150 Jahre Pariser Kommune – Wie in Paris Anarchie herrschen konnte

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Dieses Jahr feiert die Pariser Kommune ihren 150. Geburtstag. Während ihrer 72 Tage herrschte eine linke Utopie. Die Trennung von Staat und Religion, die Abschaffung von Fabriksherren, die Emanzipation der Frau und das Recht auf Bildung waren die Grundwerte der Kommune. Ob die Zeit lediglich zu kurz war, um mit dem Sozialismus und der Demokratie zu brechen, wie es in anderen linken Experimenten geschah, oder die progressiven Ideen bestanden hätten, bleibt unklar. Die enorme Relevanz der Kommune bleibt dennoch unangetastet.

Heutzutage Kommunist zu sein, bedeutet in den meisten Fällen aus der Defensive heraus argumentieren zu müssen. Die Mehrheit der kommunistischen Experimente sind in Autoritarismus, Stagnation und Kapitalismus geendet. Beispiele sind die Brutalität der Sowjetunion unter Stalin und der unübersehbare Turbokapitalismus der Volksrepublik China mit Xi Jinpings angeblich Kommunistischer Partei Chinas. Der Fall der Pariser Kommune war anders: Sie überlebte bescheidene 72 Tage, bevor das anarchistische Experiment und seine Protagonist*innen barbarisch niedergemetzelt wurden.

Die Menschlichkeit der Revolution

Als die Preußen Frankreich in Folge des Deutsch-Französischen Krieges 1870 besetzten und die französische Regierung das Volk finanziell im Stich ließ, brodelte in Paris der revolutionäre Geist und die Bewohner*innen kochten vor Wut. Die Pariser*innen hatten ihre Waffen während der preußischen Besatzung behalten. Mit dabei: circa 300 Kanonen, gebunkert auf dem Montmartrehügel. Am 18. März 1871 veranlasste der französische Regierungschef Adolphe Thiers sein Militär dazu, den Hügel hinaufzumarschieren und die Kanonen zu konfiszieren. Gleichzeitig stapfte die Bevölkerung, samt Frauen und Kinder, den Hügel hinauf um das zu verhindern. Den französischen Soldaten wurde befohlen, in die Menge zu schießen – diese folgten dem Befehl aber nicht. Am gleichen Tag noch wurde in Paris der General, der den Schussbefehl erteilt hatte, erschossen, Barrikaden niedergerissen und Institutionen eingenommen. Thiers flüchtete samt seinen Ministern aus Paris.

Die Grundsätze der Revolution

In den kurz darauf folgenden Neuwahlen gewann die radikale Linke die Wahl. Die Pariser Kommune war damit geboren. Unter den Abgeordneten befanden sich Arbeiter, Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten, Handwerker und Künstler – die überwältigende Mehrheit davon Sozialisten und Anarchisten. Fabrikbesitzer und Wohlhabende verließen Paris in Windeseile. Die Arbeiter sollten sich von nun an selber verwalten und bekamen die Schlüssel der Fabriken. Das Lehrer*innengehalt wurde verdoppelt, die Mieten ausgesetzt und die Schulpflicht wurde eingeführt. Selbstverständlich in kostenlosen, laizistischen Schulen. Die Kirchen wurden umgeformt zu Foren, in denen alle die Möglichkeit bekamen, sich Gehör zu verschaffen – sogar Frauen. In der damaligen Zeit undenkbar. 

Der Tod der Revolution

Die Bürgerlichen unten den Pariser*innen verharrten, während auf den Straßen und den Institutionen die Revolution passierte, in ihren Wohnungen und warteten auf das französische Militär, das der Pariser Kommune ein Ende setzen sollte. Genau dieses Ende nahm am 21. Mai 1871 ihren Anfang. Während eines Konzerts griff das Militär Paris an und leitete damit die „blutige Woche“ ein. 8.000 bis 10.000 Kommunalen wurden in brutalster Weise von 130.000 französischen Soldaten erschossen. Noch viele mehr wurden in das ferne Neukaledonien ins Exil geschickt.

Das Erbe der Revolution

Als erste Diktatur des Proletariats beschrieben Marx und Engels die Pariser Kommune. Der Mythos der Kommune lebt bis heute weiter: zum einen in den Herzen und Köpfen der Menschen – die Internationale, das Arbeiterlied, das jährlich am Wiener Rathausplatz von Tausenden am 1. Mai gesungen wird, wurde von einem Kommunarden geschrieben – zum anderen als Störenfried der Ordnung für die Politiker*innen. Zum 140. Geburtstag der Pariser Kommune, vor zehn Jahren, gab es im Pariser Rathaus zwei Monate lang Ausstellungen und Theaterstücke. Zum noch rundereren 150. Geburtstag bleibt die Pariser Stadtregierung 2021 still. Neben Corona könnte das an den Plakaten der Gelbwesten-Bewegung, die an das Revoluzzerwesen der Pariser Kommune erinnerten, liegen.

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