Geschlagen von der eigenen Freundin – Wir müssen reden

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„Passiert auch den Stärksten“ – ist der erste Treffer, den ich finde, nachdem ich nach Opferhilfen für häusliche Gewalt von Frauen an Männern suche. Auf den ersten Blick wird mit diesem Slogan das alte Rollenbild bedient. Der kräftige Mann, stark und wehrhaft. Ein männliches Opfer in einer Paarbeziehung, geschlagen von der eigenen Partnerin, für viele kaum vorstellbar.

Zu Beginn meiner Recherche zum Thema holte ich Meinungen aus meinem persönlichen Umfeld ein, um ein erstes Stimmungsbild zu gewinnen. Gewalt gegen Männer ist für viele meiner männlichen Freunde praktisch nicht existent. Schnell rutschten die Gespräche ins Lächerliche und wurden mit läppischen Sprüchen abgetan. „Manche erwischt es vielleicht, mich aber sicher nicht“. Das mag sein, zur Gänze glauben konnte ich es aber nicht. Bei längerem und intensiverem Nachfragen bemerkte ich unzweifelhaft kurze Gesprächspausen und ein Nachdenken über Situationen in der Vergangenheit. Das Problem wurde schnell sichtbar. Es gab grenzwertige Vorkommnisse, diese wurden aber einfach nicht als solche wahrgenommen. Vor allem körperliche Gewalt ist für Männer etwas „Natürliches“, mit dem sie umgehen können müssen und für die meisten deshalb so schwer erkennbar. Sieht man einen Freund mit Kratzern am Hals oder blauen Stellen am Oberarm, kommen einem oft als erstes Gedanken an ein interessantes Sexleben und man lässt sich vielleicht zu Sprüchen darüber hinreißen. An häusliche Gewalt denkt hier aber niemand – auch ich nicht.

Der blaue Fleck wird zum blinden Fleck

Das vorherrschende Bild, das ich vorerst gewonnen hatte, manifestierte sich auch in meiner weiteren Arbeit zum Artikel. Gewalt von Männern in der Familie. Gewalt von Männern untereinander. Durchgehend wird der Fokus auf den männlichen Täter gerichtet. Auch explizite Hilfsangebote oder Anlaufstellen in Wien finde ich nicht. Das Internet ist wie der gesellschaftliche Diskurs und die Medien hier auf beiden Augen blind. Das männliche Opfer ist unterrepräsentiert und das, obwohl englische Studien ergaben: Eins von drei Opfern häuslicher Gewalt ist männlich. Das deutsche Bundesministerium für Familie hingegen geht von ungefähr 20 Prozent männlichen Opfern aus. Trotz ihrer Differenz zeigen beide Studien, dass von Einzelfällen schon lange nicht mehr die Rede sein kann. Auch Frauen üben Gewalt aus. Selbst die erhobenen 20 Prozent Opfer sind ein erheblicher Teil. Ein Teil, der in der Medienberichterstattung kaum bis gar kein Gehör findet. Vielleicht ist „Passiert auch den Stärksten“ und das Spiel des Slogans mit alten Klischees genau deshalb treffender gewählt als anfangs gedacht. Vermutlich braucht es diesen stereotypen Zugang, um betroffene Männer zu erreichen und den Blick der Gesellschaft darauf zu lenken.

Männer töten, Frauen nicht

An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass mit diesem Artikel Gewalt gegen Frauen nicht bagatellisiert werden soll. Aufgrund der körperlichen Überlegenheit ist Gewalt von Männern gegen Frauen nach allem immer noch weitaus drastischer und zieht die weitreichenderen Folgen nach sich. Dies bestätigt auch Alexander Haydn, der bei der Männerberatung Wien arbeitet, einer der wenigen Anlaufstellen für männliche Opfer und Täter. Wenn ein 1,90 cm großer Mann mit 110 kg eine kleine Frau schubse oder schlage, hätte das immer noch deutlich erheblichere Auswirkungen als andersherum. Das sei der wesentliche Unterschied. „Männliche Gewalt zerstört oder tötet Leben.“

Die weibliche Gewalt zeichnet sich durch andere Problembereiche aus. Ihre Breite ist ausgedehnter. Schläge von einer Frau haben oft symbolischen oder defensiven Charakter und werden deshalb von Männern seltener als Gewalt angesehen. Verletzender ist die seelische Gewalt. Diese zu erforschen ist besonders schwierig, da psychische Gewalt keine objektiv sichtbaren Narben hinterlässt.

Alexander Haydn ist forensischer Psychotherapeut und einer von 60 Mitarbeiter*innen der Männerberatung Wien. Als sein Sohn ihn vor 17 Jahren fragte: „Papa, was ist eigentlich deine Vaterrolle?“, fing er an, sich mehr und mehr mit dem Thema und seiner männlichen Identität auseinanderzusetzen. Er machte eine Therapeutenausbildung und wechselte aus der Wirtschaft, in der er als Betriebswirt tätig war, in die Männerberatung. Dort ist er nun seit mehr als 15 Jahren. Dabei beschäftigt er sich vor allem mit Gewalt von Männern in der Familie und der Therapie von Risikofaktoren von Strafgefangenen in der Justizanstalt sowie Opfer- und Prozessbegleitungen.

Als ich ihn auf die oben genannten Studien ansprach, meinte er, diese seien für ihn wenig repräsentativ. Er persönlich beziehe sich allein auf die Statistik der Betretungsverbote und Wegweisungen des österreichischen Innenministeriums. Kommt es in einer Partnerschaft zu einem Streit und der Notruf wird gerufen, erteilt die Polizei eine Wegweisung. Der oder die Täter*in darf dann 14 Tage nicht in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Neun von zehn Gefährder*innen sind hier männlich. Deswegen sei es für ihn immer noch vorrangig, mit männlichen Tätern bei Gewalt in der Familie zu arbeiten.

Dem Unaussprechlichen eine Sprache geben

Das Gespräch mit ihm neigte sich aufgrund dessen und seiner Erfahrung immer wieder zum männlichen Täter. Der Bruch mit dem Stereotyp scheint auch ihm nicht leicht zu fallen. Dann erzählt Haydn aber eine Geschichte aus einer seiner letzten Beratungen. Ein Klient beklagte sich über große Probleme mit seiner Frau und in deren Ehe. Wieder könne man in alte Denkmuster zurückfallen und an den nächsten Femizid glauben, so Haydn. Zögerlich öffnete sich der Klient schlussendlich und erzählte, dass er jedes Mal geohrfeigt werde, wenn er nach Hause komme oder etwas nicht richtig erledige.

Ein gewohntes Prozedere. Die betroffenen Männer rücken erst stückchenweise und äußerst zaghaft mit ihren Erlebnissen heraus und sind dann völlig überrascht, dass es die Berater*innen dann eben nicht sind. „Respektieren, validieren, beleuchten“, so Haydn. Das Wichtigste sei aber, vor allem den Klienten ernst zu nehmen, ihn in seiner Erzählrolle zu akzeptieren und ein angemessenes Setting zu bieten. Das professionelle Fachwissen sei das Entscheidende – die richtigen Worte dafür zu finden. Auf das erste Vieraugengespräch folgen meistens mehrere Sitzungen und anschließende Gruppenrunden.

Die Scham ist lauter als der Hilferuf

Gewalt von der Partnerin zu erfahren, sei aber genauso ein beschämendes Gefühl, wie selbst seine Frau zu schlagen. „Vielleicht noch ein Stück mehr“, sagt Haydn. Die Männerberatung Wien ist meist die erste Anlaufstelle für viele Betroffene. Freund*innen und Familie haben für solche Probleme oft wenig Empathie. In Freundeskreisen und Stammtischen werde darüber selten oder nie gesprochen. Wenn, dann wird das Gespräch nicht selten wieder in die Richtung gestoßen: „Wieso lässt du dir das gefallen?!“

Die Medienlandschaft ist dafür weitgehend taub. Jedes Mal, wenn eine Frau in Österreich ermordet wird, klingelt sein Telefon ununterbrochen. Journalist*innen fragen jedes Mal: „Wie konnte das passieren?“ Schrecklich, ohne Zweifel, berechtigt und wichtig, dass die Medien voll davon sind. In einer Medienwelt voller Nachrichtenwerten und Femizid-Countern ist es jedoch auch einfach spannender, als eine Ohrfeige der Partnerin. Aber so funktioniere Journalismus. An einen Artikel in den letzten Monaten über weibliche Gewalt gegen den eigenen Partner könne er sich nicht erinnern. Ein männliches Opfer fühle sich auch deshalb in der Gesellschaft nicht aufgehoben. Trotz allem sei der mediale sowie gesellschaftliche Trend der vergangenen Jahre sehr positiv. Häusliche Gewalt trete zum Glück immer mehr aus den dunklen eigenen vier Wänden.

Es besteht Nachholbedarf

In Wien gibt es nach wie vor keine explizite Beratungsstelle für häusliche Gewalt gegen Männer. Der Großteil der Opfer wird von der Männerberatung abgefangen. Diese sieht sich aber als Beratungsstelle für männliche Täter. Die erste Anlaufstelle wären eigentlich die Interventionsstellen, die sich aber österreichweit mehr der Frau als Opfer widmen und aktuell keine Ressourcen für die männlichen Betroffenen haben.

Seit September gibt es eine Krisenberatungshotline – rund um die Uhr-, die von Haydn und der Männerberatung ins Leben gerufen wurde. Männern und Burschen bietet sie in allen Lebenslagen eine anonyme und kostenfreie Beratung – auch gedolmetscht.

Wenn du von häuslicher Gewalt betroffen bist, wende dich an die Krisenhotline unter 0800 400 777 oder unter www.maennerinfo.at

 

Titelbild: © Levi Meir Clancy / Unsplash

 

 

1 Comment

  1. Also ich kenne 4 Männer die gewaltätigem Missbrauch ausgesetzt sind durch ihre Frauen. Ich bin es auch. Und das Männer kaum drüber reden sehe ich nicht so. Ich rede darüber. Und den Mann als Täter zu sehen und die Frau als Opfer führt dazu daß der Kreislauf der Gewalt nicht durchbrochen wird. Diese gewaltätigen Frauen sind auch Mütter. So wie meine Freundin. Und das Beispiel das sie abgeben führt zu mehr Gewalt. Das ist ein großer blinder Fleck.

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