Als schwules oder lesbisches Paar zu verreisen, ist nicht immer ungefährlich. Immer wieder erleben queere Menschen auf Reisen Diskriminierung, offene Anfeindungen und Gewalt, in manchen außereuropäischen Staaten wie Tschetschenien oder Saudi-Arabien oder Somalia kann es sogar lebensgefährlich werden. Doch auch in Europa gibt es Aufholbedarf.
Wer die Welt von Österreich ausgehend entdecken will, startet von einem äußerst guten Ausgangspunkt. Im jährlichen Spartacus Gay Travel Index von 2020 liegt es nämlich auf Platz vier, nur hinter Schweden, Malta und Kanada. Im Rest Europas sieht es vielerorts nicht so gut aus. Viele Kriterien des Index, wie etwa die Möglichkeit eine gleichgeschlechtliche Ehe zu schließen, haben nicht unmittelbar etwas damit zu tun, wie es einer reisenden Person ergehen kann. Doch sie geben Aufschluss darüber, wie offen, tolerant und aufgeklärt ein Land ist.
- Ukraine und Polen (Platz 103)
Die Ukraine belegt einen der hinteren Plätze im europäischen Ranking. Zwar ist Homosexualität seit 1991 nicht mehr illegal und es gibt seit 2014 einen Diskriminierungsschutz, der auch die sexuelle Orientierung miteinschließt, doch wenig darüber hinaus. Der religiöse Einfluss ist stark und die gleichgeschlechtliche Ehe oder eingetragene Partnerschaft sind nicht erlaubt. Human Rights Watch zählt für 2020 mehrere Gewaltverbrechen gegen LGBTQ-Personen in der Ukraine. Pride-Demonstrationen finden, vor allem in der Hauptstadt Kiew, zwar immer wieder statt, sind aber Ziel rechtsradikaler gewalttätiger Angriffe.
In Polen nehmen die Angriffe auf LGBTQ-Rechte immer mehr zu. Ein Drittel der polnischen Städte und Gemeinden hat sich zu sogenannten „LGBT-ideologiefreien Zonen“ erklärt. Die meisten Deklarationen berufen sich dabei auf die Kommunale Charta der Rechte von Familien. Zwar sind diese Zonen nicht rechtlich durchsetzbar, die Botschaft aber klar: LGBT-Personen sind hier nicht willkommen. Das schlägt sich auch im Gay Travel Index wieder. Der Einfluss der katholischen Kirche ist in Polen groß, die Möglichkeit, als schwules oder lesbisches Paar zu heiraten, gibt es nicht. Besonders stark ins Gewicht fallen bei der negativen Beurteilung im Index die homofeindliche Gesetzgebung, die feindliche Haltung der Bürger*innen und gewaltvolle Attacken gegen LGBT-Personen.
-
Republik Moldau und Nordmazedonien (Platz 92)
In der Republik Moldau ist die öffentliche Ablehnung von Homosexualität ein großes Problem. In einer 2016 durchgeführten Umfrage beantworteten ganze 92% die Frage: „Sollte Homosexualität gesellschaftlich akzeptiert sein?“ mit Nein. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist nicht legal und wird auch von über 90% der Befragten abgelehnt. In Nordmazedonien, das im Index denselben Platz belegt wie Moldau, gibt es keinen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung – weder am Arbeitsplatz, noch bei der Wohnungssuche. Auch hier ist die gleichgeschlechtliche Ehe illegal.
-
Rumänien, Bulgarien, Albanien, Kosovo, Lettland (Platz 78)
Viele dieser osteuropäischen Staaten haben einiges erreicht. Homosexualität ist überall entkriminalisiert und in vielen Ländern gibt es beispielsweise am Arbeitsplatz einen Diskriminierungsschutz, der auch die sexuelle Orientierung miteinschließt. Doch darüber hinaus gibt es wenig Maßnahmen für mehr gesellschaftliche Toleranz. Die gleichgeschlechtliche Ehe oder die Möglichkeit, als homosexuelles Paar Kinder zu adoptieren, sind Zukunftsmusik. Auch die Rechte von trans oder inter Personen werden nicht wahrgenommen. Das größte Problem vieler dieser Länder ist die feindliche Grundhaltung der Bevölkerung gegenüber LGBTQ-Personen und deren Lebensformen. Rumänien wurde 2013 in einer EU-weiten Umfrage auf Platz drei der homophobsten europäischen Länder gereiht. Auch in Bulgarien, Albanien oder Lettland ist offene Homophobie leider nicht selten. Die meisten Reiseführer empfehlen hier, die Länder zwar zu besuchen, seine Homosexualität aber nicht offen zu leben. Je nach Land kann die Situation in den Hauptstädten aber wesentlich besser sein als in den ländlichen Regionen.
-
Serbien und Litauen (Platz 66)
Serbien hat zwar mit Ana Brnabić die zweite offen homosexuelle Premierministerin weltweit und ist, nicht zuletzt auch rund um den angestrebten EU-Beitritt bemüht, die Rechte von queeren Menschen zu stärken - Reisenden wird dennoch empfohlen, vorsichtig zu sein. Das zeigt sich auch im Spartacus Index: Während das Land in rechtlicher Hinsicht etwas besser abschneidet als andere europäische Staaten, gibt es für die feindliche Haltung innerhalb der Bevölkerung Minuspunkte.
Die Situation in Litauen ist ähnlich. Die erste Pride-Parade fand hier erst 2010 statt. In einer Umfrage 2013 glauben 48% der Befragten, dass Litauen kein guter Ort für Homosexuelle ist. Das Land macht, auch seit dem Beitritt zur EU, langsame Fortschritte. In einem Reiseführer wird homosexuellen Paaren nicht davon abgeraten in der Öffentlichkeit Zuneigung zu zeigen. Das gilt aber vor allem für die Hauptstadt Vilnius, nicht unbedingt für ländlichere Gegenden.
-
Griechenland, Zypern, Bosnien-Herzegowina (Platz 56)
Die Akzeptanz gegenüber queeren Personen wächst in Griechenland, auch wenn einem außerhalb der größeren Städte Ablehnung entgegengebracht werden kann. Athen hat eine lebendige LGBT-Szene und auch die Inseln Mykonos und Skiathos sind beliebte Reiseziele. Griechenland ist in diesem Ranking auch das erste Land, in dem gleichgeschlechtliche Ehen legal sind.
Auch in Bosnien-Herzegowina gilt, wie in so vielen Ländern, der Grundsatz: Wer diskret bleibt, ist auch sicher. Homosexualität wurde 1998 entkriminalisiert, in der Republika Srpska im Jahr 2000. Eine Umfrage zur Diskriminierung am Westbalkan kommt zum ernüchternden Schluss, dass 48% der LGBT- Personen sich in ihrer Heimat nicht sicher fühlen und planen, innerhalb der nächsten zwei Jahre ihr Land zu verlassen. 42% der erlebten Gewalt kommt nicht aus dem bekannten Umfeld: Es sind Schulkollegen, Hooligans und Unbekannte, die in Bosnien-Herzegowina Gewalt gegen LGBT-Personen ausüben.
-
Ungarn und Kroatien (Platz 49)
Ungarn liegt im Spartacus Index im europäischen Mittelfeld. Im letzten Ranking ist das erst im Juni dieses Jahres verabschiedete Anti-LGBTIQ-Gesetz allerdings noch nicht inkludiert. Medieninhalte, die Sexualität darstellen, die von der heterosexuellen Norm abweicht, sollen Kindern und Jugendlichen nicht mehr zugänglich sein. Buchhandlungen dürfen bestimmte Kinderbücher unter Umständen damit nicht mehr offen auflegen. Auch Werbekampagnen, die Homosexualität darstellen, sollen nicht mehr lanciert werden. NGOs dürfen in Schulen keinen Aufklärungsunterricht anbieten, der sich auch mit Homosexualität auseinandersetzt. Das einer Zensur gleichkommende Gesetz wird von der Opposition und der EU stark kritisiert. Die Budapester Zivilgesellschaft setzte im Juli aber ein starkes Zeichen: Rund 30.000 Menschen nahmen an der Pride-Parade teil.
In Bezug auf Kroatien schreibt das Reiseportal Lonely Planet: „Homosexualität ist toleriert, aber nicht weit akzeptiert.“ Auch hier kann das öffentliche Zeigen von Zuneigung unter Umständen feindliche Reaktionen hervorrufen.
Reisen als Privileg
Während es in manchen außereuropäischen Ländern lebensbedrohlich sein kann, als schwules oder lesbisches Paar dorthin zu verreisen, ist man in vielen Ländern Europas sicher und willkommen. Dennoch: Homofeindliche Übergriffe, gesellschaftliche Ablehnung und rechtliche Diskriminierung sind nach wie vor in vielen Regionen weit verbreitet. Manche Staaten bemühen sich aktiv um mehr Akzeptanz und Toleranz, andere wie Polen oder Ungarn erleben einen starken konservativen und homofeindlichen Backlash. Auch 2021 können homosexuelle Paare nicht einfach in den Zug steigen und in ein anderes Land reisen, ohne sich vorher über die rechtliche und gesellschaftliche Situation am Ankunftsort zu informieren. Sich in der Reisevorbereitung nur um die Anfahrt, ein Hotelzimmer und mögliche Sehenswürdigkeiten zu kümmern, ist ein heterosexuelles Privileg.
Titelbild: (c) Honey Fangs/unsplash.com