In dieser Kolumne wird unser Redakteur Tyll Leyh erwachsen. Das ist zumindest der Plan. Er probiert Hobbys, scheitert und liefert dabei Einblicke in sein Seelenleben. Diese Woche geht es darum, sich dem stressigen Kolumnistenalltag und nervigen Abgabeterminen zu entledigen: Weltflucht mit Wellness.
Gerade noch lag ich da, mit ruhigem Puls und zu vielen Kissen, wenigen Gedanken und rosiger Haut. Nun renne ich den Gang entlang. Wie konnte ich so vergesslich sein. Ich spurte vorbei an den anderen Bademantelträger*innen zum Fahrstuhl, rein, runter und wieder raus. Neben mir Whirlpools, Wassergymnastik und Handtücher, überall riesige Handtücher. In den weißen Schlappen rutsche ich mehr, als dass ich renne über nasse gekachelte Fliesen in türkis, entgegen der leicht verformten Glastür, die gerade im Begriff ist, sich zu schließen. Ich werfe im allerletzten Moment meinen Mantel und die Schlappen weg und stürme nackt auf die leere Holzfläche. Der Saunameister schaut mich verwirrt an, macht dann weiter mit den Warnhinweisen während ich glücklich darüber bin, gerade rechtzeitig zum Aufguss gekommen zu sein. Heute: Eiskristalle und Eukalyptus. Dufte.
Das war er dann auch, der aufregendste Moment des gesamten Wochenendes
Da sitzen wir dann, im dunklen Raum mit schwummrigen Licht, schwitzen und lassen uns anwedeln in der Hoffnung, dass alles raus kommt aus den Poren: die Anspannung, der Verzicht, die Unzufriedenheit mit dem alltäglichen Stress. Immer mehr Wasser kommt auf die Steine, als direkte Reaktion folgt kollektives Gestöhne. Wir tun etwas für uns. Auch wenn ich mich frage, wann ich mal was getan habe, was nicht irgendwie für mich war, aber wer weiß das schon. Keine Fragen für 90°C. Allumfängliche Wärme als Antwort auf die soziale Kälte, die wir sonst gewohnt sind. Hach, Entspannung.
Wohltat für gestresste Füße und streichelzarte Hände
Wellness, der Begriff ist so schwammig wie beliebt und etikettiert inzwischen vom bunten Früchtedrink über Socken und ausgewählte Kräutermischungen so ziemlich alles, was nicht Arbeit ist. Denn Wellness heißt Wonnegefühl und Lebensqualität. Verbunden mit meinem leiblichen Wohl und dem Versuch, an einem Wochenende möglichst viel der vernachlässigten Körperpflege wieder aufzuholen, bei Gelassenheit und Infrarotlicht. Darüber hinaus darf jeder den Begriff nach Belieben für sich selbst definieren.
Auszeit. Jetzt.
Grauer Winter, graue Zellen, die Welt ist komplex, wir die kleinen Teile dazwischen und alles wird immer anstrengender, komplizierter und langweiliger. Es ist wie immer. Denn es wiederholt sich wieder und weiter und wir sind erschöpft und krank von Grippesymptomen und der Wirtschaft, von der Suche nach unserem Platz in der Welt und der Angst davor, dieselben banalen Gedanken zu haben wie alle anderen auch, und was tun wir? Dasselbe wie alle anderen auch. Weiter machen und Halt suchen an einer Schwimmnudel.
Ich mache toter Mann. Denn soviel zur Gesellschaftskritik. Ich plantsche. Treibe umher im warmen Becken, fühle mich frei von Schwerkraft und Verantwortung, inhaliere die frische Luft und ein sanftes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich merke, es wird doch Zeit flauschig und Tulasara Calm Concentrate Facial Treatment in meinen Wortschatz aufzunehmen.
Passiv ist das neue Aktiv
Dann routiniertes Liegen. Eingepackt, verschnürt, erschüttert mich nichts. Ich bin ein Paket, das wirklich angekommen ist, nicht beim Nachbarn abgegeben. Das einzige, was mich manchmal weckt, ist mein eigenes Schnarchen beim wegdösen. Dazwischen sphärische Klänge und lange Gänge und noch mehr Handtücher. Wie angenehm. Langsam verliere ich den Sinn für Raum und Zeit, alles was mich in der Welt hält, sind die Öffnungszeiten des Buffets. Der Alltag, welcher Alltag? Dem bin ich entflohen. Raus aus dem Leben, rein in eine möglichst horizontale Haltung. Stillstand bei frischem Obst und Nüssen. Was bleibt ist wenig Zeit zum Nachdenken und soviel Schlaf. Liegen und sitzen wechseln sich ab, am Ende des Tages dann Weinbegleitung und die Frage, wo ist hier jetzt noch einmal das Hobby?
Watte Macchiato
Zurück zum Anfang, die Schwammigkeit des Begriffes macht es möglich. Wellness ist das Hobby, weil jedes Hobby irgendwie Wellness sein sollte. Mir wird bewusst, dass es die Kumulation der Dinge ist, die ich bisher an dieser Stelle beschrieben habe. Von den Fußsohlen bis zu meiner Lunge, beim Breittreten meiner Faszien und Strampeln auf dem Stairmaster. Es ging immer um Entfremdung, Abstand, Gesundheit und Ausgleich. Wellness ist der unausgesprochene Mittelpunkt meiner Überlegungen zum Erwachsensein, weil es alle Yoga-, Fitness- und Esstrends vereinnahmt und in dieser Ganzheitlichkeit den gemeinsamen Ursprung preisgibt: Symptombekämpfungen. Fahle Versprechen, welche die Frage, warum wir uns überhaupt ständig nach einer Auszeit zu sehnen haben, nicht einmal ansatzweise besprechen oder lösen. Außer die Antwort liegt wirklich im Vergessen.
Also was bleibt mir zu tun, wenn nicht mich der Wirklichkeit zu stellen? Es geht zurück in die stressige Realität und zu Tyll tut #9: sich bewerben.
Erfolgserlebnisse: Wer kann am längsten in der Sauna sitzen und keinen Kreislaufkollaps haben? 5/10
Macht fit und belastbar: 3 Bahnen Brustschwimmen sollte für heute reichen 7/10
Fühlt sich nach Arbeit an: Nur beim Schlange stehen fürs Omelett 2/10
Preislich skalierbar: 600€ für 3 Tage Halbpension, was ein Schnäppchen! 9/10
Spaß: Fernsehen schauen im Hotelbett, gibt es wirklich was besseres? 8/10
Gesamt: 31/50
Ich weiß auch nicht, wie man das schreibt.