In dieser Kolumne wird unser Redakteur Tyll Leyh erwachsen. Das ist zumindest der Plan. Er probiert Hobbys, scheitert und liefert dabei Einblicke in sein Seelenleben. Dieses Mal nähert er sich einem ihm unverständlichen Phänomen an: Spieleabenden.
Unter normalen Bedingungen wären mir einige Gründe eingefallen, mich von derlei Freizeitbeschäftigung so fern wie möglich zu halten, aber was tut man nicht alles, um neue Erfahrungen zu machen und einen Moment weniger daheim zu sein.
Brettspiele klangen für mich immer nach Langeweile.
Nach Familien ohne Playstation und dem Vorsatz, ganz demokratisch etwas gemeinsam zu unternehmen, was allen gleich wenig Freude bereitet. Mir schießen Bilder in den Kopf von 30-jährigen Pärchen, die nur noch wegen der Schwangerschaft zusammen sind und jetzt irgendwie die Zeit vertreiben müssen, bis das Kind endlich 18 ist und sie sich dann trennen dürfen. Am besten lädt man dazu noch befreundete Pärchen ein und zieht sie mit rein in dieses unglückliche Ikea-Dasein und Thermomix Geschnetzeltes. Die Abend-Gesellschaft wird dann ertränkt in Routine, schlechtem Wein und Activity.
Es waren über die Jahre gereifte Vorurteile über spröde Begegnungen in öden WGs, aber wie hätte ich ahnen können, wie nah ich damit an der Wirklichkeit sein würde.
Der Abend beginnt.
Nun also befinden wir uns auf der Terrasse meines Vertrauens, die seit Jahren mal aufgeräumt gehört, aber nie wird. Natürlich in kleiner Runde mit Maske und Abstand und der Überlegung, welche Ausgeburt der Brettspielhölle infrage käme. Ich dachte und hoffte, der Abend würde mir zumindest innovative Spielideen nahe bringen, die neuesten Trends direkt von der Spielwarenmesse mit Appintegration oder Augmented Reality, aber nichts davon.
Stattdessen der Satz:„Wir haben Risiko oder die Siedler von Catan“, na toll, danke für nichts Pascal, sag doch gleich Pest oder Cholera.
Dann nehmen wir halt was da ist.
Nachdem ich bei beiden Spielen die Regeln vergessen hatte, enthalte ich mich und weiß nicht genau, ob ich mich freuen soll, als es dann der Fixstern am deutschsprachigen Spielehimmel wird: Die Siedler von Catan. Kein Krieg, nur Wirtschaft, Handel und Straßen und mit fünf verschiedenen Rohstoffen rein in die österreichisch/deutsche Seele.
Vor der Veröffentlichung wurde das Spiel von zwei großen Verlagen abgelehnt, schade, dass der Erfinder dieses einmaligen Spielerlebnisses es nicht dabei belassen wollte und mir damit diesen unsäglichen Abend erspart hätte. Stattdessen ging er zu einem kleinen Verlag, die Siedler wurden ein Riesenerfolg fernab guter Gründe und ich muss hier nun sitzen und zusehen, wie in aller Ruhe und Gelassenheit ein sechseckiges Spielfeld entsteht.
Entschieden erweitert.
Um den Fun Faktor noch weiter zu erhöhen und mich noch mehr zu verwirren, wird die Erweiterung „Städte und Ritter“ integriert. Es gibt nicht genügend Spielsteine, also werden Wattestäbchen zu Handelsstraßen umfunktioniert. Wobei ich sagen muss, dass mir Ohrenputzen mehr Glücksgefühle beschert als dieses willkürliche Setzen von Holzhäusern.
Wir verteilen unsere Siedlungen, wir würfeln. Dabei beobachte ich fasziniert, wie viel Zeit für die Entscheidung benötigt wird, in welche Richtung nun das kleine Holzstäbchen gelegt werden soll. Aber ich warte gerne, bis ich endlich wieder dran bin. Es hat positive Seiten. Ich kann resigniert Spritzer nachschenken und habe Zeit, endlich darüber nachzudenken, welche verfehlten Lebensentscheidungen nun zu diesem Moment geführt haben.
Die Krise verändert einen nun mal doch.
Für all die Menschen zwischen 6 und 99 wird also meist mit zwei Würfeln zwischen Augenzahl 2 und 12 gewürfelt und es liegen weniger die Gesetze der Wahrscheinlichkeit darin, als der Grundgedanke an ein harmonisches Nacheinander, das jegliche emotionalen Regungen unterdrückt und Spannung im Keim erstickt.
Geordnet, der Reihe nach kommen alle dran und langsam wächst das Imperium der Handelsstraßen, während Siegpunkte gesammelt werden. Ich würfle eine 5, es bringt mir gar nichts, die anderen würfeln eine 4, es gibt keine neuen Rohstoffe für mich, es kommt die 9, na ja gut, immerhin ein Lehm, dann wieder die 5, ich tausche das Lehm gegen Stroh, Verhältnis 4:1 und mische den Wein im selben Verhältnis. Ich bin dankbar, als mein Nebensitzer zum dritten Mal fragt, ob wir jetzt, nach 2 Stunden, nicht doch schon einen Gewinner haben und ich nicht der Einzige bin, den langsames Zersiedeln einschläfert.
So geht es dann weiter, aber ich breche den Bericht jetzt ab, weil einfach nichts Erwähnenswertes mehr passiert ist. Irgendwann wird dann irgendjemand Erster, ich Zweiter, nur kann sich niemand in Anbetracht des verlorenen Abends so richtig darüber freuen.
Abrupter Schluss! Vorbei!
Warum faszinieren Brettspiele Menschen? Ich weiß es nicht, weniger als davor. Ich kann nur spekulieren. Ist es unsere Mentalität? Sind wir froh über soziale Interaktionen, bei denen wir nicht mehr über Inhalte sprechen müssen, sondern nur über so ein blödes Spiel? Ist es die Flucht in Fiktion, eine Parabel auf die Sinnlosigkeit unseres Daseins? Oder doch so ein typisch deutschsprachiges Phänomen wie Quizshows, mit dem wir einmal mehr unsere Freizeit mit sinnlosen Regeln und Ehrgeiz füllen können? Keine Ahnung.
Ich will mich nun wieder den Chancen widmen, die unsere derzeitige Situation mit sich bringt und darüber schreiben, was mir erspart bleibt. Deshalb folgt das nächste Mal ein Text über etwas, das ich noch weniger gern habe als Brettspiele: Poetry Slam.
Erfolgserlebnisse: Ich habe die längste Handelsstraße, wow. 6/10
Macht fit und belastbar: Die 4 ist ja der echte Geheimtipp unter den Zahlen 4/10
Fühlt sich nach Arbeit an: Ich verwalte mehr Rohstoffe, als ich sonst zur Verfügung habe 7/10
Preislich skalierbar: Zum Glück kostet es nichts 8/10
Spaß: Irgendjemandem bestimmt 4/10
Gesamt: 29/50
Ich weiß auch nicht, wie man das schreibt.