„Komplett Gänsehaut“, das letzten Frühling bei Kiepenheuer und Witsch erschienene, neue Buch der Kolumnistin und Autorin Sophie Passmann, ist eine Abrechnung mit ihrer Generation. Es ist geistreich und witzig – doch der Autorin fehlt teilweise das Durchhaltevermögen.
Die Erzählerin ist 27 und hält es für überwertet, jetzt schon zu sterben. Davor spielt man noch Erwachsensein und stürzt sich in ein endlos fades, aber als pseudocool getarntes Leben voller moderner Spießbürgerlichkeit. Sophie Passmann schreibt über ihre Generation, über Kinder der 90er Jahre, die jetzt den Traum jugendlicher Rebellion langsam, aber sicher gegen schönes Geschirr und Zimmerpflanzen eintauschen. Sie schreibt über Millenials, deren Bobo-Dasein das Einzige ist, was man wissen muss, um sie in eine säuberlich beschriftete Schublade zu stecken. Die Erzählerin sitzt in einer leeren Wohnung und packt Umzugskisten aus. Jeder Gegenstand und jedes Detail der Wohnung verdichten das Klischee. Es ist eine Bestandsaufnahme von Dingen, anhand derer wir erschreckend treffsicher in die Kategorie Bobo eingeordnet werden können: der Terracotta-Blumentopf-Aschenbecher, Trockenblumen im Badezimmer, Pulp-Fiction-Poster an den Wänden.
Vor allem auf den ersten Seiten ist der Text unheimlich lustig, immer wieder legt man das Buch weg, um lauthals zu lachen. Die Autorin erzählt in einem Atemzug: Es gibt keine Verschnaufpausen, nur eine nicht enden wollende, dichte Aneinanderreihung von Pointen. Genau das ist das Problem an „Komplett Gänsehaut“: Irgendwann gibt es keine Fallhöhe mehr. Die feuilletonistische Wortspielerei ist zum Teil wirklich gelungen und die Geschwindigkeit des Erzählmodus zieht einen schnell in den Bann. Doch spätestens in der Mitte des Buches nutzt sich der Effekt ab. Es wird langweilig und die Pointen mehr und mehr vorhersehbar.
Passmann kartografiert das Klischee anhand der Wohnung, der Straße und der Stadt. Darin liegt großes Potenzial. Toxische Männlichkeit, das übertriebene Klassenbewusstsein von Bestverdienern, die linksliberale Überheblichkeit, die nie so ganz ohne klassistisches nach unten treten auskommt, die noch lange nicht verblassten Überreste des Nazitums – „Komplett Gänsehaut“ wird auch politisch. Passmann rechnet mit der unpolitischen, bürgerlichen Gleichgültigkeit der Millenials ab und trifft hier auch Wunden.
„Wären wir mutiger, hätten wir zumindest lustige Handyhüllen und bei der letzten Wahl die LINKE gewählt, wir sind uns im Nachhinein betrachtet alle nicht mehr sicher, ob die Hoodies mit den Europa-Sternen wirklich eine gute Idee waren, […] ab und zu reden wir über Flüchtlinge und finden das so schlimm, dass wir sehr betroffen gucken.“
Trotzdem: Durch die ständige Wiederholung immer wieder auch generischer Witze bleibt die Tiefe aus. Aus dem Humor ergibt sich kaum Reflexion und der Leser bleibt ratlos zurück. Vielleicht wurde aber auch einfach die falsche Textform gewählt. Als Kolumne oder Essay hätte der Text von vorne bis hinten brilliert. Ein ganzes Buch ist hier leider einfach zu viel.
Titelbild: (c) Jack Van Hel/unsplash.com