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Sophie Scholl als Influencerin – Kann das funktionieren?

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Sophie Scholl ist jetzt Influencerin. Ja, ihr habt richtig gehört! Für den einen mag dies eine merkwürdige Vorstellung sein und ein anderer würde wohl ein ungläubiges Gesicht machen. Und naturgemäß stimmt das so auch nicht ganz. An der Stelle der Widerstandskämpferin steht eine Schauspielerin, die auf dem Instagram-Kanal @ichbinsophiescholl das Publikum mitnimmt. Was „Soffer“ nun so postet, wofür das ganze Projekt stehen (soll) und inwieweit das Ganze auch kritisch zu betrachten ist, erfahrt ihr hier.

Ein ambitioniertes Unterfangen

„SWR und BR holt die Widerstandskämpferin Sophie Scholl ins Hier und Jetzt“ – so heißt es auf der Website des SWR und BR zum Sophie Scholl Instagram-Projekt, das an ihrem 100. Geburtstag ins Leben gerufen wurde. Der Instagram-Kanal @ichbinsophiescholl zeigt zehn Monate lang das Leben der Widerstandskämpferin. Ab dem 9. Mai 2021 bis zum Tag ihrer damaligen Verhaftung am 18. Februar mimt eine Schauspielerin Sophie Scholl. „Soffer“, so ihr Spitzname, nimmt ihre Follower*innen mit, so wie es die unzähligen Influencer:innen von heute tagtäglich tun. Man kann sie beobachten, wie sie auf die Uni geht, aufbricht zu ihren abendlichen Ausflügen mit Freunden und letztlich auch dabei, die Widerstandsbewegung Weiße Rose vorzubereiten. Auf den ersten Blick eine wirklich tolle Sache, denn wie erreicht man die Kinder und Jugendlichen von heute (und auch viele andere, abseits dieses Alters) am besten? Natürlich über Social Media. Aber ist Instagram auch die richtige Plattform für so eine Thematik?

Dass die junge Frau hier, als Influencerin sozusagen gezeigt wird, natürlich ist das erstmal von der Idee her überhaupt nicht verkehrt. Aber es wirkt auf der einen Seite extrem teuer und aufwendig gemacht, aber es wirkt auch ein wenig weich gezeichnet…es werden richtige Filmaufnahmen gezeigt und dadurch suggeriert, man befinde sich wirklich in dieser Zeit. (Thomas Ritter, Deutschlehrer)

Oberflächlichkeit und Ikonisierung 

Instagram ist seit der Entstehung mit dem Stempel „Oberflächlichkeit“ gebrandmarkt, mittlerweile ist das auch keine leise Vermutung mehr, sondern eine allgemeingültige Feststellung, der man sich nicht entziehen kann. Muss man auch nicht. Dass es auch anders geht und diese Plattform durchaus für sinnvolle und ernsthafte Dinge genutzt werden kann, haben bereits viele Kanäle und Influencer*innen gezeigt. Kann, oder vielmehr, sollte Instagram dann für diese Art von Aufklärung genutzt werden? Für eine Thematik, die so schrecklich, so schockierend und aufwühlend ist? An die jedoch immer wieder erinnert gehört? Viele sind sich in diesem Falle uneinig. Der Zweite Weltkrieg mit all seinem Schrecken und der Umgang mit dieser Vergangenheit wird fortwährend unterschiedliche Emotionen hervorrufen. Beschäftigt man sich nun mit den didaktischen Funktionen, die ein solcher Kanal haben kann, so gilt es das Ganze auch kritisch zu betrachten.

Thomas Ritter, Deutschlehrer an einem Gymnasium in München, der mittlerweile auch sehr viel Theaterarbeit mit Gymnasialklassen organisiert, findet, dass der Hype um Sophie Scholl vor allem um ihren 100. Geburtstag einen geradezu dubiosen Höhepunkt erreicht hat. Und eine solche Instagram-Seite trage zu einer buchstäblichen „Ikonisierung“ der Figur Sophie Scholl bei. Das finde er nicht richtig. Er hat diesen Jahrestag zum Anlass genommen selbst ein Projekt ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit Schüler*innen aus ganz Bayern hat er eine Theateraktion am Königsplatz in München organisiert. Dabei haben die Schüler*innen mit Bewegungen, Tanz und dem Vortragen von Texten an Sophie Scholl und ihre Taten erinnert. Nach Ritter war „das Ganze letztlich ein Riesenworkshop“. Geleitet wurde das Projekt von Erwachsenen, vorgetragen und umgesetzt haben es aber letztendlich diejenigen, die es auch erreichen sollte: die Schüler*innen selbst.

Nicht einfach nur die nächste Instagram Story

Eine der Teilnehmerinnen des Projekts in München, die 12-jährige Nelly, erinnert sich auch sehr positiv an ihre Erfahrungen. Für sie war es vor allem bereichernd zu sehen, welch schöne Gemeinschaft unter den sich teilweise auch fremden Teilnehmer*innen entstanden ist – geprobt wurde aufgrund der Pandemie nämlich nur online. Sophie Scholl und ihre Taten sollten im Mittelpunkt stehen und an diese erinnert werden. Es ging auch darum, Menschen teilhaben zu lassen, die sich mit der Thematik vielleicht noch nicht so auskennen. Und ein wenig durfte auch ihr 100. Geburtstag damit gefeiert werden. Auch wenn beide Projekte natürlich nicht konkret miteinander vergleichbar sind, verfolgen sie doch sehr unterschiedliche Ansprüche, so darf im Falle von @ichbinsophiescholl die Schnelllebigkeit von Instagram nicht unbeachtet bleiben. Man swiped sich von einer Story zur nächsten, wenn man keine Lust mehr hat, klickt man einfach weiter –  aus den Augen aus dem Sinn. Die Aufmerksamkeit ist anfangs zwar da, aber sie verschwindet auch genauso schnell wieder. Dabei rückt die Ernsthaftigkeit des Projekts in den Hintergrund.

Von der konkreten Idee, Sophie Scholl als Influencerin zu zeigen, sei es gar nicht so verkehrt, meint Ritter, jedoch müsse man aufpassen, dass das Ganze nicht zu weich gezeichnet wird. Denn im Falle einer solchen fiktionalisierten Herangehensweise, wird eine echte Persönlichkeit von einer Schauspielerin gemimt, das Setting ist dem der 1940er nachgeahmt, die Follower*innen können sie bei all ihren Aktionen beobachten, und all das suggeriert, man befinde sich wirklich in dieser Zeit. Dabei können Fiktion und Realität sehr leicht verschwimmen. Werden dann Komplexität und Bandbreite der Figur wirklich verstanden, wenn man mit einem Swipe schon wieder beim nächsten Thema ist?

„Ich glaube, dass sowas dann viel schneller an die Leute rankommt, wenn sie das auf Instagram sehen.“ (Nelly)

Der schmale Grat

Komplett die Augen zu verschließen vor den Errungenschaften dieses Zeitalters, ist jedoch auch keine Option, wir leben in einer multimedialen Welt, Kinder und Jugendliche beschäftigen sich damit eingehend und wachsen mit den Sozialen Netzwerken auf. Mehr noch: Sie sind fester Bestandteil ihres Lebens. Sie orientieren sich an und identifizieren sich mit den (bekannten) Persönlichkeiten auf diesen Plattformen und vor allem informieren sie sich über diese Portale. Und das ist der springende Punkt.

Warum dann nicht auch diese Plattformen für wichtige und ernste Themen nutzen? Auch Nelly ist der Meinung, die Instagram-Seite treffe auf jeden Fall einen guten Punkt: „Also insgesamt finde ich die Sache gut, weil ja sehr viele Jugendliche und teilweise auch Kinder auf Instagram aktiv sind und dadurch natürlich auch lernen. Wenn sie die ganze Geschichte von Sophie Scholl sehen, die sie sonst vielleicht gar nicht mitkriegen würden.“

Ansonsten wird man als alteingesessenes Medium womöglich untergehen. Man muss sich anpassen, sich treiben lassen vom Flow der neuen Zeit. Und wenn man die Jugendlichen und jungen Erwachsenen jetzt besser über ein Reel auf Instagram oder ein Video auf TikTok erreicht, dann muss auch dem in gewisser Weise Rechnung getragen werden. Aus diesem Grund ist der Ansatz dieses Projektes an sich gar nicht schlecht, jedoch müsste man ihn in seiner konkreten Umsetzung vielleicht noch etwas anpassen. Dabei den Versuch starten, weniger zu fiktionalisieren und gleichzeitig wieder mehr Distanz gewinnen.

Denn in diesem Fall ist die richtige Balance zwischen Distanz und Nähe enorm wichtig. Sophie Scholl muss als Mensch nahbar genug gemacht werden, um die Thematik und ihr Schaffen ernst zu nehmen. Dieses Gefühl muss so weit reichen, dass man sie als wahrhaftigen Menschen wahrnimmt, der sich für eine sehr wichtige Sache geopfert und dann sein Leben gelassen hat. Dass sie eben kein imaginärer Charakter war, der sich nur durch den Bildschirm betrachten lässt und nur eigens dafür geschaffen wurde. Gleichzeitig muss genug Distanz zu ihr bewahrt werden, um tatsächlich zu begreifen. Sonst droht das Ganze in Banalität abzurutschen. Ein schwieriges Unterfangen, ein Drahtseilakt – jedoch nicht unmöglich.

Das war auch einer der wichtigsten Punkte Ritters, er möchte jungen Menschen (oder Menschen im Allgemeinen) zutrauen können, Realitäten zu begreifen. Denn Lernprozesse anzuregen, ist natürlich sehr wichtig, und das gilt nicht nur für Jugendliche, sondern jeder Mensch kann und sollte fortwährend dazulernen und sich weiter informieren. Wenn etwas zu vereinfacht dargestellt und dem Lernenden möglichst weit entgegengekommen wird, findet dann wirklich ein Denk- und Lernprozess statt, regt sich da dann wirklich was? Ritter sagt dazu: „Ich würde Menschen gerne zutrauen, ganz egal woher sie kommen und was sie machen, sich mit Realität auseinanderzusetzen. Mit der eigenen, oder in dem Fall auch mit einer lang vergangenen – dass unser Projekt so gut gelaufen ist, lag auch daran, dass die Kinder das sehr sehr ernst genommen haben.“ Denn letztlich ist und bleibt das Kernstück eines jeden Projektes dieser Art: Realitäten zu begreifen, stetig zu erinnern und das Vergessen verhindern.


Finden könnt ihr den Instagram Kanal zu Sophie Scholl hier.

Über das Sophie Scholl Projekt von Thomas Ritter und Farina Simbeck, mit Unterstützung der Weißen Rose Stiftung könnt ihr beispielsweise hier nachlesen und euch ein Video anschauen.

Titelbild: ©Annie Pratt/unsplash.com

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