeitig etwas Gutes für Umwelt, Tiere und seine eigene psychische und körperliche Gesundheit tun kann.
Leonie Razumovsky
Jetzt sind 22 Tage vorbei und damit unsere Vegan-Challenge. Wenn ich auf die vergangenen Wochen zurückblicke, ist mir bewusst geworden, dass es hin und wieder gar nicht so leicht ist, sich rein vegan zu ernähren. Unter anderem, weil in viel mehr Lebensmitteln tierische Produkte enthalten sind, als man vielleicht erwarten würde. Dadurch verbringt man dann zum Teil sehr viel Zeit damit, sich zu überlegen, was man jetzt eigentlich essen, oder was man durch welches Produkt ersetzen könnte. Das ist vor allem dann schwierig, wenn man relativ neu in der Welt der Veganer*innen ist.
Was mir die Challenge außerdem in erster Linie klar gemacht hat, ist, dass man wirklich wollen muss vegan zu sein und auch mit dem Ziel herangehen sollte, die Umstellung längerfristig durchzuführen. Ich würde von mir selber sagen, dass ich ein Mensch mit relativ starker Willenskraft bin, trotzdem hatte ich oft Gedanken wie: „Naja, ich könnte jetzt schon cheaten und ein Stückchen Käse essen, in ein paar Tagen ist diese Challenge eh vorbei.“ Und ich gebe zu, zwischendurch bin ich leider ein, zwei Mal schwach geworden und habe meinen verführerischen Gedanken nachgegeben.
Trotzdem kann ich sagen, dass es alles in allem eine gute und bereichernde Erfahrung war. Durch die vegane Ernährungsweise setzt man sich automatisch viel mehr damit auseinander, was man da eigentlich wirklich seinem Körper zuführt, und das kann zu einem neuen Bewusstsein führen.
Vegan bleiben werde ich leider trotzdem nicht. Dafür habe ich viel zu sehr Käse vermisst und den Tag herbeigesehnt, an dem dieser Selbstversuch zu seinem Ende kommt. Aber ich hoffe sehr darauf, dass ich es irgendwann in der Zukunft schaffen werde, meinen inneren Schweinehund zu überwinden und auf eine vegane Ernährungsweise umzusteigen. Allein deswegen, weil es mir persönlich aus ökologischen Gründen wichtig wäre. Und ich denke, wenn man nur ein bisschen mehr Disziplin beweist als ich und es wirklich will, muss es eigentlich gar nicht so schwer sein.