Im Gespräch mit dem Feindbild – „Alte weiße Männer“

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Sophie Passmann stellt sich dem Unangenehmen. Egal ob der eigenen Quarterlife-Crisis in einer berührenden Hommage an Frank Ocean oder dem vermeintlichen Feindbild des alten weißen Mannes in Form eines Schlichtungsversuchs. Dafür begibt sie sich in die schamlos großen „Männerclubs“ Politik, Medien, Gastronomie und Sport.

Cover Alte weiße Männer
© Kiepenheuer & Witsch

Die allermeisten leben in einer liebevoll selbst zusammengestückelten Blase aus großteils Meinungsgleichgesinnten. Das ist in erster Linie bequem. Es ist aber auch einengend für das eigene Weltbild und die Diskussionskultur. Passmann hat sich für Alte weiße Männer (Kiepenheuer & Witsch Verlag) aus ihrer Blase rausgewagt und lässt einen Sommer lang Männer zum Feminismus Stellung beziehen. Ihre Interviewpartner versuchen die MeToo-Debatte zu erklären und kommentieren Frauenquote & Gender Pay Gaps. Es wird die Einführung einer verpflichtenden Twittertherapie diskutiert und Feminismus als das neue Rauchverbot begriffen. Das Fehlen einer zwischenmenschlichen Quote wird festgestellt und die Existenz des jungen linken Mannes analysiert. Passmann hat unter anderem mit ZEITmagazin-Chefredakteur Christoph Amend über die Digitalisierung geplaudert, mit dem Kabarettisten Claus von Wagner gepicknickt und bei Sterne-Koch Tim Raue kurzfristig den Veganismus pausieren lassen. 

Der alte weiße Mann

Was ist denn nun dieser alte weiße Mann? Der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck liefert beim gemeinsamen Philosophieren an der Spree eine umfassende Definition:

Ich denke, man meint damit eine Kultur, die von sich selbst annimmt, dass sie dominant ist, sowohl ökonomisch, wie in der Geschlechterpolitik, wie global gesehen. Und deswegen ist der Kontrollverlust des alten weißen Mannes gleichbedeutend mit dem Niedergang des Westens, der westlichen Dominanz der Industriegesellschaft. Und als kulturelles Konzept beschreibt es den Zeitenwandel, dass eben eine patriarchale Welt zugrunde geht.

Für SPD-Hoffnung Kevin Kühnert steht es auch für einen Stellvertreterbegriff im politischen Diskurs:

Es geht darum zum Ausdruck zu bringen, dass es eine Art und Weise im Umgang mit politischen Themen oder mit Menschen gibt, die sich subsummieren lässt, weil sie ähnlichen Mustern unterliegt. Also machohaftes Verhalten, arrogantes Verhalten, Besserwisserei, so was weltläufig Hochnäsiges ist das ganz häufig.

Der alte weiße Mann hat auch einige Probleme mit dem Wandel, den Zeitgeist und Feminismus mit sich bringen – Digitalisierung als Bedrohung, Feminismus als Abwehrmechanismus in Diskussionen sowie ein Aufgeben von Privilegien und Meinungsfreiheit. Dass Feminismus genau das nicht bedeutet, ist manchen Gesprächspartnern klar, bei anderen gibt Passmann ihr Bestes, solche Missverständnisse aufzulösen. Wieder andere fühlen sich hingegen vom Feminismus nicht intellektuell abgeholt. Das mag zwar auf persönlicher Ebene ein Problem darstellen, ist aber ganz sicher kein Anspruch, dem der Feminismus gerecht werden muss.

Das (böse) F-Wort

Beim Pommes-Essen im Steakhaus mit ihrem Papa trifft Passmann auf das häufig wiederkehrende Problem, dass sich Männer nicht als Feministen begreifen, schlicht weil sie keine Frau sind. Auch Peter Tauber von der CDU präferiert trotz feministischer Sichtweisen die Bezeichnung „feministische Position“. Passmann formuliert das feministische Paradoxon und überlegt: „Ein Mann, der sich aus Angst vor Übergriffigkeit gegenüber Frauen nicht Feminist nennt, ist am Ende dann feministischer als die, die sich Feminist nennen?“.

Umbruch kann Angst machen, aber auch Mut

Am Ende ihrer Gespräche haben manche den Feminismus und andere Habecks Metaphysik immer noch nicht verstanden. Die meisten Konfrontationen sind dennoch lustig, aufschlussreich und beinhalten kluge Gedanken auf beiden Seiten. Manchmal will man sogar dasselbe, die Bezeichnung darf nur nicht dieselbe sein. Zuhören und darüber reden hilft in den allermeisten Fällen dem Verständnis von Feminismus und der Angst vor dem Umbruch, den er mitbringt.

Eine Minderheit in Passmanns Buch hält dennoch daran fest, dass Frauen in gewissem Maße selbst an Vergewaltigungen schuld seien. Sexismus sei außerdem nur ein Thema, weil Feminismus sonst keinen Inhalt habe. Bei solchen Gesprächen wird Passmanns Betroffenheit deutlich und sie kommt den Grenzen ihrer wohlwollenden Diskussionskultur sehr nahe. Als Leser*in läuft man hier Gefahr, fassungslos ob der eigenen Naivität zurückgelassen zu werden. 

Kurzum, man lernt viel über die deutsche Medienlandschaft und Politbühnen. Die eigenen Argumente können reflektiert, abgeändert und erweitert werden. Ganz nebenbei kann man sich in Passmanns wundervollem Sprachgebrauch verlieren. Alte weiße Männer ist oft amüsant, manchmal schockierend. Passmann ist dabei sowohl für ihre Komik als auch ihre Ruhe zu bewundern, die sie in solchen Schockmomenten bewahrt. Schlussendlich ist Passmanns Versuch, sich mit dem Gegenüber zusammenzusetzen und ins Gespräch zu kommen, (nicht nur, aber auch) für die Zukunft des Feminismus wichtig.

Feminismus ist ein Bekenntnis zum Wandel, ein progressives Abnicken der Zukunft, ohne Angst, nur mit offenem Herzen und Respekt vor den Neuerungen. Ein radikal zu Ende gedachter Feminismus bedeutet, dass jeder Mensch gleich ist, egal wo er herkommt, wie er aussieht, an wen oder was er glaubt, wen er liebt, welches Geschlecht er hat.


Weitere Infos

Hier geht’s zum Buch. 

Wienerin. Psychologiestudentin. Busy bee.

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