Das FTZN Kollektiv zeigt mit Gib mir ein F eine feministische Momentaufnahme im Kosmostheater – leuchtend, zwiespältig, ermutigend.
Ein bisschen spät dran, eile ich kurz vor Beginn der Vorstellung in den kleinen Theatersaal. Der Publikumsraum ist hell erleuchtet, zwischen den einzelnen Personen jeweils ein Sitz freigelassen und noch während ich mich zu meinem Platz begebe, habe ich das unangenehme Gefühl angeschaut zu werden. Ich drehe mich um, setze mich. Vorne auf der Bühne sitzen bereits die drei Schauspielerinnen, Runa Schymanski, Hannah Rang und Benita Martins, sie betrachten mich, sie betrachten die anderen, sie tuscheln miteinander und sofort bin ich froh, so spät drangewesen zu sein, diese Situation nicht noch länger aushalten zu müssen. Ich komme mir falsch vor im geblümten Kleid, komme mir bewertet vor und obwohl ich weiß, dass das dazugehört, bin ich froh, als das Licht ausgeht.
„Die sieht aus – wie alles, was ich an mir – hasse!“
Das rufen die drei Schauspielerinnen im Chor und in ebendiesem Chor beginnen sie auch zu lästern, gehässige Kommentare über Frauen abzulassen. Und was daran wirklich erschreckend ist: All das haben wir so oder so ähnlich schon einmal gehört. Mit genau diesen Worten werden Frauen häufig beschrieben.
„Wer hat Angst vorm steifen Schwanz? Niemand! Und wenn er aber kommt? Dann kommen wir wahrscheinlich nicht!“
Kurz vor Beginn des ersten Lockdowns letztes Jahr haben sich die drei Schauspielerinnen zusammen mit der Regisseurin Fritzi Wartenberg zusammengefunden und das FTZN Kollektiv gegründet – als dann die Vorhänge nicht mehr hochgezogen wurden, verständigten sie sich zunächst über Videokonferenzen. Sie tauschten sich aus, gaben sich gegenseitig Hausaufgaben – Geh durch die Stadt und schreibe Dir zu den Frauen, die Du siehst, das Schlimmste auf, das Dir in den Kopf kommt – so zum Beispiel eine Aufgabe, die zum Anfangschor geführt hat. Auch sonst ist all das, was die Collageninszenierung bietet, aus dem eigenen Leben genommen. Abwechselnd rennen die drei Frauen ans Mikrofon, erzählen von Erfahrungen und jedes Mal, wenn sie einen neuen Goldballon hereintragen (am Ende werden fünf Ballons das Wort „Fotze“ erstrahlen lassen), zitieren sie, was ihnen einmal gesagt wurde. Mit „Meine Oma/Mutter etc. sagte immer: Kind!“ beginnen diese Äußerungen, sie kommen aus der Eltern- und Großelterngeneration und sie überschreiten Grenzen.
Innen Innen Innen! Von feministischen Alarmanlagen
Es ist eine anekdotische Annäherung an das Frauenbild, mit dem nicht nur das Kollektiv aufgewachsen ist, sondern das bereits von den Generationen davor geprägt wurde und es jetzt umso schwieriger macht, zu verordnen: Was heißt es eigentlich Feminist*in zu sein, in einer Welt, in der es immer noch ein Ideal gibt, wie Frauen zu sein haben, wie sie sich zu verhalten haben, wie sie auszusehen haben? In der wir schlagfertig und selbstsicher sind, gegen veraltete Rollen kämpfen, Klischees anprangern, aber gleichzeitig Übergriffe erleben, die uns erstarren lassen, mit dem Finger immer auf andere zeigen und dieses Ideal immer noch tief in uns verwurzelt haben? Wie können wir Feminist*innen sein mit all dieser „Kackscheiße“ im Kopf, wenn gleichzeitig zur Gender-Alarmanlage auch die Verurteilung der anderen im Hirn angeht?
Es sind komplizierte Fragen, die der Abend aufwirft, und wäre all das nicht zwischendurch herrlich komisch und mit Humor aufbereitet, wäre es kaum auszuhalten. Die Macherinnen schaffen es aber, trotz aller Ernsthaftigkeit das Publikum immer wieder zum Lachen zu bringen und sie schaffen es vor allem, die Menschen abzuholen, wo sie gerade stehen. Weil auch sie keine Antworten auf alles haben, weil auch sie noch damit kämpfen, ihren Weg zu finden und das Richtige zu tun. Sie kritisieren sich gegenseitig, sie unterstützen sich und sie erzählen vor allem Geschichten, Umgangsformen, Annäherungen. Sie wollen nicht belehren, sondern gemeinsam nachdenken. Das ist auch der Grund, warum nach jeder Vorstellung ein Publikumsgespräch stattfindet: Wieder wird der Raum erleuchtet, Themen aufgegriffen, gemeinsam diskutiert.
Da kommen verschiedene Standpunkte zusammen. Aber es zeigt sich vor allem eine Solidarität. Und was vom Abend bleibt, ist deshalb nicht Verzweiflung über den Zustand, sondern neu aufkeimender Mut, sich all dem gemeinsam zu stellen und nicht zuletzt auch das Wort in Besitz zu nehmen, das so lang unterdrückend wirken sollte: „Fotze!“, hallt es durch den Saal. „Fotze! Fotze!“
Weitere Informationen
Gib mir ein F ist ein Gastspiel am Kosmos Theater und wurde beim Hin & Weg Theaterfestival Litschau 2020 uraufgeführt, an dieser Stelle haben wir über das Festival berichtet. Hier erfahrt ihr mehr über das Theaterkollektiv, hier findet ihr ein Gespräch mit der Regisseurin Fritzi Wartenberg.
(c) Titelbild: Tina Graf
Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.