Bachmannpreis Klagenfurt

Immer wieder Bachmannpreis – Aber warum eigentlich?

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Wer als Literaturmensch etwas auf sich hält, fährt im Juni nach Klagenfurt. Während andere Veranstaltungen dieser Tage zögerlich die Luft der analogen Begegnung schnuppern, schicken uns die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur noch mal zurück ins Digitale, zurück vor die Bildschirme, zurück in die Videokonferenz. Der Wettbewerb gewinnt dadurch. Aber wer sieht sich das Format heute überhaupt noch an? Oder besser gesagt: Warum man das unbedingt tun sollte.

Titelbild © Yannes Kiefer

Wir sind Nerds, denen man das nicht ansieht. Besäufnisse auf Germanistikpartys und Hipsterkleidung lenken erfolgreich davon ab, dass wir uns liebend gerne in elendslange Diskussionen über Perspektiven, Metaebenen und bedeutungsschwangere Referenzen vertiefen. Die Tage der deutschsprachigen Literatur lassen uns außerhalb von Leserunden und Seminaren dieses Nerdtum ausleben. Dann wird stundenlang gelauscht, mitgefiebert und sich geärgert, wenn Juror*innen den eigenen Favoritentext verreißen. Dabei vergessen wir in unserem Elfenbeinturm auch mal, dass das Wettlesen um den Bachmannpreis nicht nur unsere kleine Literaturwelt betrifft. Es werden Fragen verhandelt, die alle etwas angehen: Die Gravitationskräfte eines Kunstwerkes, der Wert der Erinnerung, die Dringlichkeit einer Aussage und die Sehnsucht danach, die Welt sprachlich erfassbar zu machen. Literatur hat immer einen Kontext, sie entsteht nie im luftleeren Raum. Darauf verweist auch Sharon Dodua Otoo, Bachmannpreisträgerin 2016 in ihrer Rede zur Literatur:

Erst durch die Rezeption wird das, was ich schreibe, zu Literatur. Vorher ist es bestenfalls ein Monolog. Und ich möchte in meinem Schreiben auf gesellschaftliche Missstände hinweisen. Dafür brauche ich Verbündete. Erst durch die Rezeption wird mein Wunsch zum Programm.

Literatur zeigt Facetten der Wirklichkeit, sie fragt nach und stellt in Frage, sie entwirft Welten und Möglichkeiten. Das ist ihre unglaubliche Kraft. Wie Juror Klaus Kastberger bemerkte:

Ich glaube auch, dass […] es Literatur genau deshalb auf der Welt gibt, weil diese Welt eben nicht kohärent ist und weil diese Welt eben Brüche hat.

Wie ist denn die Welt jetzt eigentlich?

Also sitzen wir vor dem Computer und wollen endlich wissen, was nun die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Antwort gibt es natürlich keine. Aber die Sehnsucht nach Erkenntnis wächst wieder, das Verstehen-Wollen. Denn auch das kann Literatur. Sie weckt unsere Neugier, reibt uns auf, treibt uns vor sich her: Wir wollen mehr als nur die fade Realität, in der das Leben eben ist wie es ist. Bücher, Texte, Sätze sind nicht einfach Feststellungen. Sie ermöglichen ein Experiment mit Möglichkeiten, das Was-wäre-wenn-Fragespiel und die gewinnbringende Verunsicherung durch Widersprüchlichkeit. Deshalb kann man über Texte auch so prächtig streiten.

Castingshow und Naserümpfen

Die Teilnehmenden sind den Jury-Diskussionen live zugeschaltet. Sie müssen aushalten, dass man ihre Texte für mittelmäßig, überladen, prätentiös oder einfallslos erklärt. Das Online-Format scheint auch hier Hemmschwellen zu senken. Selten wurde in den letzten Jahren so hart geurteilt. Besonders Jurymitglied Philipp Tingler setzte es darauf an, ohne Rücksicht auf Verluste zu stänkern. Er inszenierte sich als Dieter Bohlen der Literaturkritik, seine Angriffslustigkeit machten die Tage der deutschsprachigen Literatur stellenweise zu einer Castingshow. Leider-Nein-Kandidaten werden ebenso brutal in Schubladen gesteckt wie in RTL-Formaten, nur eben mit dem pointierten Unterton von Proseminaren. Doch das gehört dazu. Wenn es unterhaltsam sein soll, dann braucht man Bösartigkeit.

Autobiografie, Science-Fiction, Brände, Sozialstaatroman

Der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur wird oft vorgeworfen, zu monothematisch und uninspiriert zu sein. Die Tage der deutschsprachigen Literatur haben dieses Jahr wieder gezeigt, dass dieser angebliche Einheitsbrei herbeifantasiert ist und nichts mit der Realität zu tun hat. Die leerausgegangene Autorin Hanna Herbst lieferte mit ihrem Portraitvideo eine unheimlich witzige und kluge Parodie auf den Literaturbetrieb selbst.

Den begehrten Bachmannpreis hat dann Helga Schubert gewonnen. Die 80-jährige Preisträgerin hätte schon vor 40 Jahren in Klagenfurt lesen sollen, durfte damals aber nicht aus der DDR ausreisen. Ihr Text „Vom Aufstehen“ wurde von der Jury begeistert aufgenommen, gab aber auch den Anstoß zu einer Debatte darüber, wie autobiographische Literatur zu bewerten sei. Lisa Krusche (Deutschlandfunk-Preis) erkundete mit ihrem Text digitale Dystopien, Egon Christian Leitner las den sozialkritischen und mutigen Text „Immer im Krieg“ (KELAG-Preis), Klimakrise, Hitze und Virus fanden durch Laura Freudenthaler (3sat-Preis) nach Klagenfurt. Den Publikumspreis gewann Lydia Haider.

Wer sieht sich das also noch an, außer uns Nerds? Wer opfert ein Wochenende der Literatur, wer hört dreißigminütigen Lesungen und ebenso langen Debatten noch zu? Ich weiß es nicht. Aber es wäre schön, wenn es viele sind. Denn es zahlt sich aus. Am Ende lernt man nämlich doch mehr über die Welt und ihre Zusammenhänge als man glaubt.

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