FEMALE ANGER | Sprachnachricht von Marie Luise Lehner

Sprachnachricht von Marie Luise Lehner

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Im ersten Artikel zu female anger wurde die Gestalt der „emotionalen Frau“ und die Angst vor ihr diskutiert. In dieser Interview-Reihe erzählen junge Künstler*innen, wie sie mit Wut umgehen und daraus der Succus ihrer Arbeiten entsteht. Ich habe drei junge Menschen per Sprachnachricht zum Thema befragt. Marie Luise Lehner ist eine von ihnen.

Marie Luise Lehner (*1995, Oberösterreich), lebt in Wien und Linz. Sie studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst, Drehbuch an der Filmakademie Wien und schreibt Theaterstücke und Prosa. Ihre Erzählungen wurden in Anthologien und Literaturzeitschriften (Kolik, Facetten) veröffentlicht und ihr erster Roman Fliegenpilze aus Kork wurde mit dem Alpha Literaturpreis 2017 ausgezeichnet. Marie schreibt außerdem (Kurz)filme (Kaugummizigaretten erhielt 2017 beim Crossing Europe Filmfestival den Local Artist Award) und spielt in der Punkband Schapka. Ihr jüngster Roman Im Blick handelt vom Erwachsenwerden zweier Mädchen.

Das Vorurteil sagt: Marie spielt in einer feministischen Punkband. Sie hat also sicher richtig viel über Wut zu erzählen.
Die Dekonstruktion zeigt jedoch, dass der Weg vom Aufkommen des Gefühls bis zum Ausbruch nie linear verläuft. Marie meint, dass Wut ihr schon als kleines Kind abtrainiert wurde und sie deshalb eine andere Bewältigungsstrategie gewählt hat. „Als Mädchen darf ich nicht so richtig schreien. Wenn man als Kind zu einem Mädchen wird und von einem Mädchen zur Frau, dann hat man vielleicht diese Wut so stark unterdrückt, dass man sie nicht so richtig nach außen lassen kann.“ Was Mädchen aber „dürfen“, ist vehementes Diskutieren. Vor allem, wenn Marie selbst, oder ein anderer Mensch ungerecht behandelt wird. Dabei wäre sie gerne viel angsteinflößender, ein Thema, das sie auch in ihrem Roman verarbeitet:

Darum geht es tatsächlich in einem meiner Bücher. Die Protagonistin wünscht sich, sie könnte genau so angsteinflößend sein, wie manche Männer manchmal. Das hat was mit mir zu tun, weil ich selber oft das Gefühl hab‘, dass ich nicht so angsteinflößend sein kann, wie manche Männer.

(c) Fabian Kasper

Schon in der Sprachnachricht mit Nicola wurden die Ergebnisse des Österreichischen Film Gender Reports diskutiert, die zeigten, dass 80% der Herstellungsförderungen im untersuchten Zeitraum an Projekte gingen, bei denen Männer für Regie, Produktion oder Drehbuch verantwortlich waren. Auch Marie stößt als Filmemacherin oft an Grenzen. Nicht nur, weil die Branche sehr männerdominiert ist. Auch im Hinblick auf Missstände in der Gesellschaft und wie darin mit Sexismus umgegangen wird.

Das erzeugt in mir Wut, gegen die ich anschreibe, aus der ich die Kraft schöpfe, um noch mehr Anerkennung zu erkämpfen. Wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen in meinem näheren Umfeld geht, werde ich aber eher traurig als wütend, was dazu führt, dass ich Wut eher runterschlucke. Was nicht gut ist! Daran möchte ich arbeiten! (lacht).

Ein Umdenken in der Gesellschaft auszulösen, wäre, laut Lehner, ein längerer Prozess, der grundsätzlich damit zu tun hätte, Stereotype über Menschen mit verschiedenen Geschlechtern erst einmal verschwinden zu lassen. „Aber es ist cool, wenn wir es nach und nach schaffen, sie in kleinen Blasen abzubauen.“ In ihren Erzählungen oder Kurzfilmen beschreibt sie nur dann die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität eines Charakters, wenn sie relevant für die Erzählung ist. „Wobei ich sagen muss, dass ich grundsätzlich meistens über Frauen schreibe, weil ich finde, dass das eine Perspektive ist, über die ich sehr viel weiß. Außerdem finde ich, dass es immer noch zu wenige Protagonistinnen in Filmen, Stücken, oder Büchern gibt.“

© Ulrike Schild

Mit Maries Sprachnachrichten hat die Interviewreihe mit Moritz Beichl und Nicola von Leffern zu female anger nun ihren Abschluss gefunden. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die nicht zu unterschätzende Macht der Sprache verweisen, wenn es darum geht, die statische Ordnung der Geschlechter umzuwerfen. Das Wesen der Frau (wie auch das des Mannes) ist eine Konstruktion, die viele als Unterwerfung zu spüren bekommen. Die Reihe der patriarchalen Zuschreibungen, wie eine Frau zu sein hat, ist lang: Frauen als das schwache Geschlecht (Platon), als Nachgeahmte und Nachahmende (vgl. die Schöpfungsgeschichte), charakterisiert durch die gesamte Metaphorik des Passiven und Aufnehmenden, oder als emotionaler Gegenpart zur männlichen Rationalität. Auch wenn diese Positionen einem wissenschaftlichen Kontext der Vergangenheit angehören, sind ihre Auswirkungen im Alltag immer noch spürbar.
Die Frage ist, was angesichts dessen getan werden kann. Eine Antwort ist: Kritik. Kritik beinhaltet nicht unweigerlich die generelle Ablehnung einer Position, sondern soll in diesem Sinne genderspezifische Zuschreibungen erkennen und dekonstruieren. Kritik braucht keine festgeschriebenen Identitäten um anzukommen. Sie landet zielsicher durch das Aufweisen und die Abkehr von Normierungen. „Man muss sich das nur zutraun'“, singt Negroman in meinem Kopf und ich stimme ihm zu.

Maries Empfehlungen:

Ein Buch über Trauer: Aglaja VeteranyiWarum das Kind in der Polenta kocht.
Für Marie einer der besten Filme aller Zeiten: Nora FingscheidtSystemsprenger.
Außerdem wird es am 1. Februar das Schapkafest geben, bei dem Acts wie Schapka selbst, Teresa Rotschopf, Kerosin 95, Farce und DJ Feinstaub auftreten werden. Wo das Ganze stattfinden wird ist ein Geheimnis. (Google is your friend)

Titelbild © Mike Ranz

Stv. Chefredaktion / Gesellschaft

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