Nach der Serie an Frauenmorden in den vergangenen Wochen kündigte die Regierung am Dienstag ein umfassendes Maßnahmenpaket an, um gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Österreich ist das Land mit den höchsten Femizid-Raten in der EU, jeden Monat werden im Schnitt drei Frauen ermordet. Warum sich der Staat trotzdem aus der Verantwortung zieht
Zwölf. In roter Schriftfarbe prangt diese Zahl unübersehbar auf der schwarzen Wand. Sie wurde erst kürzlich aufgemalt, die Farbe ist noch frisch. Vor der Wand wurden einige Kerzen aufgestellt. Die Flammen flackern im Wind. Es tut weh hinzusehen, ich fühle mich traurig, wütend, hilflos.
Seit einigen Wochen befindet sich am Wiener Yppenplatz ein Denkmal der feministischen Vereine Viva La Vulva und Kollektiv Klimäre. An prominenter Stelle in einem Park, wo jeden Tag dutzende Menschen vorbeigehen. Es soll Aufmerksamkeit erregen. „Femizide in Österreich seit 2021“ ist da in weißer Schrift geschrieben. Die rote „12“, zugleich Mahnmal und Erinnerung an jeden einzelnen Frauenmord, der seit Anfang des Jahres in Österreich verübt wurde.
Keine Einzelfälle
Mal sind es „Beziehungsdramen“, mal „Familientragödien“ oder gar „Liebestaten“. Immer wieder lesen wir in den Medien solche beschönigenden Überschriften, wenn über die Ermordung einer Frau berichtet wird. Doch diese Gewalttaten haben nichts mit Liebe zu tun. Und anders als diese Betitelungen vermuten lassen würden, sind sie auch keine tragischen Einzelfälle, die eben mal vorkommen können, wenn der Streit eskaliert oder die Eifersucht blind macht.
Unter dem Deckmantel der Privatangelegenheit werden nicht nur Täterschaften verharmlost und Opfer mitschuldig gesprochen, sondern auch der Staat aus der Verantwortung gezogen, gegen das immerwährende Gewaltproblem vorzugehen. Umso wichtiger ist es daher, diese Taten als das zu benennen, was sie sind – Femizide – die von privaten und öffentlichen Akteuren begangenen oder tolerierten Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechtes. Diese Tötungen sind keine Individualakte, sie haben System in jenen gewaltvollen patriarchalen Machtverhältnissen, die unserer Gesellschaft tief eingeschrieben sind. Mit diesem Gerüst der Gewalt zu brechen, bedeutet, jene sexistischen Eckpfeiler, die es tragen, zuerst sichtbar zu machen und dann gezielt zu demontieren.
Den Staat zur Verantwortung ziehen
Land der Berge. Land der Femizide. Die oft zitierte zynische Abwandlung der ersten Zeile der österreichischen Bundeshymne hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. 2020 wurden in Österreich 31 Femizide begangen, jeden Monat werden damit im Schnitt drei Frauen hierzulande ermordet. In keinem anderen Land der EU ist der Anteil weiblicher Opfer bei Tötungsdelikten so hoch wie in Österreich. In den allermeisten Fällen standen Täter und Opfer in einem Verwandtschafts- oder Beziehungsverhältnis und beinahe immer geht den Morden eine lange Gewaltgeschichte voraus.
Die wiederkehrenden Appelle von Expert*innen und Frauenrechtsorganisationen, dass es einen weitgehenden Ausbau von Gewaltschutz und Präventionsmechanismen geben muss, blieben jedoch kaum gehört von der Politik. Es fehlt an allen Ecken und Enden, vor allem aber bei Personal und Budget. Der von der Bundesregierung vergangenen Dienstag einberufene Gewaltschutzgipfel, eine Reaktion auf den vermehrten öffentlichen Druck nach dem serienhaften Anstieg der Frauenmorde in den letzten Wochen, greift dabei viel zu kurz, so die Kritik. Das vorgestellte Maßnahmenpaket verspricht zwar Aufklärungskampagnen, Verbesserungen bei der Beweismittelsicherung und einen schonenderen Umgang bei der Einvernahme von Gewaltopfern vor Gericht, die finanzielle Aufstockung bleibt aber aus. Trotz des Versprechens von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass es „am Geld nicht scheitern wird“, bleibt das Frauenbudget unverändert bei 14,5 Millionen Euro. Mindestens 15 Mal so viel müsste es nach Forderungen der Opferschutzeinrichtungen eigentlich sein.
Eine Kultur der Gewalt? Nicht bei uns
Dass das Maßnahmenpaket zum Gewaltschutz der Bundesregierung letztlich nur Symptombekämpfung ist, zeigt sich auch daran, dass die systemischen Ursprünge von geschlechtsspezifischer Gewalt in unserer Gesellschaft wieder einmal ignoriert werden. Ganz im Gegenteil: Wo von Gewaltkultur die Rede ist, biegt Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) schnellstmöglich bei der Migrationsdebatte ab. In einem Interview im Ö1 Morgenjournal Anfang Mai spricht sie von „Ehre“ und „patriarchal geprägten Herkunftsländern“ auf die Frage, wie man das Männlichkeitsbild und die Gewaltspirale durchbrechen kann. Nach dem Gewaltschutzgipfel am Dienstag kündigt Raab eine umfassende Studie zu den Motiven „kulturell bedingter Gewalt“ an. Es ginge darum, gezielt Frauen mit Migrationshintergrund zu stärken und über Hilfsangebote aufzuklären. Die Andeutung ist klar – eine Kultur der Gewalt, ja, die gibt es. Aber nicht bei uns. Die Frauenministerin bestärkt damit auch jene fremdenfeindlichen Diskurse über eine importierte Gewalt männlicher Migranten, die in Medienberichterstattungen oft vorherrschend sind. Und das, obwohl die Täter in mehr als der Hälfte der im Jahr 2021 begangenen Femizide keinen Migrationshintergrund hatten.
Während also eine Auseinandersetzung mit der Tötung von Frauen aufgrund patriarchaler Verhältnisse und Fragen nach Ungleichheit und Unterdrückung längst überfällig sind, dürfen Ansätze dazu nicht bei der frauenverachtenden Kultur Österreichs plötzlich blind sein. Es ist keine Frage der Herkunft. Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, wer dies ignoriert, der kann nicht annähernd das gesamte Ausmaß des Problems erkennen.
Erinnern, niemals vergessen
Einige Tage später komme ich wieder an der Gedenkstelle vorbei. Die Kerzen sind mittlerweile erloschen, die Farbe getrocknet. Lange wird die rote „12“ hier nicht mehr zu sehen sein. Sehr bald schon wird sie einer „14“ weichen müssen. Zwei weitere Femizide wurden innerhalb der letzten Woche verübt. Zwei weitere Frauen, die als Folge von patriarchaler Gewalt zu früh aus dem Leben gerissen wurden. Ermordet, von ihren Ehemännern, (Ex-)Partnern und Schwiegersöhnen. Es tut weh hinzusehen. Die wenigen Passanten, die an diesem verregneten Tag an der Erinnerungsstätte vorbeigehen, halten ihren Blick gesenkt. Es ist wie ein Sinnbild für das Wegschauen. Von Gesellschaft, Justiz und Politik.
Hilfe für Gewaltbetroffene gibt es hier:
24-Stunden-Frauennotruf: 0171719
Frauen-Helpline: 0800222555
Männerberatung Wien: 01 6032828
Männernotruf: 0800 / 246 247
Titelbild (c) Paula Rossi