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Tyll tut #9 – sich bewerben

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In dieser Kolumne wird unser Redakteur Tyll Leyh erwachsen. Das ist zumindest der Plan. Er probiert Hobbys, scheitert und liefert dabei Einblicke in sein Seelenleben. In dieser Ausgabe setzt er sich mit dem auseinander, was er bisher nur aus faden Erzählungen kannte: dem Arbeitsmarkt. 

Eigentlich kann sich bewerben ja nur zum Hobby werden, wenn man es regelmäßig tut, so als Jobcentermaßnahme. So weit bin ich nicht, noch nicht. Warum es trotzdem Thema ist? Ich hatte den Gedanken, dass zu einem erwachsenem Hobby auch ein erwachsener Job gehört und dem kann man ja mal nachgehen. Irgendwann muss eh Schluss sein mit den verkaterten Gastroschichten bei aufgesetzter Freundlichkeit. Jetzt wird geerntet, was an Saat in unzähligen Semestern Geisteswissenschaft gesät wurde, ich kumuliere das Know-How aus mittelmäßigen Seminararbeiten und schlechten Referaten. Endlich kann ich all mein Wissen über die Subjekt-Krise in der deutschen und französischen Dekadenzliteratur praktisch umsetzen. Welch eine Freude. 

Studium ade, Arbeitswelt hurra, ich komme. 

Also los geht es: Onlinerecherche, mein Traumjob ist gleich dahinten, ich sehe ihn schon. Den richtig guten Kulturjob. Ich verdiene genug zum Leben, tue etwas, das mich bewegt und interessiert, werde unabhängig, arbeite vielleicht konzeptionell und lerne stets ein kleines bisschen dazu. Oder es gibt Tischfußball, entschädigend für die toxische Arbeitsatmosphäre, wäre für den Anfang sonst auch ok.

Wohl nur nicht gleich zu Beginn. Vielleicht auch gar nicht. 

Wenn ich meine Kompetenzen mit den Angeboten abgleiche, wird aus CEO schnell Mitarbeiter im Museumsshop, oder Assistenz in der Geschäftsleitung mit Sekretariatsaufgaben, wie fad. Allerdings fehlt mir dann auch dafür zwei Jahre einschlägige Berufserfahrung. Einschlägig, komisches Wort. Hervorragende Kenntnisse in Schrift und Wort. Tatsächlich kenne ich niemanden auf den das zutrifft. Was genau bedeutet denn hohe Affinität für Social Media? Und reichen dafür 50 Follower? Pkw-Führerschein, Führungszeugnis, Gefühl für Storytelling und Aufbau von Dramaturgie mittels user-relevantem Content. Meinen die sicher nicht eher ausgeprägte Neigung zum Übertreiben? 

Die Liste könnte fortgesetzt werden oder ich beschreibe meine Situation mit einem Wort:

Ernüchterung. 

Wie soll sich das was da steht mit dem der ich bin, denn jemals decken? Ich wollte doch ein Fall für Überbezahlung bei entsprechender Qualifikation sein und nicht darüber froh, dass es einen Mindestlohn gibt. Ich dachte ich hätte bisher genügend Erfahrung gesammelt, für den Arbeitsmarkt die perfekten Voraussetzungen: Bin ich doch gerade noch jung und meine prekäre Lage motiviert mich wirklich zu arbeiten. Bin bisher immer in Vorleistung gegangen, so lange mich meine Eltern noch finanziell und privat aushalten konnten. Reicht das nicht? Muss ich jetzt wirklich auch noch zwei Fremdsprachen können? 

Da setzt sie ein, die Melancholie. 

Es ist wohl doch nicht alles möglich, wahrscheinlich war es das nie, Studieren war nicht Vorbereitung sondern nur der Versuch eines endloses Aufschubs, sich nicht mit der 40-60 Stunden Woche auseinandersetzen zu müssen. Und dann tut man es zu spät und soll sich nicht einschüchtern lassen davon, wie weit Realität und die eigenen Ambitionen voneinander entfernt sind. 

Ach, hätte ich mal BWL studiert. Wie alle anderen. Dann müsste ich mich jetzt nicht so ernüchtert fühlen, sondern wäre es schon lange und hätte mir die überzogenen Erwartungen gespart. Dann wäre ich schon fünf Jahre im richtigen Arbeitsleben und gar nicht in die Versuchung gekommen, an Selbstverwirklichung zu glauben. Ich hätte soviel Erfahrung, zu Überstunden bei Unterbezahlung, vielleicht schon meinen ersten Burnout überstanden und den nervtötenden Chef, der mich mit dem bisschen mehr an Verantwortung für den nächsten Monat ködert. Ich hätte Kleinkriege mit Kollegen aus purem Geltungszwang ausgefochten und immer 200% gegeben. Ach wie schön mein Leben hätte sein können.

Aber zu spät, zu wenig. Dachte ich. Bis mir einfällt, dass doch immer alle wollen, dass man kreativ ist. Warum dann nicht auch, was das eigene Leben betrifft?

Ich erfinde mich neu auf ein bis zwei DinA4 Seiten.

Dann tue ich halt so, als ob meine Emotionen hochkochen bei dem Gedanken an proaktives, eigenverantwortliches Arbeiten in einer ambitionierten Position. Photoshop und InDesign konnte ich schon in der Grundschule, ich bin nicht müde sondern ein ausgeruhtes Organisationstalent mit der einzigen Schwäche gerne viel zu viel zu arbeiten und zu pünktlich zu sein. Von wegen Urlaub, exchange program, von wegen unbezahltes Praktium, verantwortungsvolle und abwechslungsreiche Stelle im gehobenem Management. Es ist schön, endlich dieselbe Sprache zu sprechen und NATÜRLICH würde ich mich über die Einladung zu einem Gespräch sehr freuen. 

Ich schreibe so lange am Anschreiben herum, bis ich selbst an meine Kompetenzen glaube, find mich plötzlich richtig gut, und wie jede Entscheidung in meiner Vita Sinn macht, fabelhaft. Dann schicke ich die Bewerbung ab, bin erleichtert darüber, den ersten Schritt getan zu haben und freue mich darauf, morgen auszuschlafen, so lange das noch geht. Auch darauf mich wieder richtigen erwachsenen Hobbys zu widmen, wie fernschauen.

Deshalb nächste Woche dann Tyll tut#10: Tatort schauen. 

Erfolgserlebnisse: Inzwischen warte ich schon die zweite Woche auf Antwort, bin also immer noch im Rennen. 9/10 

Macht fit und belastbar: Nee, nee, das war die Voraussetzung 2/10

Fühlt sich nach Arbeit an: Ohne Worte. 10/10 

Preislich skalierbar: Bewerben kostet ja erstmal nichts 5/10

Spaß: Hui, wie sehr mich dieser Auslandsaufenthalt weiter gebracht hat 6/10

Gesamt: 31/50

Ich weiß auch nicht, wie man das schreibt.

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