Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Student*innen ohne sichere Zukunft.
Das Semester hat noch nicht einmal wirklich begonnen und schon wieder sehen sich tausende Studierende einer unsicheren Lage gegenüber. Erste Cluster an Unis könnten bedeuten, dass instituts- oder universitätsweit auf Distance Learning umgestellt wird. Für viele, die das letzte Semester noch allzu gut im Kopf haben, nicht weniger als eine Horrorvision.
Unis sind viel mehr als Karriere-Produktionsmaschinen. Sie sind Orte des Austauschs. Wer sich inskribiert, widmet seine Zeit dem Lernen. Diese freiwillige Entscheidung zum Wissenserwerb ist ein fundamentaler Teil unseres Gesellschaftssystems. Als Melting Pot für progressive Ideen gestalten Universitäten die (geistige) Welt künftiger Generationen mit. Politisierung und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Themen gehören zu diesem Ökosystem.
Ganz abgesehen von diesen längerfristigen Auswirkungen ist Studieren Arbeit und sind Universitäten Arbeitsplätze. Damit sind sie auch das wichtigste soziale Netz für zahlreiche Studierende. Bereits letztes Semester klagten viele darüber, dass ihnen jede Tagesstruktur fehle, nun, da die Uni geschlossen hatte. Bibliotheken als Lernraum ohne Konsumzwang fielen ebenfalls weg. Was Student*innen dann oft bleibt, ist eine Leere, die bereits vorhandene Zukunftsängste noch stärker werden lässt.
Neben den psychischen Folgen können sich Uni-Schließungen aber auch direkt auf die Geldbörse der Studierenden oder ihrer Unterstützer*innen auswirken. Dass nämlich ein Studium nicht in Mindestzeit abzuschließen, nicht bloß einem goldenen Sternchen weniger gleichkommt, verstehen viele nicht. Besonders für Student*innen aus weniger privilegierten Familien bedeutet jedes zusätzliche Semester einen erheblichen finanziellen Aufwand. Wenn das nächste Semester ähnlich schlecht funktioniert wie das letzte, könnten viele gezwungen werden, ihr Studium zugunsten eines schlecht bezahlten Jobs aufzugeben. Das wäre nicht bloß was den sozialen Aufstieg betrifft eine Katastrophe, sondern hätte auch massive volkswirtschaftliche Folgen.
Student*innen brauchen jetzt also besonderen Rückhalt in der Gesellschaft. Wir sind nämlich genau nicht die untätigen Faulenzer*innen, als die uns manche gerne zeichnen. Eine umfassende Digitalisierungsstrategie für die Unis muss her, um die Qualität in der Lehre im Fall eines zweiten Lockdowns hochzuhalten. Parallel dazu ist es aber genauso wichtig, Räume zu schaffen, in denen Studierende sicher sozial interagieren können. Es geht um nicht weniger als die psychische Gesundheit, die Bildung, die Zukunft einer Generation.
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