Patriotischer Holzfällerhemd-Träger, virtue-signaling Perlenketten-Feminist oder doch ein androgyner Fisch im großen Ozean? Was bedeutet Männlichkeit im postmodernen Internetdiskurs? Und welche Möglichkeiten hat man als linker Mann, seine Männlichkeit zu definieren, ohne sich auf ein konservatives Männerbild der Rechten zu beziehen?
Früher (prä-Internet) war Männlichkeit einfach zu erkennen: Die Medien (Fernsehen, Radio, Zeitung) gaben vor, was die Kultur rund um den Mann war. Die lineare Art und Weise dieser Medien war direkt, sie hat keinen Echtzeit-Diskurs möglich gemacht, sie hat etwas vorgegeben und das war dann Realität. Heute ist alles ein Diskurs. Das Internet hat die Diskussion um (Pop)-Kultur geöffnet, es ist keine autoritäre Instanz. Die verrosteten Konstrukte um kulturelle, soziale und gesellschaftliche Ideen wurden durch das Internet aufgebrochen. Jeder hat die Möglichkeit bei diesem Aufbrechen dabei zu sein. Was wir für selbstverständlich gehalten haben, wird jetzt in Frage gestellt – wie das Mann-Sein.
Was ist postmoderne Männlichkeit?
Männlichkeit im postmodernen Zeitalter ist politisch geprägt: Rechtsorientierte propagieren ein konservatives, klassisches Männerbild, Links-Liberale stehen für eine Dekonstruktion des rechten Männerbildes. Beide politische Seiten haben unterschiedliche philosophische Weltanschauungen: Realismus und Postmodernität. Die postmoderne Ansicht der Linken, dass Wahrheit subjektiv ist, bezieht sich auch auf Männlichkeit. Sie öffnen die Definition, um Männer, die nicht in die traditionelle Norm von Männlichkeit passen, mit einzuschließen: Jeder kann sich mit ihr identifizieren, wenn er das möchte. Die vom Realismus geprägte Ansicht der Konservativen sieht Männlichkeit als objektive traditionelle Geschlechternorm. Sie schließen Männer aus, die nicht in ihr Bild passen und inkludieren die, die sich ihm beugen.
Die postmoderne Idee, dass Männlichkeit alles sein kann, aber nichts sein muss, ist befreiend, aber auch verwirrend. Sie ist nicht zwingend an einen Mann gebunden, genauso wenig wie Weiblichkeit an die Frau gebunden ist. Jeder kann alles sein, und das ist gut – aber ich habe auch immer den pubertären 14-Jährigen auf TikTok im Hinterkopf, der wissen will, wie er ein Mann sein kann und dann entweder auf dumpfe, virtue-signaling Harry Styles-Lookalikes oder Jordan Peterson-American Psycho-Incels trifft. Beides scheiße, beides macht unsicher, beides verwirrt. Aber wer gibt ihnen mehr Anhaltspunkte? Leider die Seite von Jordan Peterson. Er schreibt Bücher über das Mann-Sein, gibt Lebensratschläge, die objektv betrachtet gar nicht mal so verwerflich sind, jubelt einem dann aber eine sexistische, konservative Weltanschauung unter. Jungs, die noch keine Ahnung von irgendwas haben, oder Männer, die sich in der Weite des postmodernen Internets verlieren, sehen das und klammern sich daran fest. Die Linken haben das nicht, wir haben nichts zum Festklammern, wir haben keinen realistischen Anhaltspunkt für junge Männer, die wissen wollen, was Männlichkeit oder Mann-Sein bedeutet, wir sagen: Männlichkeit kann alles sein, was du willst. Wir sind doch alle bloß androgyne Fische in einem großen weiten Ozean.
Dennoch haben wir eine strikte Door-Policy, es dürfen nur gute Menschen rein. Das ist der einzige Anhaltspunkt, den die Linken haben: Sei respektvoll, sei tugendhaft, offen, nett und sei vor allem politisch korrekt. Wir fordern eine Gutmensch-Mentalität, die aber immer mehr in Frage gestellt wird.
Dirtbag Leftism
Matty Healy, der Frontsänger der Band The 1975, wird gerade gecancelt, weil er im Podcast The Adam Friedland Show unsensible und frauenfeindliche Witze gemacht hat. Fans sind schockiert. Auf der Bühne ist er jemand, der sich gegen amerikanische Abtreibungsgesetze ausgesprochen hat und in Interviews deutlich gezeigt hat, dass er linke Weltanschauungen vertritt. Jetzt macht er unsensible Witze und ist irgendwie ein Arschloch? Wieso ist das so schockierend?
Es ist schockierend, weil politisch links zu sein, damit gleichgesetzt wird, ein guter Mensch zu sein. In der linken Sphäre geht man irgendwie unterbewusst davon aus, dass jeder andere, der sich auch darin befindet, eine gewisse höfliche, moralische Gutmensch-Mentalität hat. Wir sind offen und respektvoll, weil wir der postmodernen Ansicht folgen, die von Inklusivität lebt – deswegen müssen wir nett sein. Der Grundkonsens bei Diskussionen um Geschlecht innerhalb der linken Blase ist: Sei kein Arschloch, sei respektvoll, sei politisch korrekt – in jedem erdenklichen Aspekt. Das wird aber irgendwann schwierig, vor allem wenn es dann Menschen gibt, die meinen, ihre Pronomen seien jetzt Ratte. Natürlich ist das nicht die Mehrheit, und natürlich muss man solche Menschen nicht unbedingt ernst, oder als Paradebeispiel für die Linken nehmen, aber es passiert trotzdem, und es ist anstrengend. Es ist anstrengend, sowas zu verteidigen.
Aber das muss man auch nicht. Man kann links sein und gleichzeitig unhöflich und problematisch, das zeigt Matty Healy – jemand, der von vielen jetzt dirtbag leftist genannt wird. Das sind Leute, die anti-faschistisch, anti-konservativ, anti-liberal, anti-political correctness und anti-inequality sind. Es ist ein Stil linker Politik, der Höflichkeit ablehnt und gleichzeitig eine linke und antikapitalistische Botschaft, durchaus auch vulgär, vermittelt.
Ich glaube, dass dirtbag leftism Linkssein und postmoderne Männlichkeit von ihrem Performance-Druck befreien kann – vom Druck, immer perfekt informiert zu sein, einem unrealistischen Nettigkeitsideal und einer politisch korrekten, strikten Agenda zu folgen. Man kann links sein und ein Mann und gleichzeitig irgendwie ein Arschloch. Ob man das tun sollte, sei mal dahingestellt – aber es ist gut im Hinterkopf zu behalten, dass links sein nicht alleinig nett, tugendhaft oder moralisch sein muss – genauso wenig wie das progressive Mann-Sein.
Titelbild (c): Roman Malik