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Train like a girl

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Ich stehe im Trainingsbereich einer Sporthalle und fühle mich beobachtet. Seit fünf Minuten schleiche ich um die Hanteln herum, nehme eine in die Hand, lege sie wieder zurück. Vielleicht heute doch nur dehnen. Ich fühle, was man gymtimidation nennt – Angst vor dem Fitnessstudio. Die Angst, dass man über mich schmunzelt, dass ich etwas falsch mache, dass ich hier eigentlich nicht hergehöre. Damit bin ich nicht allein: Laut einer Umfrage von Nuffield Health geben 40% der britischen Frauen an, dass Scham sie daran hindert zu trainieren.

Sport war bisher kein feministisches Thema für mich. Dann beginne ich nachzudenken. Über mein Verhalten im Fitnessstudio und meine Erfahrungen als Mädchen, dann als Frau. Je länger ich mich damit beschäftige, desto klarer wird mir: Der Sport-Gender-Gap spielt eine größere Rolle als gedacht. Frauen sind im Durchschnitt weniger körperlich aktiv als Männer. Der physical activity gender gap variiert von Nation zu Nation, die Tendenz bleibt gleich, mit gravierenden gesundheitlichen Folgen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Ich erinnere mich zurück, an die frühen Zehnerjahre, an den Turnunterricht in der Schule. Die Garderobe ist die Vorhölle, es riecht nach billigem Deo und hormonverseuchtem Teenagerschweiß. Keines der Mädchen hat Lust auf Bewegung. Der Turnsaal ist das eigentliche Inferno. Wir hassen alles daran. Den Gestank der Weichböden, das Quietschen des Bodens, die immer gleichen Ballspiele, das Balancieren auf dem Balken, das peinliche Scheitern beim Felge-Aufschwung. Was die männlichen Kollegen in den zwei Stunden trieben, blieb lange ein Mysterium. Sie kamen verschwitzt zurück in die Klasse, glücklich, ausgepowert und hungrig. Kein einziges Mal habe ich diesen Unterschied hinterfragt. Doch genau hier beginnt der Gender Gap sichtbar zu werden.

Mit vierzehn war ich das erste Mal „auf Diät“. Das Salamibrot blieb für die nächsten drei Wochen in der Jausenbox im Bankfach unter meinem Tisch, bis es nicht mehr als solches erkennbar war. Ich probierte viele Sportarten aus, in keinem Kurs blieb ich wirklich lange. Ich fühlte mich unwohl und fehl am Platz. Von diversen Kampfsportarten war ich nach dem ersten Schnuppertraining schon so eingeschüchtert, dass ich kein zweites Mal hingehen wollte.

Schlank sein, nicht wild

Mit siebzehn schien die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio die einzige Alternative zu sein. Ich besiegelte, was Sport von nun an für mich bedeuten würde: trostlose Laufbandkilometer, um Kalorien zu verbrennen, Gewichtübungen, um Hintern und Bauch zu formen. Den Blick auf den erbarmungslosen Spiegel gerichtet, zelebrierte ich mit zusammengebissenen Zähnen die Eintönigkeit. Denn am Ende dieses grauen Raums wartete ein Versprechen: Ich könnte irgendwann so aussehen wie die Frauen mit der Hochglanzhaut und dem perfekten flachen Bauch, die mich überhaupt erst in dieses Studio gelockt hatten. Ich hatte vergessen, dass das auch mal anders war. Dass diese 17-Jährige mal ein Mädchen war, das sich für eine Filmpremiere einen brüllenden Fußball ins Gesicht schminkte, das im Garten trainierte, um irgendwann so Fußball spielen zu können, wie Vanessa von den Wilden Kerlen. Ich hatte das befreiende Gefühl vergessen, als ich allen auf dem Sportplatz davonlief, weil ich schneller war als alle anderen. Diese Freude war der Scham gewichen, für zu dicke Beine, zu unförmige Proportionen. Meine Oberschenkel waren nicht mehr dazu da, um über Hürden zu springen, sondern um in Skinny Jeans zu passen.

Einmal im Jahr spielten wir im Turnunterricht gemeinsam mit den Buben Völkerball. Anstatt wie sonst ehrgeizig zu spielen, duckten wir uns, liefen kreischend vor den Bällen weg und kicherten. Wir verhielten uns wie Mädchen, nicht wie wir selbst. Wir wurden zum Klischee, weil wir dachten, das würde erwartet. Ich frage mich, was sich verändert hätte, hätten wir immer gemeinsam Sport gemacht.

Run like a girl

2015 startete Always, ein Hersteller von Menstruationsartikeln, die Kampagne #likeagirl. Man bat Teilnehmer*innen in einem Sozialexperiment, zu laufen, zu kämpfen oder zu werfen „wie ein Mädchen“. Mädchen laufen, als hätten sie hohe Schuhe und Kleider an. Sie halten ihre Hände vom Körper, als würde eine Handtasche daran baumeln. Sie werfen verführerisch ihre Haare nach hinten. Sie ducken sich beim Boxen weg und machen ein wehleidiges Gesicht. Keine ihrer Bewegungen sieht stark aus. Die Teilnehmer*innen ahmen dieses Verhalten übertrieben nach. Sich wie ein Mädchen zu verhalten ist eine Beleidigung. Dann verändert sich das Werbevideo: Ein etwa zehnjähriges Mädchen bekommt dieselbe Aufgabe. Sie boxt, läuft, wirft so fest, so stark, so schnell sie nur kann. Sie hat noch keines der Vorurteile verinnerlicht. Ein Mädchen zu sein, ist noch nichts Schlechtes.

Sie erinnert mich an mich selbst: eine Rebellin mit ungebürsteten Haaren. Das Mädchen, das sich versteckt hat, als der Teenager das Ruder übernahm. Ein Teenager, der verletzlich war und unsicher, der sich selbst nicht mochte, der mit der Welt nicht zurechtkam und sich immer zu unförmig fühlte. Was ist dazwischen passiert? Die Antwort ist gleichzeitig einfach und wahnsinnig kompliziert: Zwischen das Mädchen und die Frau hat sich das Patriarchat geschoben. Zu lernen, was es bedeutet, eine Frau zu sein, ist meistens schmerzhaft. Frau werden heißt auch, sich anzupassen. An die Erwartungen von Männern, an die Zuschreibungen durch eine patriarchale Gesellschaft.

Auf Augenhöhe

Meine Angst vor schweren Gewichten hat nicht nur damit zu tun, dass man mir als Frau weniger Kraft zutraut. Aber auch. Meine Scheu, mich im Fitnessstudio zu zeigen, hat nicht nur damit zu tun, dass Muskeln bei Frauen als weniger schön gelten. Aber auch. Mein Desinteresse an Profisport hat nicht nur damit zu tun, dass es mir an weiblichen Vorbildern fehlte. Aber auch. In den letzten Jahren hat sich vieles verändert: Fitness ist heute Teil von gesunden Schönheitsidealen und Frauen werden im Profisport immer sichtbarer. Ich selbst habe mit Bouldern einen Sport gefunden, der mich begeistert, fordert und in dem es viele starke Frauen gibt, die mich inspirieren.

Doch die toxische Workout-Kultur des Machismo sorgt dafür, dass das Fitnessstudio oft immer noch zum exklusiven Ort verkommt, in dem man sich erst beweisen muss. Solange lift, run, fight like a girl eine Beleidigung ist, wird sich daran auch nicht so viel ändern. Wir müssen dafür auch nicht so tun, als hätten wir die gleichen körperlichen Voraussetzungen wie Männer. Mädchen sind anders stark. Manche Sportarten haben das verstanden. Im Klettersport können sich beide Geschlechter auf Augenhöhe begegnen. Nicht selten lernen Männer auch von Frauen, die sich nicht auf rohe Muskelkraft verlassen können und dadurch auch kreativer werden. Wir können uns auch in anderen Sportarten gegenseitig inspirieren, anstatt uns abzuwerten. Davon profitieren dann Männer und Frauen, Buben und Mädchen, Profi- und Breitensport – und nicht zuletzt unsere Gesundheit.


Titelbild: (c) privat

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