Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Unsere Beziehung zu Tieren und was sie über uns als Menschen aussagt.
Das fünfte Mal seit Beginn der Krise sind diese Woche in einer Fleischfabrik in Deutschland Coronainfektionen aufgetreten. Der größte bisher verzeichnete solcher Cluster in der Fleischindustrie zählt mindestens 1500 Betroffene. Anlass genug sich darüber Gedanken zu machen, dass unsere Beziehung zu Nutztieren ein Risiko für Gesundheit und Klima darstellt.
Wir müssen uns eine unangenehme Frage stellen: Wie können wir rechtfertigen, dass wir weltweit Millionen Menschen und Tiere in inhumaner Weise behandeln, nur um Lebensmittel zu produzieren, die nebenbei auch unseren Planeten zerstören und uns zudem Seuchen bringen? Damit, dass wir es zum Überleben brauchen? Wohl nicht wirklich. Millionen Menschen weltweit leben vegan. Dabei sind die meisten von ihnen sogar wesentlich gesünder als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dann wohl eher, weil es uns schmeckt? Aber ist das eine ausreichende Rechtfertigung für die Tierindustrie und der damit verbundenen Brutalität?
Nein, aber die Debatte ums Fleischessen ist eben keine rationale. Wie Arnold Schwarzenegger in der Dokumentation Game Changers beschreibt, ist Fleisch ein Teil unserer Identität. „I’ve lived in that world: Steak is for men! Go meat! But as I got older and I started reading up on it, I started recognising the fact that you really don’t have to get your protein from meat…” Diese Entwicklung müssen wir alle durchmachen, sonst steht es schlecht um unsere Umwelt. Es geht bei den ökologischen Aspekten dieser Diskussion auch nicht darum nie wieder Fleisch zu essen, sondern zu reduzieren. Was die ethische Debatte betrifft, kann man es sich leider nicht so einfach machen.
Der Grund, warum wir nicht längst alle vegan sind? Abstraktion: Faschiertes hat schließlich wenig mit einer real existierenden Kuh zu tun. Außerdem: Die Tiere, die das Fleisch liefern, das wir als Schnitzel auf unserem Teller sehen, hüpfen doch ohnehin den ganzen Tag auf einer grünen Wiese herum. Wir alle wissen, dass das nicht der Realität entspricht und dennoch sind wir hervorragend darin, dieses Bewusstsein wegzurationalisieren. Es fühlt sich schließlich gut an, ein in unbehandeltes Papier mit Bio-Siegel verpacktes Steak zu kaufen oder Butter aus Bergbauern-Heumilch. Täglich tun wir so, als wäre gerade dieses Tierprodukt auf unserem Teller besser als der Rest.
Es gibt nur zwei Erklärungen dafür, warum dem so ist. Entweder wir alle sind empathielose Soziopathen, denen Leben und Leid egal ist oder – und das halte ich für wahrscheinlicher – wir befinden uns in einer gesellschaftsweiten Verdrängungsreaktion. Eigentlich nur logisch, wenn man sich vor Augen führt, welches Leid (von Menschen und Tieren) unser Konsum auslöst. Das verkraftet ja keiner. Dabei wäre eine Konfrontation gerade mit diesen Emotionen enorm wichtig.
Als jene Spezies, die den Planeten nach ihren Vorstellungen formen kann, haben wir eine Verantwortung. Wir beweisen jeden Tag, wie mächtig wir sind, wir können hunderttausende Tiere jeden Tag schlachten, zerlegen und fressen. Wir hätten aber, besonders dank neuer Lebensmitteltechnologie, die Macht ohne Einbußen damit aufzuhören.
Was können wir also tun? Weniger Tierprodukte konsumieren. Das Fleisch kann leider noch so Bio sein, es ändert wenig an dessen CO2-Bilanz und an dem Fakt, dass wir Leben beenden, das nicht beendet werden müsste. Besonders wichtig ist aber, dass wir uns gesellschaftlich dafür einsetzen, dass über unsere Beziehung zu Tieren nachgedacht wird. Aktuell kann man das tun, indem man das Tierschutzvolksbegehren unterschreibt. Das Programm ist nicht perfekt, aber besser als nichts. Und wenn man schon mal auf der Behörde ist, liegt auch gleich das Klimavolksbegehren auf. Ein CO2-Preis nach dessen Modell würde bestimmt auch Kostenwahrheit im Fleischsektor herstellen.
Fakt ist, dass wir nicht umhinkommen uns mit diesen Fragen zu beschäftigen. Auf ethischer wie ökologischer Ebene. Um jener Menschen willen, die in Tierfabriken unter katastrophalen Bedingungen schuften, um unseres Planeten Willen, dessen Zukunft auf dem Spiel steht und nicht zuletzt um der Tiere Willen, die sich nicht wehren können. Wie wir mit unserer Umwelt und Tieren umgehen, wird definieren, wie wir im 21. Jahrhundert die Welt um uns gestalten. Dabei ist es wichtiger denn je auf große ethische Fragen zurückzukommen, auch wenn sie unangenehm sind.
Weitere Infos
Link zum Tierschutzvolksbegehren
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