Kokain ist bekannt als das Pulver, das unsere Zunge lockert. Der weiße Staub, der es erlaubt, jegliche Unsicherheiten beiseite zu schieben und uns vom Minderwertigkeitskomplex zum Messiaskomplex migrieren lässt. Ein Rauschmittel mit großem Suchtpotenzial. Was man vergessen hat: Ohne Sigmund Freud würden wir heute unsere Schleimhäute wohl weniger oder gar nicht mit Koks benetzen. Noch vor seiner Arbeit zum Es, Ichs und Über-Ichs, versuchte er, der Droge zum Durchbruch zu verhelfen und wurde so zum ewigen Missionar des Koks.
Während man in der Andenregion schon seit Jahrhunderten an Kokablättern kaut, wurde es dem Rest der Welt erst durch die Synthetisierung der Droge 1855 ermöglicht. Ursprünglich war sie in stinknormalen Apotheken erhältlich. Sigmund Freud war 1884 mit jungen 28 Jahren gerade dabei, sich in der Wissenschaft einen Namen zu machen. Mit einem Thesenpapier über den Ort der Hoden des Aals konnte Freud schon einen kleinen Erfolg verbuchen, bevor dem wissbegierigen Assistenten in der Neuropathologie an der Uni Wien vom Pharmakonzern Merck Koksproben zugeschickt wurden, in der Hoffnung, dass der junge Wissenschaftler das Produkt öffentlich gutheißen würde. Freud war begeistert von der Wirkung des Kokains und witterte seine Chance für den akademischen Aufstieg.
Die Liebe zum Koks
Freud verliebte sich in die physischen und psychischen Wirkungen des Koks. Er beschrieb Kokain als wirkvolles Mittel gegen Depression und rühmte die anhaltende Euphorie, die man mit der Droge erfahren konnte. Außerdem sei das Koks ein Heilmittel gegen Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden. Im Juni 1984 schrieb er seiner Verlobten Martha, die gerade unter ebendiesen Beschwerden litt:
„… wenn Du unartig bist, wirst Du sehen wer stärker ist, ein kleines, sanftes Mädchen, das nichts ißt oder ein großer, wilder Mann, der Kokain im Leib hat“.
Freud wehrte jede Kritik, die meinte die Droge würde abhängig machen, anhand seiner Selbstexperimente, vehement ab. Mit der Realität der Praxis des “Um-5-Uhr-früh-vor-dem-Club-das-Baggy-auslecken” lässt sich diese Kritik jedoch bewahrheiten.
Mutter, der Freud mit dem Koks ist da
Freud schickte Kostproben an etliche seiner Kollegen und Weggefährten, mit denen er die angeblichen Wunder des Kokains teilen wollte. Seinem Freund, dem Physiologen Ernst Fleischl von Marxow, legte er die Droge besonders nahe. Sie sollte ihn von seiner Morphinsucht loslösen. Er wurde jedoch rückfällig und hatte, anstatt eine Sucht zu verlieren, mit dem Koks eine neue gewonnen. Sieben Jahre später starb Marxow eines qualvollen Todes. Mit seinem Liebesbrief an das Kokain “Über Coca” trat Freud 1885 die erste Kokainwelle in Europa los. Er überzeugte außerdem die Engel Apotheke im ersten Wiener Gemeindebezirk die Medizin billiger anzubieten. Jeder solle die Möglichkeit haben, die scheinbare Magie des Kokains zu erfahren. Daher verschrieb Freud die Droge auch seinen eigenen Patienten. Er war nach heutigen Kategorien also sowohl Konsument als auch Dealer. Dominic Streatfield, Autor des Buches “Cocaine: An Unauthorized Biography”, meinte, wenn es eine Person gäbe, die für die Verbreitung des Kokains verantwortlich gemacht werden kann, sei es Freud.
Über den Tisch gezogen
Obwohl das Kokain in der Behandlung von Suchtkranken eine kontraproduktive Entwicklung hervorrufe, führten Freuds Untersuchungen in einer anderen medizinischen Sphäre zu Fortschritten: der Lokalanästhesie. Freud beendete seine Schrift “Über Coca” mit den Worten: “Anwendungen die auf der anästhisierenden Eigenschaft des Kokains beruhen, dürfen sich wohl noch mehrere ergeben.” Die Entdeckung des Kokains als Anästhetikum in der Augenmedizin wird jedoch allein Freuds Freund und Augenarzt Carl Koller zugeschrieben. Dieser testete im August 1884 die Folgen von Kokain in Froschaugen. Er stellte fest, dass das Auge ohne jegliche Reflexauslösung mit einem spitzen Gegenstand berührt werden konnte. Die Augenoperation war geboren. Freud selbst nannte seinen Kollegen, trotz nicht vorhandener Erwähnung seiner ersten Anregung zur Verwendung von Kokain als örtliches Betäubungsmittel, liebe- und spielvoll Coca Koller. Interessant: Nur zwei Jahre später kam das damals noch kokainhaltige Getränk Coca-Cola als Kopfschmerzmittel auf den Markt.
Das Koks gab Sigmund Freud Hoffnung. Die Hoffnung auf den akademischen Legendenstatus. Die Hoffung sich seinen eigenen depressiven Episoden nicht stellen zu müssen. Die Hoffung ein allgemeines Heilmittel gefunden zu haben. Diese Hoffung schlug irgendwann in Reue um. Er habe den Kritikern seiner restlichen Arbeit eine Angriffsfläche geboten und bemängelte in späteren Jahren selbst seine Arbeit und seinen Zugang zum Kokain. Er hat wohl trotzdem viele seiner Werke unter dem Einfluss von Kokain geschrieben. In seinem Buch “Die Traumdeutung” aus 1899 beschreibt er einen Schneemann, der mit Karottennase in einem riesigen Schneefeld stand. Sobald der Schnee schmilzt, schmilzt auch der Schneemann, lässt die Nase zu Boden gleiten und beerbt ihn mit einem tiefgreifenden Gefühl der Leere.
Suchtbetroffene finden bei folgenden Stellen Unterstützung:
Suchthilfe Wien
Sucht und Drogenkoordination Wien
Pro Mente Oberösterreich
Pro Mente / Erste Hilfe Für Die Seele / Blog