Kay Voges, ab 2020 Direktor des Volkstheaters, hat zusammen mit Alexander Kerlin und Paul Wallfisch eine „Endzeit-Oper“ gedichtet, die das Burgtheater mit Lärm, Sex, Neonlichtern und Reizüberflutung an die Apokalypse herannahen lässt. Aber sie kommt einfach nicht.
Den Einsatz von Technik und Film gibt es schon lange auf den Theaterbühnen der Welt. Doch verbinden kann man Film und Theater nur als Element des einen im anderen. Dies Irae macht einfach beides: Zwei Kameramänner nehmen die gesamte Vorstellung live auf, sorgen für Fokus und Effekte und lassen in das umfangreiche Bühnenbild und seine abstrusen Szenen eintauchen. Hier werden Lebens- und Todestriebe, Ende und Eden, weiß und schwarz gegenüberstellt. Während Martin Schwabs letzte Atemzüge sein Rollenleben beenden sollen, schnappt das Paar im Nebenraum beim Sex nach Luft.
Das Jüngste Gericht
Dies Irae, das ist eigentlich ein mittelalterlicher Hymnus aus dem 14. Jahrhundert, der bis 1970 Teil des römischen Ritus in der Totenmesse war, so das Programmheft. Tag des Zorns heißt es übersetzt. Es geht hier nicht um den Weltuntergang, sondern darum, dass er seit Jahrhunderten immer wieder prophezeit wird. Markus Meyer zählt akrobatischerweise alle Apokalypsen auf, die hätten passieren sollen und die noch passieren werden.
Schauernd sehen Tod und Leben
Sich die Kreatur erheben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Treu darin ist eingetragen
Jede Schuld aus Erdentagen.“– Aus „Dies Irae“
Viel Lärm um alles
Paul Wallfisch, der mit Kay Voges schon mehrere Jahre zusammenarbeitet, kümmert sich mit der Musik um den opernhaften Teil des Stückes und ist auch Teil der Live Band. Die Musik ist modern, laut und scheint weder Anfang noch Ende zu haben. Genauso wie die sich unaufhörlich drehende Bühne, begleitet sie das Chaos ständig und überall. „Die Trommel war gut“, lässt sich beim Hinausgehen vernehmen. Die Schauspieler, die ab und zu ein paar gesungene Zeilen von sich geben, erschaffen im Kontrast zur ausgebildeten Gesangsstimme Kaoko Amanos eher ein komisches Moment, als einen stimmvollen Beitrag zur Musik. Die vom neuen Direktor Martin Kušej angekündigte Internationalität ist mit diesem Werk auf jeden Fall im Burgtheater angekommen, sowohl im Ensemble, aber auch durch Verwendung von Englisch und Latein im Spiel und im Gesang.
Wäsche, Affen und Glitzerkleider
Die Apokalypse wird vorausgesagt. Und nochmal. Und nochmal. Aber sie kommt einfach nicht. Das Ende naht nicht. Es geht um den Moment davor: vor dem Ende, vor dem Tod, dem Orgasmus, dem Aufprall. Es gibt Wiederholungen, Szenen, wiederholte Szenen – die Handlung bleibt aus. Schauspielerinnen und Schauspieler sind lebende Metaphern, Lebens- oder Todesstadien und die gleiche Person, immer und nochmal und wieder.
Von Aischylos über Sartre und Greta Thunberg sind alle dabei. Die Sexszene wird mit Nietzsche gepaart, der ersehnte Skandal bleibt aus, etwaige Triebe und Reize des Publikums werden aber auf jeden Fall angesprochen und überfordert. Man weiß nicht, wo man hinschauen soll: ob auf die Bildschirme, die mit Effekt und Rausch von Kamera eins zu zwei wechseln, oder auf das, was davor, dahinter und daneben passiert.
Man sollte einige der Texte kennen, um etwas zu verstehen. Voges gibt allerdings im Gespräch mit Rita Czapka an, dass er Zuschauer*innen möchte, „die ihre eigene Phantasie lustvoll mit in die Erzählung einbringen. Die nicht dem trügerischen Denken verfallen sind, sie müssten etwas ‚verstehen‘. So gesehen, kann sich also jede*r reinsetzen und von Gewalt und Dramatik umhauen lassen. Nach zwei Stunden ist das Publikum platt und erstaunt.
Um die Digitalisierung kommt letztendlich auch das Burgtheater nicht drum herum. Eine neue Ära hat begonnen: Das ist das neue Burgtheater. Erklären kann man es nicht. Das muss man selber gesehen haben. Es bleibt die Frage: Wird es ab 2020 auch ein neues Volkstheater geben?
Weitere Termine
28.12.2019
06.01.2020
09.01.2020
15.01.2020
23.01.2020
Hier geht’s zur Beschreibung von Dies Irae auf der Website des Burgtheaters.
Titelbild © Matthias Horn
Aus dem Ruhrgebiet. Studentin der Komparatistik und der Kommunikationswissenschaften.