Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Kanyes Kandidatur, wie absurd soll es denn noch werden?
Diese Woche kündigte Kanye West an, in das Rennen um die US-Präsidentschaft einsteigen zu wollen. Eine verstörende Eskalation. Dass eine Kandidatur des Musikers, der angibt selbst noch nie gewählt zu haben, überhaupt diskutiert wird, zeigt wie absurd die US-Polit-Landschaft geworden ist.
Das letzte Mal, als ein amerikanischer Celebrity sich eingebildet hat, er müsse das amerikanische Populismusrodeo gewinnen und Präsident werden, hatte das fatale Konsequenzen. Eine gescheiterte Außenpolitik, der Ausstieg aus wichtigen internationalen Organisationen und 135.000 Corona-Tote legen trauriges Zeugnis davon ab.
In einem Interview zeigte Kanye eindeutig, dass es auch ihm nicht um wohlüberlegte Staatsführung geht. Die Motivation seiner Kandidatur sei: Gott wieder zum Gesprächsthema machen. Auf beinahe alle Fragen antwortete er statt politischer Inhalte mit religiösen Argumenten. So seien etwa Abtreibungen Satanswerk von weißen Rassisten und seine Steuerpolitik würde er sich von gottesfürchtigen Beratern einflüstern lassen. Als wäre das nicht absurd genug, möchte Kanye die Administration nach dem Vorbild von Wakanda, dem fiktiven Land aus dem Marvel Comic Black Panther, umgestalten. All das wolle er mit seiner Birthday Party, so der Name seiner Partei, erreichen.
Sollte diese ganze Sache nur ein psychischer Zusammenbruch Kanyes sein, ist das tragisch. Der Rapper sprach in der Vergangenheit immer wieder darüber, dass er Medikation gegen seine bipolare Störung nicht einnimmt, weil diese seine Kreativität hemme. Trotzdem geht es hier um das mächtigste Amt der Welt. Die Wirkmacht dessen, was Kanye West twittert, ist nicht zu unterschätzen. Er und sein Umfeld haben eine gewaltige Verantwortung, die er mit Aktionen wie dieser nicht wahrnimmt.
Politik braucht Persönlichkeiten mit einem gesunden Mix aus Ideologie und realpolitischer Räson, nicht selbstverliebte Egomanen, die ein Amt nur als nächsten Schritt auf ihrer persönlichen Reise zur Unsterblichkeit sehen.
Meine letzte Hoffnung ist, dass all das ein unglückliches Satireprojekt ist. Dass sich Kanye demnächst dafür entschuldigt, seine Platform für einen dummen Scherz missbraucht zu haben und er sich in Zukunft wieder auf Musik und schlechtes Reality TV beschränkt. Sollte dem nicht so sein, bleibt nichts als mit einem Zitat aus einem Kanye Song zu enden: „That shit cray“.
Comitted to the best obtainable version of the truth.