Vier Tage nach Bekanntwerden der Chat-Affäre und Hausdurchsuchungen in der ÖVP Zentrale und dem Bundeskanzleramt, hat Sebastian Kurz sein Amt abgelegt. Seine Rücktrittsrede – ein rhetorisches Kunststück zwischen Ablenkung, Relativierung und Inszenierung.
Samstag, kurz nach 19:30. In wohl so mancher Wohngemeinschaft in Österreich ist der Prosecco oder das Bier bereits eingekühlt. Es ist einer dieser Abende, an dem sich die GIS-Gebühr endlich mal auszahlen könnte. Das Programm zur Prime-Time: Korruption, Ibiza 2.0 und ja, man munkelt bereits, auch wenn es noch niemand so wirklich glauben kann – ein Rücktritt.
Als unser Noch-Bundeskanzler Sebastian Kurz mit gehöriger Verspätung vor die Kamera tritt, werden noch die letzten Wetten abgeschlossen. Wird er sich weiter an den immer bröckeliger werdenden Fundamenten seiner Macht festklammern oder werden wir tatsächlich Zeugen eines seltenen Akts der Übernahme von Verantwortung.
Doch – was sich in den kommenden Minuten abspielt, ähnelte dem Level an Befriedigung, wenn der DJ im Club an der besten Stelle im Lied einen schlechten Übergang macht. Sebastian Kurz wird einen “Schritt zur Seite” tun, und sein Amt des Bundeskanzlers an den bisherigen Außenminister Schallenberg übergeben. Das Wort “Rücktritt” sucht man in dieser siebenminütigen Selbstinszenierung und perfekten Schwiegersohn-Gehabe vergeblich. Genauso wie eine Entschuldigung.
Vom Macher zum Märtyrer
Gleich zu Beginn seiner Rede lässt Kurz kein Mittel aus dem Repertoire von Ablenkungsstrategien unberührt. Die in den vergangenen Wochen etwas beschmutze Weste des einstigen politischen Wunderknabens, versucht dieser vergeblich mit ausschweifenden Schilderungen all der unter ihm vollbrachten Leistungen für “unser Österreich” reinzuwaschen. Die Korruptionsvorwürfe gegen ihn, nicht mehr als eine Verleumdungskampagne, so wie sie schon immer gegen jene geführt würden, die sich als Verteidiger des Volkes gegen den Machtapparat stellen. Falsche Beschuldigungen und Diffamierung wären schließlich etwas, “dass bereits viele Spitzenpolitiker erleben mussten – im Inland aber auch im Ausland”, so Kurz. Dabei malt Sebastian Kurz auch rhetorisch ein Bild der Alternativlosigkeit. Gerade in Zeiten der Krise würde es doch einen wie Ihn benötigen, einen, dem das Wohl von allen Menschen, insbesondere derer mit „kleinen und mittleren Einkommen“ am Herzen liegt und der “Stabilität und Verantwortung” für Österreich bringt.
Nur ein Mensch mit Emotionen und Fehlern
Dass die Vorwürfe gegen den ehemaligen Bundeskanzler keine politischen Kleinkriege sind, sondern strafrechtliche Relevanz haben, kehrt Kurz in seiner Rede wiederholt unter den Teppich. Diese “Vorwürfe, die aus 2016 stammen”, scheinen für ihn wohl gleichbedeutend zu sein mit der heutigen Relevanz von Pokémon Go, der Mannequin Challenge oder des IPhone 7 Modells – denn, wer erinnert sich schon noch daran?
Ja gut, ein bisschen peinlich sind sie schon, die Chat-Nachrichten, die da ans Licht gekommen sind. Das würde er heute bestimmt auch nicht mehr so sagen, das gibt Sebastian Kurz gerne zu. Aber waren wir nicht alle mal jung und bissi unvernünftig? Haben wir nicht alle mal versucht, einen Milliardenkredit zum Ausbau der flächendeckenden Nachmittagsbetreuung zu verhindern? Eben.
Kurz bedient sich hier einer klassischen rhetorischen Strategie populistischer Politiker*innen, indem er sich selbst zum „kleinen Mann des Volkes“ macht. Davon, dass er sich mit dem Volk auf eine Augenhöhe stellt, erhofft er sich Verständnis und Mitleid. Er sei schließlich auch nicht mehr als ein „Mensch mit Emotionen und Fehlern“. Dass Kurz gerne mal sein Licht unter den Scheffel stellt, um sich aus der Verantwortung zu ziehen, zeigt sich auch anhand der wiederkehrenden Betonung der Unschuldsvermutung von der er „sich wünschen würde, dass sie in Österreich wirklich für alle gelten würde“. Den berechtigten Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit diskreditiert er damit als Hetze der Öffentlichkeit und der Opposition gegen seine Person und teilt dabei ganz nebenbei sein Misstrauen an der Unabhängigkeit der Justiz. Die Unschuldsvermutung gilt nebenbei, das muss immer wieder aufs Neue betont werden, ohnehin für Kurz, wie auch für alle anderen Beschuldigten.
Kurz der Große
Auch bei den Strategien der Selbstinszenierung scheint Kurz tief in die rhetorische Werkzeugkiste der ganz großen Populist*innen gegriffen zu haben. Während er seinen „Schritt zur Seite“ zum Akt der Selbstlosigkeit und Größe erhebt, wird das Scheitern der Regierungszusammenarbeit dem grünen Koalitionspartner in die Schuhe geschoben. Denn diese hätten sich in diesen krisenhaften Zeiten „klar entschlossen, sich gegen ihn zu positionieren“ und damit die Stabilität und das Gemeinwohl unseres Landes gefährdet. Das große Unrecht, das ihm angetan wurde, wittert der nun Ex-Bundeskanzleraber dennoch, und das „würden ihm auch viele sagen“. Und überhaupt, eigentlich müsse er sich das ja alles von der Opposition und dem Koalitionspartner nicht gefallen lassen. Fast meine man herauszuhören, er sei ja hier nur das Opfer. Aber natürlich, wie Kurz nun gegen Ende seiner durchaus rhetorisch gefeilten Rede verlauten lässt, würde es ja hier in der ganzen Sache nicht um ihn selbst gehen. Politik solle sich ja nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern für das Volk arbeiten: „Es geht um Österreich. Es geht um Sie alle“.
Vom Bundeskanzler zum Schattenkanzler
Das Ende der Rede des “zurückgetretenen” Kanzlers hinterließ nur einen leichten Hauch von Befriedigung für die Personen vor ihren Fernsehbildschirmen. Als österreichische Bürger*innen lässt sich in Anbetracht der vorangegangenen Tage nämlich nur schwer erkennen, inwiefern die Politik und vor allem Sebastian Kurz und die ÖVP wirklich für das Volk arbeiten und nicht, wie Kurz hier vehement zu betonen versucht, für sich selbst. Man könnte Kurz ja fast danken, uns in seiner Rücktrittsrede ein Lehrstück politischer Rhetorik präsentiert zu haben. Doch die jetzige Position von Kurz, als Kanzler, der eigentlich keiner mehr ist, aber doch im Hintergrund die Fäden zieht, zeichnen ein beunruhigendes Bild der politischen Landschaft Österreichs. Wir haben hier keinen Rücktritt gesehen sondern bloß eine Metamorphose – vom Bundeskanzler zum Schattenkanzler.
Titelbild: © Rayson Tan/unsplash.com