Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Warum nicht alles, was wir nicht mögen, verboten gehört.
Am Montag sprach die deutsche Frauenrechtlerin Alice Schwarzer an der Angewandten in Wien zu politischem Aktivismus. Ihre polarisierenden Aussagen, unter anderem zum Thema Islam, veranlassten die Studierendenvertretung der Kunstuni schon im Vorfeld zum Protest gegen ihren Auftritt. Laut Standard wollte die ÖH eine Absage der Veranstaltung erreichen. Das ist nicht gelungen. Schwarzer trat auf und schrie laut Heute bei der Veranstaltung mit protestierenden Studierenden um die Wette.
Und so soll Uni auch sein können! Lauter, manchmal vielleicht unreflektierter Diskurs, Demos, Gegendemos, Gegengegendemos. Kurz: Auseinandersetzung. Man muss nicht mögen, was Alice Schwarzer zu sagen hat. Auch ich halte einige ihrer Punkte für falsch, populistisch und unsensibel. Aber mangelnde Sensibilität macht es nicht weniger notwendig, sich mit ihren Positionen zu beschäftigen.
Die ÖH der Angewandten wirft Schwarzer “antimuslimischen Rassismus unter dem Deckmantel des Feminismus” vor. Ich werfe der ÖH vor, dass sie faul ist. Zu faul, vernichtende Argumente zu finden, die Schwarzer so richtig Dampf machen würden. Die sie vor versammeltem Vorlesungssaal enttarnen würden. Was haben wir davon, wenn Schwarzer nicht reden darf und ihre nach Meinung der Studierendenvertretung so gefährlichen Ideen nicht öffentlich entkräftet werden?
Die Universität hat zum Glück völlig richtig gehandelt. Sie hat Auseinandersetzung erzwungen. Die Veranstaltung zuzulassen, hatte Protest zur Folge und das ist auch gut so. Diskurs ist manchmal mühsam. Vor allem wenn man eine aggressive Zynikerin, wie Alice Schwarzer es sein kann, als Gegenüber hat. Wir müssen uns gerade deswegen abgewöhnen, unbequeme Persönlichkeiten und ihre Meinungen einfach abschalten zu wollen. Cancel Culture ist keine Lösung.
Diese Kultur des Diskurs-Verweigerns macht uns ärmer. Sie verhindert das Verfeinern der eigenen Positionen anhand der Meinungen des Anderen, indem sie der Auseinandersetzung einfach aus dem Weg geht. Cancel Culture ist die Kapitulation vor der eigenen Angst. Außerdem, wer sagt denn, dass man von Frau Schwarzer nicht auch etwas lernen kann?
Hier ein Artikel von unserer Politik-Chefin Lea Moser zum Thema
Comitted to the best obtainable version of the truth.