FEMALE ANGER | Sprachnachricht von Nicola von Leffern

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Im ersten Artikel zu female anger wurde die Gestalt der „emotionalen Frau“ und die Angst vor ihr diskutiert. In dieser Interview-Reihe erzählen junge Künstler*innen, wie sie mit Wut umgehen und daraus der Succus ihrer Arbeiten entsteht. Ich habe drei junge Menschen per Sprachnachricht zum Thema befragt. Nicola von Leffern ist eine von ihnen.

Nicola von Leffern, geboren 1986 in Hamburg, ist freischaffende Regisseurin. Sie hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien und anschließend Kamera an der Filmakademie Wien studiert. Neben Jobs am Burgtheater Wien oder beim ORF schreibt sie Filme und schafft die visuelle Komponente für Musiker*innen, wie z.B. im Musikvideo Swallow für Monolink.

Die Regisseurin hat es eine Zeit lang wütend probiert, erzählt sie lachend. Doch war für sie klar, dass ihre Wut schnell auf Mauern stößt und sie nicht weiter bringt. Frustrierend war für sie vor allem die Situation vieler Frauen in der Film- und Werbebranche und die Ausbildungssituation an der Filmakademie Wien. Der „Österreichische Film Gender Report“ von 2012 – 2017 zeigt, dass 80% der Herstellungsförderungen im genannten Zeitraum an Projekte gingen, bei denen Männer für Regie, Produktion oder Drehbuch verantwortlich waren. Die Zahlen an der Filmakademie Wien belegen diesen Gender-Gap ebenfalls: Die Gremien der Filmakademie Wien, die über Zulassungen entscheiden, waren mehrheitlich männlich besetzt. Im Untersuchungszeitraum gab es 44% weibliche Studierende, allerdings nur 10% Professorinnen. Man würde vermuten, dass gerade im Studienfach Regie ein weibliches Vorbild für junge Studentinnen wichtig wäre. Die aktuellen Zahlen (keine einzige weibliche interne Lehrende im Fach Regie) tragen ein anderes Bild nach außen.

Angesichts dieser Tatsachen reicht für Nicola Wut alleine nicht aus, um etwas zu bewegen. Sie hat für sich beschlossen, Empathie und Mitgefühl walten zu lassen, privat und in ihren Filmen. Denn genau dafür liebt Nicola ihren Job: Sie konzipiert Figuren, die einerseits komplett sind, damit Menschen, die nichts mit dieser Figur gemeinsam haben, nachempfinden können, wie es ihr geht und beginnen zu verstehen. Andererseits lässt sie Leerstellen im Script frei, die das Publikum zum Nachdenken anregen sollen. Diese Mischung aus Vollkommenheit und Lückenhaftigkeit machen Geschichten zu einem Drehbuch.

Was Drehbücher und Geschichten generell spannend macht, sind die Leerstellen: Die Möglichkeiten der Phantasie, die Ambivalenzen und die Widersprüche, die ein Charakter mit sich bringt.

© Jakob Carl Sauer

Ambivalenzen gehören zum Charakteristikum einer spannenden Figur

Die Regisseurin will ihre eigene, feminine Perspektive zeigen. Dabei ist es aber unwichtig, durch wen diese weibliche Erzählweise spricht. Die sexuelle Ausrichtung ihrer Charaktere würde sie nicht erklären, außer es sei notwendig. Im Schreibprozess für ihren nächsten Film ist für sie die Frage aufgekommen, ob sich die Protagonistin zu einer alten Bekannten hingezogen fühlen soll. Egal wie sich dieser Gedanke im Script manifestieren wird, betrachtet sie das Gefüge nicht als Film mit „homosexuellem Touch“. Die Figur bleibt Figur, in all ihrer Komplexität. „(…) so wie wir alle wahrscheinlich nicht zu 100% wissen, was uns wirklich anzieht“.

Wenn es keinen direkten Adressaten gibt, hilft Kunst als Ventil

„Gerade in letzter Zeit habe ich viel über die Ausdrucksweise von Wut nachgedacht. Ich habe schlecht geschlafen, schlecht geträumt, mich tagsüber gedanklich in Streitgesprächen geprobt, um in der Realität auf eine mögliche Situation vorbereitet zu sein“, so Nicola. Dieser Habitus ist ermüdend und deshalb versuche sie, aktiv in „konfliktreiche“ Situationen und Gespräche einzuschreiten, weil auch dieser Muskel trainiert werden kann, um in Zukunft besser reagieren zu können. Außerdem sei es ihrer Meinung nach unumgänglich, sich in unangenehme Situationen zu begeben, wenn man künstlerisch tätig ist.

Das Ausdrücken von Gefühlen ist für die künstlerische Arbeit essentiell, weil die nüchterne Sprache oft nicht ausreicht. Nicola erzählt von einer Trennungsgeschichte: Man hat gestritten, hat sich alles gesagt, alles probiert. Ein Musiker, mit dem sie zusammen war, hat ein Album während ihrer Trennung geschrieben. Obwohl schon alles ausgesprochen wurde, hat ihr diese Art der Verarbeitung eine ganz neue Sichtweise gegeben. „Natürlich war auch viel Wut und Hass dabei. Und ich habe es geliebt! Es hat sich so wahrhaftig angehört. Die Energie, die darin steckte, hatte so einen Drive und war viel besser in diesem Album platziert als direkt an mich gerichtet“, so Nicola.

Wenn man Wut zu lange unterdrückt, befällt einen irgendwann eine sehr starke Lethargie, zumindest ging es Nicola so. Frust, Wut und Energie waren zwar zu spüren, doch steckten diese Emotionen irgendwo fest und konnten nicht kanalisiert werden. Es schien, als könnte sie die Dinge, die sie beschäftigten, nicht adressieren. Über dieses unkonkrete Feststecken entstand schließlich das Musikvideo Swallow. So ergab sich ein fiktiver Ort, „(…) an dem wir ankommen durften und uns verstanden fühlten.“

© Jakob Carl Sauer

Nicola schreibt gerade an einem Film, der im Sommer gedreht werden soll. Mit Jakob Carl Sauer (Kamera) hat sie zuletzt eine kurz Doku in Uganda gedreht, die noch eine längere Fassung nach sich ziehen wird.

Nicolas Filmempfehlungen:

Der deutsche Spielfilm aus dem Jahr 2009: Alle anderen von Maren Ade.
„Ein wunderbares Spiel mit Gender-Normen, Frausein, Mannsein, Zusammensein im Kino.“

Das schwedische Filmdrama aus dem Jahr 2014: Force Majeure von Ruben Östlund.
„Ein schwedisches Paar im Skiurlaub im Versuch zu erfüllen, was man von ihnen erwartet. Über das schwebende Unheil und das Gefühl von Feststecken.“

Titelbild © Jakob Carl Sauer

Stv. Chefredaktion / Gesellschaft

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