Todd Phillips – Joker (USA 2019)
Psychological Drama / Crime
Now I realize it’s a comedy. Die Joker-Origin Story schlägt große Wellen. Die Kritiken fallen nahezu so bipolar aus wie die Stimmung des Protagonisten Arthur Fleck. Der Film kann als vieles gesehen werden: Politik-Satire, anarchistisches Manifest, Psychodrama, Milieu-Studie – als Anbiederung an die Alt-Right-Bewegungen jedoch nicht.
Hangover after dark
Todd Phillips, warum gerade der? Waren drei Teile Hangover nicht Tragödie genug? Zwischen halbwitzigem Sexismus und ewig gleichem Billigen-Körper-Humor eiert der Komödien-Kassenschlager spätestens nach einmaligem ,,Genuss‘‘ in die vollkommene Irrelevanz. Allenfalls ist da noch eine 1993 veröffentlichte Dokumentation über GG Allin zu erwähnen, retten kann das ein solch ,,erlesenes‘‘ Gesamtwerk (selbst für Starsky & Hutch zeichnet sich Phillips verantwortlich) jedoch kaum.
Und dennoch, gegen aller Wahrscheinlichkeiten, ist Joker annehmbar. Mehr als das, über weite Strecken sogar exzellent. Wie viel davon auf Phillips Kappe geht und ob der Film auch ohne Phoenix nur geringste Qualitäten vorzuweisen hätte, sei dahingestellt.
All I have is Joaquin Phoenix
Aber es kam, wie es kommen musste. Ausnahmetalent Joaquin Phoenix erweckt Gothams Prince of Crime in dieser Origin Story zu neuem Leben. Selbst mit überdimensionierten Clown-Schuhen, welche Phoenix mehrmals im Film trägt, keine leichtzufüllenden Fußstapfen, wurden doch vergangene Verkörperungen von Hochkarätern wie Ledger und Nicholson dargestellt. Sieht man von der unfreiwillig komischen Interpretation von Jared ,,Damaged‘‘ Leto einmal ab, bietet besonders das neue Jahrtausend keine leichte Konkurrenz. Nolans The Dark Knight zeigt mit Heath Ledger als Joker einen der besten Hollywood-Gauner der letzten Jahrzehnte. Tatsächlich lässt sich der eindimensional-manische, praktisch aus dem Nichts auftauchende Schminkschurke Ledger schwer mit dem charaktergetriebenen, depressiven Clown Phoenix vergleichen.
Beide Darstellungen passen überraschend gut in die jeweilige Welt. The Dark Knight zeichnet einen klassischen Batman-Gut-gegen-Böse-Dualismus (mit sanftesten Abweichungen – siehe Two-Face), mit Fokus auf Action, One-Liner und comichafter Gewalt. Die Person Arthur Fleck hingegen ist introvertiert, unsicher, zerrissen. Zwar ist offensichtlich, dass Ledgers Darstellung einen voll geformten Joker zeigt, Phoenix erst den Weg dorthin beschreiten muss – dass die beiden Darstellungen dennoch nicht zueinanderfinden, liegt aber selbst mit diesem Wissen im Hinterkopf auf der Hand. Arthur Fleck ist kein kriminelles Master-Mind, kein Heist-Spezialist à la Tarantino, kein Thompson-schwingender Ganovenprinz. Phoenix ist lächerlich, widerlich, ertrinkt in Selbstmitleid. Er ist schwer psychotisch, hat stärkste Gefühle, mit denen er kaum umzugehen weiß. Das ist ein Verstand, der zerfällt, sich langsam umformt, und dennoch Phasen der Ruhe und Selbstbeherrschung in all dem Trubel findet.
You Wouldn’t Get It – Knapp am Dilettantismus vorbei
Auf beinahe schon lächerliche Art und Weise jagt ein Schicksalsschlag den nächsten, möchte der Film einen vorgezeichneten Abstieg in die vollständige Psychose und Soziopathie zeichnen, damit Mitleid erzwingen. Dabei möchte man beinahe Sympathie für Flecks miserable Existenz fühlen, würde er nicht so aggressiv bemitleidenswert dargestellt werden und würde der Film nicht konsequent eine Grube nach der nächsten für Fleck schaufeln. Spätestens hier wird klar: Ohne Joaquin Phoenix wäre ein solches Skript beinahe unaushaltbar. Auch Kameraarbeit und Dialog sind hauptsächlich zweckdienlich. Die glänzende Performance des Hauptdarstellers macht es allerdings ein Leichtes, über solche Verfehlungen hinwegzusehen.
Gotham, so schrecklich und grau
Trotz der überwiegend gelugenen Darstellung der Stadt schwächelt die filmische Sprache zeitweise. Die Dunkelheit mit der Phillips die Treppen bedeckt, die Arthur jeden Tag ansteigt, versucht auf banale Art und Weise das Innenleben der Hauptfigur widerzuspiegeln. Als Arthur, bereits als ausgeformter Joker, sein turbulentes Innenleben schlussendlich akzeptiert und seinen Tendenzen nachgibt, erscheinen die Stiegen schlussendlich erleuchtet. Obwohl solche Mittel durchaus dazu beitragen können, Inhalte zu transportieren, greift Phillips in diesem Hinblick etwas zu kurz, und bleibt über weite Strecken viel zu oberflächlich.
Pandering to the Alt-Right – Film-Kritik als politisches Statement
Es lässt sich nicht bestreiten, dass Filme als Nachrichtenträger begriffen werden sollen. Alleine deshalb lassen sie sich nicht als „unpolitisch“ (oder noch schlimmer: „apolitisch“) bezeichnen. In diesem Sinn sind auch Erklärungen und Kommentare eines Regisseurs oder „Auteurs“ mindestens ebenso wichtig, um seine Schöpfung zu verstehen – umso mehr in der Ära der sogenannten „Post-Truth“.
Trotzdem ist es ein wenig lächerlich, dass ein Film wie Joker ganz alleine solche Kontroversen verursachen kann. Von Beginn weg haben die US-amerikanischen Mainstream-Medien den Film als potentielle Gefahr interpretiert, dass erste Vorstellungen Opfer einer Schießerei werden könnten, obwohl überhaupt noch wenig über den tatsächlichen Filminhalt bekannt war. Auch wenn eine solche Warnung, besonders in einem für seine Waffengewalt berüchtigen Land wie den USA, nicht vollkommen aus dem Blauen gegriffen wirkt. Regisseur Phillips ließ sich davon nicht beirren. Im Gegenteil: er erkannte die Kontroverse als gefundenes Werbetool und nutzte jede Chance, die er hatte, um sich gegen die sogenannte „woke culture“ auszusprechen, die ja das Schreiben von Komödien scheinbar unmöglich machen würde.
Trotz aller Aussagen des Regisseurs bleibt dieser Diskurs wohl hauptsächlich heiße Luft, insbesondere da Demonstrant*innen Plakate mit Worten wie „Fascists“ hochhalten. Möglicherweise sind solche Zurschaustellungen aber auch nur eine Ausrede, um über andere diffuse alt-right-nahe Anspielungen, ob gewollt oder nicht, hinwegzutäuschen. Die tatsächlichen Hintergründe davon kennt wohl nur Phillips.
Can you introduce me as Joker?
Wie bereits gesagt, ist der Film nicht ein zwangsläufiges Manifest der neuen Rechten. Trotzdem können manche Symboliken auf eine ähnliche Art und Weise interpretiert werden.
Für jemanden, der mehr als 10 Minuten auf 4Chan verbracht hat, liegt es auf der Hand, dass in den letzten Jahren sowohl der Joker als auch Clowns als Alt-Right- und Incel-Code benutzt wurden. Daher ist es nicht schwer zu verstehen, warum der Film von der Öffentlichkeit, besonders von linken Gruppierungen mit Misstrauen beäugt wurde. Das asoziale Benehmen der Hauptfigur und ihre Neigung zur Selbstbemitleidung erinnern stark an Merkmale, die oft mit diesen Gruppen assoziiert werden. Egal, wie man den Film lesen möchte, die profitable Wirkung all dieser Kontroversen und Diskussionen ist nicht von der Hand zu weisen.
Auf keinen Fall ist Joker der Film des Jahres. Nichtsdestotrotz bietet er eine interessante Variation der momentan marktübersättigenden Superheldenfilme sowie eine wundervolle Performance von Joaquin Phoenix. Er stellt einen Joker dar, der nicht versucht die Welt bewusst in Flammen zu stecken, sondern viel eher dieses Feuer zufällig entfacht. Eine Person, die ganz nebenbei ein Bild unserer verfaulten und mitleidslosen Gesellschaft aufzeigt, während sie mit ihrem eigenen, unruhigen Innenleben Kämpfe ausfechtet.
7.5/10
Political Sciences BA and Mexican-born expat, trying their best to hold onto their filmmaking dreams. I turn to music and films when existence becomes unbearable
Hi, wirklich gutes Review!
Der Text hat mich selbst wieder zum Nachdenken gebracht.
Bis jetzt hab ich den Film unter anderem als den „feuchten“ Traum eines Indiviudalterroristen (egal ob links oder rechts) gesehen. Gerade wenn man sich in die Figur des Jokers hineindenkt und hineinfühlt lässt sich für zerrütterte Individuen in dieser Identifikationsfigur, die durch Zufall und geeignete Umstände Nachahmer findet, sicherlich eine Heldenfigur konstituieren. Unabhängig davon, wer nun von Tagen X träumt, diese Figur bietet sich als Identifikation für die, die sich als „die Abghängten der Gesellschaft betrachten“ prächtig an.
In gewisser Weise verbindet der Film hier, meiner Ansicht nach, Themen aus Figh Club (die Zweitgeborenen der Gesellschaft) und Taxi-Driver (der individuelle Verfall des abgehängten Individuums).
Durch die Lektüre des Artikels kam ich jetzt noch auf eine weitere Interpretation der Geschichte: An Arthur Fleck/Joker vollzieht sich eine „Wertherisierung“. Er nimmt sein Innenleben zunehmend an und bestimmt es schließlich zur alleinigen Triebkraft seiner Existenz. Ähnlich dem Werther aus Goethes „die Leiden des jungen W.“ verliert er sich zunehmend in seinem Innenleben und verläuft sich schließlich in einem zustand, den er selbst als Ausweglos empfindet. Anders als der junge Werther, dem schließlich (aus seiner Sicht) nur der Ausweg des Selbstmord bleibt, wird Arthur Fleck durch einen subtilen Akt des Deus Ex Machina (und weil es halt für den Film notwendig ist) zum Anführer eines extatischen Kults erhoben. Die Jünger dieses Kults erklären die Weltordnung für Ungerecht und folglich nichtig, weshalb ihnen selbst das Recht zum ungehemmten Aufbegehren, von Raub bis Blutvergiesen, eingeräumt sei.
Die Deus Ex Machina-Lösung des Films wird auch über den amerikanischen Mythos des selfmade-man legitimiert, wobei Arthur Fleck scheinbar an diesem herzlosen Mythos zu Grunde geht um als Joker von eben selben Mythos wieder erhoben zu werden. Jedenfalls ein interessanter Ansatz, das die Forderung des stätigen Gewinnstrebens und des stätigen Strebens nach Glück das Individuum dazu zwingt sich zu verbiegen, bis es kolabiert.
Tl:dr, Irgendwie ein guter Film, benutzt Versatzstücke die schon wo anders da waren (Figth Club, Taxi Driver), Zeigt auf interessante Weise die Anforderungen der industrialisierten Gesellschaft an das Individuum und die Entfremdung des Individuums von eben jener Gesellschaft und ihrer Produktionsprozesse.