Der größte Hörsaal im Physikinstitut der Universität Wien ist der Lise-Meitner-Hörsaal. Benannt nach der gleichnamigen Kernphysikerin, die als Mitglied einer Gruppe von Wissenschaftlern die Kernspaltung entdeckte, beziehungsweise die erste theoretische Erklärung dafür lieferte, bei der Nobelpreisvergabe für diese Erkenntnis aber übergangen wurde. Heute ist ihr Name und ihre Geschichte bekannt, auch ihre wissenschaftlichen Kolleginnen werden immer präsenter. Dennoch gibt es in den meisten MINT-Studiengängen* (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) signifikant weniger Frauen als Männer.
*in diesem Artikel zähle ich medizinische Studien und sämtliche Lehramtsstudiengänge nicht zu den MINT-Fächern
Marie Skłodowska Curie ist allbekannt, auch Namen wie Ada Lovelace, die Mutter der Informatik, die Primatenforscherin Jane Goodall, spätestens seit dem oscarnominierten Film Hidden Figures Katherine Johnson, Mary Jackson und Dorothy Vaughan, werden mit klugen Naturwissenschaftlerinnen verbunden. Das Foto von Margaret Hamilton, die neben dem Programmcode für die Apollo-Missionen steht, zieht regelmäßig durchs Internet, oder Katie Bouman, die beeindruckt auf das erste Foto eines schwarzen Loches blickt. Im November bekam Andrea Ghez den Nobelpreis für Physik und auch zwei Chemikerinnen wurden ausgezeichnet. Naturwissenschaftlerinnen sind nicht unsichtbar, aber wenig gesehen. Weltweit sind von den in MINT-Bereichen tätigen Personen ungefähr 30 % Frauen.
Gene oder Umwelt?
Auch wenn in den Vorlesungen der ersten Semester manchmal annähernd gleich viele Studentinnen wie Studenten sitzen, an der Tafel stehen dann doch meistens Männer und unterrichten. 53,5 % der Studierenden in Österreich sind weiblich, aber nur 25,98 % der Professor*innen sind Frauen.
Weibliche Vorbilder, also beispielsweise Lehrkräfte, bekannte Wissenschaftlerinnen, aber auch fiktive Figuren in Filmen und Serien sind ein wichtiger Faktor, um junge Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern. Naturwissenschaften und Technik sind von Männern dominierte Felder, daher werden Studienfächer und Berufe in diese Richtung eher als männlich wahrgenommen. Das kann weitreichende Folgen haben, zum Beispiel, dass junge Mädchen häufiger von Lehrer*innen und Eltern mit Vorurteilen konfrontiert werden, die etwa die Fähigkeit zum mathematischen Denken betreffen.
Eine Studie hat ergeben, dass 6-jährige Mädchen Mitglieder ihres eigenen Geschlechts weniger häufig als sehr klug („really, really smart“) bezeichnen, als gleichaltrige Jungen das tun (mit fünf Jahren gab es aber noch keine nennenswerten Unterschiede in der Wahrnehmung der Intelligenz) und infolgedessen Aktivitäten vermeiden, von denen ihnen gesagt wurde, dass sie nur für sehr kluge Kinder seien.
Eine befragte Astronomiestudentin sagte dazu:
„Meiner Meinung nach fehlt oft einfach der Zugang, oder viele Frauen denken, dass sie das nicht schaffen können.“
Rein neurobiologisch betrachtet gibt es aber keinen Unterschied in der neuronalen Reaktion von Mädchen und Jungen, wenn es um Mathematik geht. Mithilfe von bildgebenden Verfahren wurde die Hirnaktivität von drei- bis zehnjährigen Kindern untersucht, denen Mathe-Erklärvideos vorgespielt wurden. Bei der Fähigkeit zum mathematischen Denken gibt es also keine intrinsischen geschlechtsspezifischen Unterschiede, vielmehr haben diese einen umweltbedingten Ursprung.
Alle sind willkommen
Filme prägen oft ein gewisses Bild einer Berufssparte, die klassische Hollywood-Wissenschaftlerin ist eine intelligente, ehrgeizige weiße Frau mit zurückgesteckten Haaren, meist single und kinderlos. Doch die Realität sieht anders aus.
Man kann auch mit künstlichen Wimpern, unfrisierten Haaren oder im selbstgestrickten Pullover Experimente durchführen. Als Soundtrack zu Berechnungen sowohl Beethoven als auch One Direction hören.
Viele der besten Wissenschaftler*innen haben Hobbys, die nichts mit ihrem Beruf zu tun haben, auch wenn sie diesen noch so sehr lieben. Nach einem anstrengenden Tag freuen sich einige auf einen Netflix-Abend oder zum hundertsten Mal Pride and Prejudice zu lesen. Nur weil man so intelligent wie Albert Einstein ist, muss man nicht solche kultivierten Hobbys wie das stundenlange Geigenspiel haben.
be a STEMINIST
Besonders in naturwissenschaftlichen Studiengängen wird Wert darauf gelegt, dass sich die Studierenden untereinander vernetzen und Aufgaben miteinander lösen. Für den wissenschaftlichen Fortschritt ist es essentiell, mit vereinten Kräften zu forschen.
Feministische Bewegungen rufen immer wieder dazu auf, dass Frauen sich untereinander unterstützen und ermutigen sollen.
Mittlerweile hat sich auch eine große Online-Community von feministischen Wissenschaftlerinnen gebildet, kurz auch Steminist genannt, eine Kombination aus STEM (Science, Technology, Engineering and Mathematics) und Feminist. Naturwissenschaftlerinnen zeigen auf Social Media ihren Arbeitsalltag, berichten von Projekten an denen sie arbeiten und erzählen in Youtube-Videos von ihren Erfahrungen und geben Ratschläge.
„Just go into Physics“
Sich bewusst zu werden, welche internalisierten Einstellungen und Vorurteile man selbst hat, ist der erste Schritt, sie zu überwinden. Die Überwindung sich zu einem Studium zu entscheiden, dass man sich vielleicht nicht ganz zutraut und bei dem man eventuell gesellschaftlichen Gegenwind bekommt, kann sehr viel Kraft kosten. Ist das Interesse und die Neugierde zu entdecken, wie unsere Welt und unser Universum funktioniert, aber da, gibt es keinen Hinderungsgrund. Mathematik und Physik lernen kann jede*r, es braucht zwar Zeit, Geduld und die Kraft, dranzubleiben; die Euphorie, wenn man dann endlich verstanden hat, wie die Aufgabe funktioniert, die Rechnung richtig gelöst hat, oder von etwas neu Gelerntem begeistert ist, wiegt aber alle Anstrengung auf.
Eine angehende PhD-Studentin, nach ihren Vorbildern befragt, erzählte:
„Besonders in Erinnerung geblieben ist mir […] der großartige Vortrag von Jocelyn Bell Burnell über ihre Entdeckung der Neutronensterne. Danach habe ich in der anschließenden Fragerunde nach ihren Tipps für Frauen in der Wissenschaft, speziell in der Physik gefragt. Ihre Antwort: „Just go into Physics“. Das wurde dann ein wenig mein Leitspruch im Studium: Mach es einfach.“
Danke an: Victoria Kletzl, Nora Wagner, Sanje Fenkart, Susanne Reisner, Katja Ortner
(c) Titelbild: Marie-Christine Reisner/Anton Hammel
Studium der Astrophysik. Psychotherapeut*in to be.