Volunteer Tourism ist schon seit mehreren Jahren eine populäre Form des Tourismus, die vor allem bei jungen Personen aus westlichen Ländern beliebt ist. Es handelt sich um die Verbindung von Freiwilligenarbeit in Ländern des globalen Südens mit der Möglichkeit, dort auch Urlaub zu machen und für einen gewissen Zeitraum zu leben. Klingt eigentlich ganz schön: Arbeit in anderen Ländern, die diese Hilfe und Unterstützung auch benötigen. Doch wird diese Art der „Hilfe“ überhaupt gebraucht? Und welche Rolle spielen neokolonialistische Denkweisen?
In den letzten Jahrzehnten hat das Phänomen des Volunteer Tourism, auch „Voluntourism“, zunehmend einen Aufschwung erlebt. Junge Personen aus dem globalen Norden, oft im „Gap Year“ nach der Reifeprüfung, verbinden ihren Urlaub mit der Möglichkeit, in anderen Teilen der Welt Freiwilligenarbeit zu leisten: in Schulen zu unterrichten, in Waisenhäusern auszuhelfen oder Tiere zu pflegen. Die Jugendlichen leben für ein paar Wochen oder Monate in den Ländern meist Afrikas, Lateinamerikas oder auch Asiens und verrichten über verschiedene Organisationen ihre Leistungen.
Die Freiwilligen zahlen hier oft selbst relativ hohe Summen an Geld an die Organisationen, um für ihren Aufenthalt aufzukommen. Diese Vereine stammen meist ebenso aus den Ländern des globalen Nordens und bauen damit oft auf dem westlichen Verständnis von „Entwicklung“ auf, die in den besuchten Ländern durch die Freiwilligenarbeit etabliert wird.
White Saviorism und Neokolonialismus
Hier entsteht die Notwendigkeit, den neokolonialistischen Charakter des Volunteer Tourism und darin eingeschriebene imperialistische und rassistische Praktiken sowie die Rolle des „White Savior“ zu hinterfragen.
White Saviorism meint das Phänomen, dass weiße Personen aus westlichen Industriestaaten unter der oft auch unbewussten Annahme agieren, Personen aus den „Entwicklungsländern“ „retten“ und ihnen zur Hilfe kommen zu müssen, weil diese es nicht ohne sie schaffen würden.
Hier kommt es außerdem oft zu Othering. Die einheimischen Personen werden als anders und fremd dargestellt. So wird ihre systematische Unterdrückung gerechtfertigt. Gleichzeitig werden hier oft rassistische Stereotypen reproduziert. Solche Denkweisen waren vor allem im Kolonialismus ein grundlegendes Mittel, um die imperialistischen und kolonialistischen Vorgänge zu rechtfertigen und zu begründen. Der Kolonialist tut hierbei, seines Erachtens nach, Gutes indem er den „armen“ Einheimischen zur Hilfe kommt und diese zivilisiert. Dies ging gleichzeitig mit der Ausbeutung und Unterdrückung der einheimischen Personen einher.
Im speziellen Fall des Volunteer Tourism wird dann der globale Süden durch die aus dem Westen stammenden Volontäre romantisiert und zur Möglichkeit für Privilegiertere aus dem globalen Norden ihnen zur „Entwicklung“ zu „helfen“ und sie zu „retten“, unabhängig davon, ob diese Hilfe überhaupt gewollt oder gebraucht wird.
Zeit für reflektierte Freiwilligenarbeit
In Anbetracht dieser möglichen neokolonialistischen Verhaltensweise, ist es notwendig, einiges an Reflexion zu betreiben. Man sollte sich die Frage stellen, aus welchem Grund man Freiwilligenarbeit verrichten möchte. Ist es wirklich, weil man Hilfe leisten will oder doch zur eigenen kulturellen Bereicherung, zur Ergänzung des Lebenslaufs oder gar als Möglichkeit, ein Selfie mit den lokalen „armen“ Kindern auf Social Media posten zu können?
Natürlich fällt nicht jede Person, die Volunteer Tourism betreibt und jede Organisation, die diesen anbietet, in das beschriebene Schema. So kann es durchaus möglich sein, in anderen Ländern Freiwilligenarbeit zu leisten, die wirklich zielführend ist und auch tatsächliche Hilfeleistung bietet. Volunteer Tourism ist nicht nur zu verurteilen. Denn, das lässt sich neben der geäußerten Kritik auch erkennen: Volunteer Tourism kann sowohl für die ansässigen Personen als auch für die Volontär*innen einen Mehrwert generieren. Grundsätzlich ist es von den Besucher*innen ja auch gut gemeint.
Gleichzeitig sollte man als Volunteer Worker aber ein gewisses Maß an Reflexion an den Tag legen und über eigene, verinnerlichte Vorurteile gegenüber den Bewohner*innen der besuchten Länder nachdenken. Man kann ebenso die Wirkungskraft der eigenen Möglichkeiten hinterfragen und auch welche Fähigkeiten man wirklich individuell mitbringt, die nützlich sein könnten. Man sollte nicht davon ausgegehen, dass man durch diese Arbeit „die Welt retten kann“. Es zeigt sich, dass die durch den Voluntourism ermöglichte Arbeit gar nicht so einen starken Einfluss hat, wie oft beworben. Denn die volontierenden Personen haben oft gar nicht die benötigten Fähigkeiten, das Wissen oder auch die Sprachfähigkeiten, um überhaupt konstruktive Arbeit zu verrichten. Hier wird dann die ohnehin schon kurze Anwesenheit der Freiwilligen eher anderweitig genutzt. Beispielsweise, um überhaupt erst einmal in die Tätigkeiten eingeschult zu werden oder die touristische Seite der Volunteer Tourism zu nutzen und die besuchten Gemeinschaften zu erkunden.
Klar ist auf jeden Fall, dass sich der Voluntourism von seinen neokolonialistischen Zügen befreien muss und sollte, um der heutigen Zeit noch gerecht zu sein und diese Form der Freiwilligenarbeit nicht in zukünftige Generationen weiter zu tragen. Vielleicht könnte dadurch eine Alternative entstehen, die sich eher auf konstruktive Zusammenarbeit anstatt auf eine Fortführung neokolonialistischer Praktiken und Vorurteile verlässt.